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Hinter Gittern. Da Deutschland strikt auf Strafverbüßung besteht, initiiert die Verteidigung häufig ein Abschiebeverfahren selbst.

© Thomas Koehler/photothek.net/Imago

Ausländische Strafgefangene in Berlin: Die Zahl der Haftabschiebungen ist gering

2016 wurden 67 ausländische Häftlinge aus Berlin in ihre Heimatländer abgeschoben. Das sind halb so viele wie vor 10 Jahren. Der FDP ist das zu wenig.

Von Fatina Keilani

Die Zahl der Abschiebungen aus der Strafhaft in Berlin hat sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Von 128 im Jahr 2007 fiel der Wert auf 67 im Jahr 2016. Im Jahr 2015 waren es sogar nur 46. Das geht aus einer noch nicht veröffentlichten parlamentarischen Anfrage des FDP-Innenpolitikers Marcel Luthe hervor.

Doch was bedeutet dies nun? Luthe ist jedenfalls empört: „Trotz jährlicher Kosten von rund 50.000 Euro pro Haftplatz und dem klaren Interesse auch vieler Strafgefangener an einer Abschiebung handelt der Senat auch hier nicht.“

Das Zahlenwerk ist etwas diffus, denn nur für das Jahr 2006 ist bekannt, wie viele derartige Fälle die Staatsanwaltschaft zu entscheiden hatte, nämlich 169. Die Rede ist hier vom „Absehen von Vollstreckung der Strafe bei Auslieferung oder Ausweisung“. Geregelt ist das in Paragraph 456a der Strafprozessordnung. Davon hatten in 42 Fällen die Verurteilten selbst den Antrag gestellt. Wie viele Entlassungen es aus der Strafhaft zum Zwecke der Abschiebung gab, ist aber nur für die Jahre seit 2007 erfasst. Auch nicht erfasst wird, in welche Länder die Gefangenen abgeschoben wurden.

„Wer in der Strafhaft erkannt hat, dass er sich ein Leben in Deutschland nicht vorstellen kann, muss in seinem Wunsch nach Rückkehr aktiv durch den Senat unterstützt werden“, fordert Luthe, „aber das Gegenteil ist der Fall. Insassen berichten mir, dass ihnen aktiv von der Antragstellung abgeraten werde – dabei brauchen wir jeden freien Haftplatz.“

Dregger: Linkskoalition macht sich verantwortlich für jede Straftat, die durch Abschiebehaft verhindert werden könnte

Der CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger äußert sich ähnlich. „Ich fordere den rot-rot-grünen Senat auf, jeden vollziehbar ausreisepflichtigen Strafgefangenen direkt aus der Strafhaft abzuschieben. Sollte dies ausnahmsweise nicht möglich sein, so sind diese Personen bis zur Beseitigung der Abschiebehindernisse in Abschiebehaft zu nehmen.“ Dregger erinnert an den jungen Tschetschenen, der auf freiem Fuß war und mutmaßlich zum Mörder der Kunsthistorikerin Susanne Fontaine wurde.

„Die Linkskoalition der Realitätsverweigerer lehnt in ihrem Koalitionsvertrag Abschiebehaft ab. Damit macht sie sich verantwortlich für jede Straftat, die durch Abschiebehaft hätte verhindert werden können“, so Dregger. Eine Erklärung der Zahlen war vom Senat über das lange Wochenende nicht zu bekommen.

Da Deutschland im internationalen Vergleich relativ niedrige Strafen verhängt, dann aber strenger als andere Länder auf deren Verbüßung besteht, treibt häufig nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Verteidigung das Verfahren nach 456a voran. Die Motivation liegt darin, den Mandanten schneller zu einem freien Mann zu machen, und sei es in seinem Heimatland. Deswegen wird in Länder wie die Türkei erst nach Verbüßung abgeschoben, da dort selbst für schwere Straftaten sehr schnell der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird.

Die Vollverbüßung in Deutschland könne daher auch im Opfersinne liegen

Anstelle des Senats war der grüne Innenpolitiker Benedikt Lux bereit, die Hintergründe zu erläutern: „Es kann im Interesse des Staates liegen, die Häftlinge nicht vorschnell abzuschieben, da die Strafvollstreckung in den Heimatländern nicht immer gewährleistet ist“. Die Vollverbüßung in Deutschland könne daher auch im Opfersinne liegen. Wer seine Strafe verbüßt habe, werde dann eben danach abgeschoben – in der Regel geschehe dies auch. Grundlage ist das Aufenthaltsgesetz.

Darin ist festgelegt, dass bei der Ausweisung abzuwägen ist zwischen dem Interesse der Bundesrepublik, die Person loszuwerden, und dem Interesse der Person hierzubleiben. Im Falle einer Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe wiegt das Interesse sie loszuwerden schwer, bei mindestens zwei Jahren besonders schwer.

Allerdings stehen dem auch mitunter Hindernisse entgegen, zum Beispiel, dass im Heimatland des Häftlings keine menschenwürdige Behandlung gesichert ist. Dies wiederum findet der AfD-Innenpolitiker Karsten Woldeit abwegig. „Wenn ein Ausländer sich hier strafbar macht und Gewaltdelikte oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begeht, dann hat er sein Bleiberecht verwirkt und sollte abgeschoben werden – egal welche Bedingungen ihn in seinem Heimatland erwarten.“ Wer nach Deutschland komme und Schutz und Hilfe erlange, dann aber kriminell werde, der verwirke unsere Solidarität.

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