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Berlin: Berliner SPD: Neue Führung auf Konzeptsuche

Die SPD hat eine neue Führung, aber damit noch kein neues Konzept. Nach dem beispiellosen Durcheinander der Kampf-Wochen um den Landesvorsitz einte erst einmal eine Fete die große Parteifamilie.

Die SPD hat eine neue Führung, aber damit noch kein neues Konzept. Nach dem beispiellosen Durcheinander der Kampf-Wochen um den Landesvorsitz einte erst einmal eine Fete die große Parteifamilie. Der alte und neue Parteichef bat am Mittwoch zum Sommerfest. Und wenn sich die letzten erhitzten Gemüter nach der Ferienpause abgekühlt haben, geht der Landesvorstand Ende September zwecks Arbeits- und Strategieplanung in Klausur. Die Führung muss Gräben zuschütten, Rebellen einbinden und der Partei jetzt eine gemeinsame Richtung geben.

Die Suche nach der richtigen Strategie ist gerade in dem Punkt am schwersten, in dem eigentlich die größte Einigkeit besteht - im Ruf: Raus aus der Großen Koalition 2004; 14 Jahre sind genug! Aber was dann? Rot-Grün samt PDS? Die harten Bänke der Opposition contra Schwarz-Grün? Oder doch wieder CDU/SPD? Strieder hört sich vorsichtig an: "Wenn immer möglich, wollen wir die Koalition mit der CDU 2004 beenden." Die PDS-Debatte "ohne Tabus" kommt bestimmt, aber Strieder mahnt vorsorglich, ein Zusammengehen mit der PDS müsse gesellschaftliche Akzeptanz finden. So sehen es auch andere in der Führungsspitze, wie zum Beispiel der neue Landeskassierer Klaus Riebschläger: "Die Bündnisfähigkeit der PDS entscheidet sich nicht an einer besonderen Affinität SPD/PDS, sondern daran, ob alle Parteien untereinander koalitionsfähig sind." Andererseits: "Die CDU praktiziert auf kommunaler Ebene in den Ostländern viele Bündnisse mit der PDS, die sie uns vorwirft zu denken", so Riebschläger. Vielleicht, sinniert er, werde ja auch die FDP "wieder lebendig". Das fragt sich wohl auch die Diepgen-CDU.

Die Suche nach dem SPD-Spitzenkandidaten hat ein paar Jahre Zeit, gewiss. Aber soll es einer von drinnen oder draußen sein? Berliner Namen werden schon jetzt genannt: der liebenswürdig-pfiffige Fraktionschef Klaus Wowereit, die von Führungswillen beseelte neue stellvertretende Landesvorsitzende Annette Fugmann-Heesing, auch der so viel kritisierte Strieder und schließlich sein Senatskollege Klaus Böger, der schon 1999 gern an Stelle von Walter Momper Spitzenkandidat gewesen wäre.

Der Aufbruch der 22,4-Prozent-Partei hat Eile mit Weile. Vorerst heißt Aufbruch bloß das Aufbrechen oder Aufknacken der alten Links-Rechts-Fronten. Die Flügel hatten kaum noch Einfluss auf die Zusammensetzung der Führungsspitze und des erweiterten Landesvorstandes. Der Generationswechsel und einige scharfsinnige Köpfe wie Ex-Senatorin Fugmann-Heesing, Riebschläger und der Ex-Regierende Walter Momper (Beisitzer) haben sich durchgesetzt. Die Verjüngung verkörpern die Strieder-Stellvertreter Sven Vollrath (30) und Andreas Matthae (31), beide noch unbeschriebene Blätter. Riebschläger war in den siebziger Jahren Senator und Anführer der Flügelkämpfe auf der Rechten. Die Jungen wissen nichts mehr davon, es interessiert sie auch nicht. "Der Änderungswille hat Konjunktur. Nichts läuft mehr entlang den alten Achsen. Ich bin hoffnungsfroh, dass wir uns zu einer vernünftigen Crew zusammenraufen und wieder nach oben krabbeln", meint Riebschläger.

Alle beteuern, sie hätten aus den turbulenten Wochen gelernt, in denen die Basis nicht wollte wie die Führung und die Kreisfürsten. Strieder hat zum Beispiel aus dem Vorwurf seine Lehren gezogen, er habe einen selbstherrlichen Führungsstil, sei ungeduldig und sprunghaft. Die jungen Kreisvorsitzenden mit ihrem Riegenführer Christian Gaebler an der Spitze hatten für Strieders rechten Gegenkandidaten Hermann Borghorst getrommelt. Sie holten sich bei der eigenen Basis eine blutige Nase, die teils für Strieder, teils für den Newcomer Stefan Grönebaum war. Nun sind sie froh, dass sie ihre Leute in den Vorstand geboxt haben und versprechen Strieder Hilfe. "Wir müssen einfach aufeinander zugehen und die Spielereien lassen", sagt Matthae. Gaebler hofft, dass Strieder seine "Vermittlerrolle" künftig gut spielt. Sie wünschen sich wohl keinen Chef, sondern eher eine Art Chefmoderator.

Beschäftigungstherapie ist angesagt. Strieder will den "Kommunikationsbedarf" beherzigen, "die Kluft zwischen Führung, Basis und Senatspolitik" zu überwinden: "Ich bin für Treffen mit allen Abteilungsvorsitzenden zwei, drei Mal im Jahr." Vor allem aber will er seine Partei durch Projektarbeit motivieren, stabilisieren, formieren. Zwei Themenparteitage sind bereits programmiert. Vor Strieders Wiederwahl sollte es nur einer gegen Jahresende zu den Schwerpunkten Arbeit, Bildung, soziale Stadtentwicklung sein. Nun soll ein Extra-Bildungsparteitag Anfang 2001 sein, aber bestens vorbereitet. Also hat der neue Landesvorstand sofort eine kleine Arbeitsgruppe zur Bildungspolitik eingesetzt: Schulsenator Böger, Annette Fugmann-Heesing, Sven Vollrath und die Abgeordnete Hella Dunger-Löper. Sie sollen Sachverständige von außen hinzuziehen. "Wir müssen uns öffnen und zeigen, dass wir uns um die Anliegen der Eltern kümmern", sagt Riebschläger.

Nur: Wie viel Stillhalten verordnet eine neue Kaste von "Politkommissaren" ihren Senatoren und ihrer Fraktion? Matthae ist froh über die "Zusage Bögers", vor dem Bildungsparteitag keine Entscheidung über den umstrittenen Religionsunterricht in Staatsregie zu treffen.

Stefan Grönebaum kehrte fürs erste schmollend zu dem geschrumpften Häuflein des Donnerstagskreises der Linken zurück. Also innerparteiliche Opposition? Das wäre riskant, denn Grönebaum hatte beträchtlichen Zulauf an der Basis. Auch ihn und seine Anhänger will man auf die Themen- und Kommunikationsschienen locken. Bringt es Strieder nicht fertig, wollen doch Spitzen wie Vollrath und Riebschläger den Kontakt zu Grönebaum pflegen. "Wir brauchen Talentschuppen auch jenseits der klassischen Funktionen", sagt Riebschläger, "vielleicht sogar eine Art Talentschuppen-Direktor."

Überhaupt hat man als wichtigen Punkt erkannt, dass die Parteiarbeit zeitgemäße Formen braucht. "Besonders junge Leute lassen sich auf Projekte, aber nicht mehr auf Ochsentouren über klassische Parteigliederungen ein", sagt Vollrath. In diesem Sinne nahmen Strieder und die Seinen auch das Sommerfest als Gelegenheit wahr, durch den Hauptstadtumzug neu angekommene Mitglieder zu umwerben.

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