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Gedächtnis der Nation Wilfried Seiring.

© Foto Manfred Thomas

Berliner Staatssekretär mit Stasi-Vergangenheit: Ehemaliger Chef der Gauck-Kommission hält Holm für "nicht glaubwürdig"

Der frühere Leiter des Landesschulamts Wilfried Seiring hat viele Stasi-Fälle bewertet. Bei Lehrern wurde im Einzelfall entschieden. Nun äußert sich der Experte zum Fall Andrej Holm.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Herr Seiring, Sie haben in den neunziger Jahren die Gauck-Kommission des Landesschulamts geleitet. Welche Erfahrungen haben Sie mit den Fragebögen zur Prüfung der Stasi-Tätigkeit gemacht?

Oft ernüchternde Erfahrungen, weil wir so viele Unterlagen bekamen und schnell klar war, dass wir nicht alles angemessen durchsehen und entscheiden konnten. So haben wir uns auf die Fälle konzentriert, bei denen ein deutlicher Widerspruch zum Fragebogen sichtbar wurde. Besonders wichtig war die Frage, ob man für die Staatssicherheit gearbeitet, ob man Geld oder Auszeichnungen erhalten hatte.

Wie haben Sie falsche Angaben erkannt?

Durch die Unterlagen der Gauck-Behörde. In solchen Fällen konfrontierte ich die Betreffenden mit dem Widerspruch. Manche wichen aus, denen zeigte ich dann die Einverständniserklärung samt Unterschrift. Die einen gaben zu, falsche Antworten gegeben zu haben. Andere robbten sich langsam an die Wahrheit heran; manche sagten, das sei nicht ihre Unterschrift. Wir wollten damals nicht als siegende Richter auftreten, sondern menschlich anständig und transparent entscheiden. Lieber sollte ein Schuldiger durchgehen, als dass ein Unschuldiger belangt wurde. Aber es ging um Pädagogen, die ihre Glaubwürdigkeit gegenüber Kindern, Eltern und Kollegen bewahren mussten, um in ihrem Beruf noch positiv wirken zu können.

Wie ist erklärbar, dass trotz klarer Beweislage falsche Angaben gemacht wurden?

Bei jenen, die den Lehrerberuf liebten und befürchteten, entlassen zu werden, konnte ich es gut nachvollziehen. Diesen Menschen gab ich den Hinweis, dass sie in einem Rechtsstaat lebten, jede unserer Entscheidungen musste gerichtsfest sein. In Berlin hat sich bei den Lehrern aber niemand eingeklagt.

Waren die Fragebögen denn überhaupt geeignet, den oftmals komplizierten Biografien der Befragten gerecht zu werden?

Es waren klare Sachfragen, die man eindeutig beantworten konnte. Das galt für die Mitarbeit in einer Stasi-Behörde, für finanzielle Zuwendungen, für die Unterschrift unter eine Verpflichtungserklärung oder den Wehrdienst beim Wachregiment Feliks Dzierzcynski. Ich erinnere mich an junge Menschen, die dem Regiment angehörten. Die sind alle Lehrer geblieben, wenn sie Ja angekreuzt haben, das war kein Problem. Aber wer sich per Lüge die Einstellung erschleichen wollte, hatte schlechte Karten.

Ohne Ausnahme?

Ich erinnere mich an eine Lehrerin, die lesbisch war und erpresst worden war. Oder an einen jungen Mann, dem fälschlicherweise ein Studium versprochen wurde. Es gab Umstände, die nachvollziehbar waren. Und wenn klar war, dass der Betreffende niemandem geschadet hatte, haben wir oft Gnade vor Recht walten lassen. Verbunden mit einer Rüge in der Personalakte, einer Gehaltsminderung oder einem befristeten Beförderungsstopp.

Gnade vor Recht – warum nicht auch für den Staatssekretär Andrej Holm?

Herr Holm war bei seiner Einstellung durch die Humboldt-Universität 2005 ein erwachsener Mann, erfahren und im politischen Streit geschult. Er kann sich jetzt nicht damit herausreden, beim Ausfüllen des Fragebogens schludrig gehandelt zu haben. Er hat falsche Angaben gemacht, da hilft kein Schönreden und auch nicht die Behauptung, nach 1989 wie die DDR-Opposition gehandelt zu haben. Wenn früher solche Abwiegler zu mir kamen, hat’s mir immer schon gereicht.

Was empfehlen Sie Herrn Holm?

Herr Holm kann ja in der Senatsverwaltung als Fachmann arbeiten, sofern er einer ist. Aber nicht als Staatssekretär, der als Behördenchef auch für die Personalakten aller Mitarbeiter zuständig ist. Seine Glaubwürdigkeit ist erschüttert, er sollte selbst Konsequenzen ziehen. Oder die Senatorin sollte ihn entlassen, zumal der Regierende Bürgermeister Michael Müller von seiner Richtlinienkompetenz in diesem Fall keinen Gebrauch macht. Die rot-rot-grüne Koalition, die mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 auch bundespolitisch Signale setzen will, wird mit dem Fall schwer belastet und der politische Gegner wird dies dankbar aufgreifen.

Wilfried Seiring, 81, geboren in Frankfurt (Oder), leitete von 1990 bis 1998 das Berliner Landesschulamt. Er ist seit 52 Jahren SPD-Mitglied und Träger des Bundesverdienstkreuzes.

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