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Andrej Holm steht wegen seiner Stasi-Vergangenheit seit Wochen in der Kritik.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Berliner Staatssekretär über Stasi-Debatte: Andrej Holm sieht sich als "Spielball in einem Machtspiel"

Der umstrittene Staatssekretär Andrej Holm hat im Dezember über seine Jugend in einer regimetreuen Familie, frühe DDR-kritische Lektüre – und seine Zeit bei der Stasi gesprochen.

Der wegen seiner Stasi-Vergangenheit umstrittene Berliner Bau-Staatssekretär Andrej Holm hat sich erstmals öffentlich ausführlich über sein Leben in der DDR geäußert. In einem Interview mit der „Zeit“ und dem Tagesspiegel beschreibt sich Holm, dessen Vater hauptamtlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit war, als „ganz normaler Jugendlicher in einem Neubaugebiet, der Fußball gespielt hat. Ich bin auch zu Punkkonzerten gegangen – aber nicht mit der Idee, dass das etwas Oppositionelles wäre, sondern weil es mir gefallen hat. Für mich war eigentlich relativ viel möglich. Man konnte andere Musik hören, zuhause wurde Westfernsehen geschaut.“

Holm sagt, Überwachung und Diskussionen über die Stasi „gehörten in meinem Umfeld nicht zum Alltag“. Seine Eltern hätten die DDR verbessern wollen: „Die haben immer auf den nächsten Parteitag gehofft, freuten sich über Gorbatschow, Perestrojka und Glasnost, waren total schockiert, als in Peking die Proteste niedergeschlagen wurden. Die DDR, die ich kennengelernt habe, war nicht so geschlossen, wie sie in der historischen Betrachtung beschrieben wird. Sie schien mir nicht ein Ort zu sein, in dem man nicht für Veränderungen eintreten kann.“

Antifaschismus sei für ihn keine hohle Phrase gewesen, sondern Familienrealität – „in diesem Sinne war ich überzeugter Sozialist.“

Ausbildung bei Stasi wegen Familie "vorgezeichnet"

Sein Vater, der in Berlin Schriftsteller und Schauspieler überwachte und später als Figur für den Stasi-Offizier im Film „Das Leben der Anderen“ diente, habe ihm Volker Braun und Heiner Müller zum Lesen gegeben und Theaterstücke empfohlen: „Geh da rein, lies das, das ist gute Kunst!“ Vermittelt habe ihm sein Vater „vor allem, dass man auch in der DDR kritisch über Dinge sprechen darf. Die Erfahrung eines autoritären Systems hat bei mir so nicht stattgefunden.“

Seine Bereitschaftserklärung für eine Ausbildung beim MfS bereits als Schüler beschreibt Holm als wegen seiner Familie „vorgezeichnet“ - deshalb habe er auch „nicht ständig darüber nachgedacht, was nach der Schule passiert". Während seiner Zeit beim Wachregiment sei er vor allem in Sorge davor gewesen, an einem Einsatz gegen Demonstranten beteiligt zu werden: „Darüber habe ich mir mehr Gedanken gemacht als darüber, dass dieses große Monstrum Staatssicherheit Menschen überwacht und zersetzt – das war mir zur Wendezeit so noch nicht klar.“ Erst ab 1992 habe er enge Freundschaft mit Leuten gehabt, die im Bürgerkomitee 15. Januar die Stasi mit aufgelöst hatten. „Da habe ich viel über die Systematik der Stasi gelernt. Das hat mir die Augen geöffnet.“ Dass er selber bei der Stasi war, habe er seinen Freunden zwar offenbart, aber: „Die fanden das eigentlich ziemlich uninteressant. Ich hatte ja nichts beizutragen, was sie nicht schon wussten.“

Über seine Zeit nach der Grundausbildung bei der „Auswertungs- und Kontrollgruppe“ sagt Holm, er habe „vielleicht eine Woche lang Berichte gelesen, von Versammlungen, Betriebsratsgründungen oder Parteiversammlungen, auf denen die Stimmung eskaliert ist. Ich weiß aber nicht mehr, ob ich den Auftrag hatte, irgendetwas zu notieren.“ Später sollte er DT-64 hören, das DDR-Jugendradio, und die dort angekündigten Ereignisse notieren. „Wenn meine Erinnerungen heute merkwürdig vage klingen, wenn es um die konkreten Aufgaben geht, dann, weil es für mich keinen regulären Arbeitseinsatz gab. Ich musste Radio hören und bei Bereitschaftsdienst in irgendwelchen Räumen sitzen und bekam um 23 Uhr so etwas gesagt wie: „Die Montags-Demonstration in Leipzig ist jetzt zu Ende, ihr könnt nach Hause gehen.“

"Formalien nicht besonders gründlich ausgefüllt"

Über seinen Status bei der Stasi sei er sich nicht im Klaren gewesen, dieser habe für ihn auch „eigentlich keine Rolle gespielt.“ So erklärt Holm auch seine falschen Angaben in einem Personalfragebogen der Humboldt-Uni im Jahr 2005: „Das ging zack, zack. Was ich mir heute vorwerfen kann, ist mit Sicherheit, dass ich diese ganzen Formalien nicht besonders gründlich ausgefüllt habe.“

Heute sehe er die Stasi als Teil eines Unrechtssystems an „und als ein zentrales Instrument, um Leid über viele Leute zu bringen.“ Unabhängig davon, dass er selbst zu kurz dabei gewesen sei, um jemandem richtig zu schaden, „ist das eine Verantwortung, die ich auch spüre. Ich wäre, wenn die DDR nicht zusammengebrochen wäre, mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit in die Situation gekommen, Teil von diesem Unterdrückungssystem zu werden.“ Deshalb verstehe er auch, wenn jene, die zu DDR-Zeiten verfolgt wurden, heute sagen: Darüber wollen wir reden. Holm kündigte an, dass er gemeinsam mit der Linkspartei Opfer des DDR-Machtapparats zu Gesprächen treffen will.

Dass nicht nur DDR-Opfer seine Stasi-Tätigkeit kritisieren, sei für ihn keine Überraschung: „Ein Politikwechsel, wie er in Berlin eingeleitet wird, zieht eine Menge Gegenwind auf sich.“ Holm sieht sich als „Spielball in einem Machtspiel“: „Wir stecken in einer polarisierten gesellschaftlichen Auseinandersetzung, wo es natürlich auch darum geht, politische Projekte zu verhindern oder durchsetzen zu wollen.“

Gelernt habe er aus seiner Vergangenheit, „dass ein Land, das sehr autoritär und nur mit Druck und Hierarchien funktioniert, die schlechteste Lösung ist, Gesellschaft zu organisieren.“ Heute sei er von der Überlegenheit eines rechtsstaatlichen Systems überzeugt. In Bezug auf seinen eigenen Fall – Holm war 2007 unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung observiert und verhaftet worden, später hob der Bundesgerichtshof den Haftbefehl auf und das Verfahren wurde eingestellt – sagt Holm: „Hier ist es sogar möglich, dass Richter ihre eigenen Fehleinschätzungen korrigieren. Ich bin nicht blauäugig und denke, es gäbe hier keine Institutionen, die auch jenseits von Rechtsprinzipien agieren, aber im Großen und Ganzen funktioniert es ziemlich gut.“

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