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Mit Hut und Rhythmus. Ein britischer Tourist entdeckte Günther Anton Krabbenhöft voriges Jahr auf einem U-Bahnhof – aufgrund seiner Kleidung. Seither ist der Rentner ziemlich gefragt.

© Verena Eidel

Berliner Stadtmenschen im Sommer: "Ich habe Lust auf wildes Tanzen"

Günther Krabbenhöft ist 71 und ziemlich beschäftigt, seit man ihn „Berlins ältesten Hipster“ nennt. Dabei ist er doch einfach nur er selbst.

Die orangefarbene Feder am Hut leuchtet von Weitem unter dem Sonnenschirm auf der Terrasse des Cafés am Engelbecken. Einstecktuch und Socken sind farblich darauf abgestimmt – sie sind die Markenzeichen des 71-jährigen, hoch gewachsenen Mannes, der durch seine Art sich zu kleiden und zu tanzen eine gewisse Berühmtheit erlangt hat.

Herr Krabbenhöft, sind Sie ein Hipster? „Natürlich nicht!“ Der eloquente Rentner weist diese Zuschreibung entschieden von sich. Seitdem ein britischer Tourist ihn im Frühling des vergangenen Jahres am U-Bahnhof Kottbusser Tor fotografierte und das Bild eines stylischen Herrn mit Fliege und Ledertasche via Facebook um die Welt schickte, ist sein Terminkalender ziemlich voll geworden. Als sich dann noch herausstellte, dass er gern im Berghain zu bassgewaltiger Techno- Musik tanzt, war das Bild vom Hipster-Opa aus Kreuzberg perfekt. Es stört ihn nicht, aber sein Selbstbild ist ein anderes. „Ein Opa bin ich nur für meine Enkelkinder“, sagt er. Der Unterschied zur stadtbekannten Hipsterjugend ist offensichtlich: Günther Krabbenhöft sieht viel besser aus. Bart, Männerdutt und Jutebeutel sind ihm fremd, und seiner Meinung nach auch ungeeignet, um herausstechen zu können. „Ich habe mir nie was aus Mode gemacht, aber immer was aus Kleidung.“ Sein Stil sei die äußerliche Entsprechung seiner inneren Persönlichkeit. Er will nicht Avantgarde sein, sondern einfach so, wie er ist. Und so war er schon, bevor er zum Hipster auserkoren wurde.

„Man muss einfach nur den Arsch hochkriegen“

Nicht nur äußerlich widerspricht Herr Krabbenhöft der gängigen Vorstellung über ältere Leute. Der 71-Jährige geht gern tanzen, bevorzugt ins Berghain. Zum Tanztee in Clärchens Ballhaus, das wär nichts für ihn: „Ich lade beim Tanzen meine Akkus auf“, sagt er. „Beim Walzer dauert das zu lange.“ Also stellt er sich schon mal den Wecker auf 4.30 Uhr, um pünktlich zum Sonnenaufgang im Watergate zu sein: „Eine Runde raven und dann frühstücken.“ Nie im Leben würde er sich stundenlang vor einem Club anstellen. Sein Trick: Er geht zu den Zeiten, wenn es keine langen Schlangen gibt. Und so ist er gern gesehener Gast in den Tanzstätten der jungen Leute von Rummelsburg bis Friedrichshain.

Nie zur Primetime, das ist auch sein Tipp, um Berlin zu erkunden. Ein Spaziergang im Viktoriapark oder einmal um den Schlachtensee laufen – beides können sehr sinnliche Erfahrungen sein, vorausgesetzt, es sind kaum Leute unterwegs, also lieber wochentags als am Wochenende. Außerdem schlendert Krabbenhöft gern durch das Grenzgebiet von Kreuzberg und Neukölln. Der Kiez um Weser- und Hobrechtstraße zieht seit Jahren Kreative an, da gibt es jede Menge zu entdecken. Zum Beispiel den Hüttenpalast: Ein Hotel mit nur wenigen Zimmern, dafür mit vielen Wohnwagen in einer ehemaligen Fabrikhalle, die man mieten kann.

Das ist ein bisschen wie verreisen, ohne die Stadt zu verlassen. „Man muss einfach nur den Arsch hochkriegen“, sagt der bewegungsfrohe Flaneur. Und durch Viertel streifen, in denen man länger nicht war. Wirklich geheime Orte finde man dabei zwar nicht mehr, dafür aber immer wieder neue und manche versteckte. Ein solcher, regelrecht verwunschener, Ort ist das Café Finovo auf dem Alten St.-Matthäus-Friedhof an der Großgörschenstraße in Schöneberg. Ton-Steine-Scherben-Sänger Rio Reiser und die Märchenbrüder Grimm liegen dort begraben. Bunte Holzbänke und Tische mit Blümchendecken stehen vor dem mit Efeu umrankten Haus direkt am Eingang des Friedhofs. Hier ist es still und grün und unaufgeregt. Pfirsich-Käse-Kuchen unterm Sonnenschirm vor der Kulisse monumentaler Grabstätten – Rio Reiser hätte das sicher gefallen.

Sie haben ihn animiert, als Rentner in Techno-Clubs zu gehen

An einem freien Tag, also wenn keine Interview- oder Fototermine anstehen, beginnt der gefragte Rentner gern mit der Lektüre des Tagesspiegels und einem ausgiebigen Frühstück, zum Beispiel im Café am Engelbecken. Der Blick von unten auf die Häuserfassaden am Legien- und Leuschnerdamm ist weitläufig, das Panorama hat etwas Majestätisches. Zu DDR-Zeiten verlief hier direkt die Mauer – wer hätte damals gedacht, dass man heute zwischen Schilfrohr und Entengeschnatter mediterranes Flair genießen kann?

Seit 30 Jahren wohnt Günther Krabbenhöft in einem ehemaligen besetzten Haus an der Admiralbrücke. Ihm fällt zunehmend auf: „Man sieht kaum noch eine Omma mit Krückstock im Kiez.“ Nicht, dass er eine suchen würde, aber die soziale Vielfalt schrumpft, was er schade findet. Er fühlt sich dennoch wohl dort und schätzt die jungen Leute, „um den Kontakt zur Jetztzeit zu halten“, wie er sagt. Sie haben ihn animiert, als Rentner in Techno-Clubs zu gehen. „Ich hatte zunächst diese Schere im Kopf, habe mir das Raven versagt, weil ich meinte, ich könnte das nicht bei der Jugend machen. Ich dachte, es wäre unpassend, aber das war falsch, ich wurde freudig begrüßt.“ Dann ist es Zeit, mit seiner Managerin das Abendprogramm zu besprechen. Dr. Motte hat eingeladen, seinen 56. Geburtstag zu feiern, im Suicide Circus auf dem RAW-Gelände. Da darf Herr Krabbenhöft natürlich nicht fehlen.

Mehr Berliner mit interessanten Geschichten haben Lucia Jay von Seldeneck und Verena Eidel recherchiert: „111 Berliner, die man kennen sollte“ ist vor Kurzem im Emons Verlag erschienen (240 Seiten, 16,95 Euro).

Unsere Serie: Die Serie Stadtmenschen im Sommer erscheint in Kooperation mit Checkpoint, dem täglichen Newsletter des Tagesspiegel-Chefredakteurs Lorenz Maroldt. In den Sommerferien erscheint der Checkpoint immer montags. Parallel dazu stellen wir die Menschen in der gedruckten Zeitung ausführlicher vor. Bisher erschienen: Kolumnistin Pascale Hugues, Bademeister Andreas Scholz und die Stadtimkerin Erika Mayr.

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