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Berliner Szene: Die Gema ist kein gefräßiger Clubkiller

Die Gema ist schuld, wenn das Clubleben stirbt, sagen die Clubs, sagt die Politik – eine bequeme Lebenslüge. Der Kommerz ist längst da – aber die Kreativität ist passé. Das kann's doch nicht gewesen sein!

Ganz Berlin hat einen Gegner: die Gema. Der Bürokratenhaufen aus der Zeit der Schellackplatte, der sich einschläfernd-harmlos „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ nennt, geriert sich als gefräßiger Clubkiller. Mit ihrer neuen Gebührenordnung greift sie das Allerheiligste an, das diese Stadt zu bieten hat, ihre emotionale Existenzgrundlage, ihren Marketingstolz: die Tanzveranstaltung.

Zehn Prozent vom Eintrittspreis sollen künftig an die Gema gehen – unmöglich, sagen die Clubbetreiber. Die Gebühren würden, je nach Art des Events, um das Vierfache, Fünffache, zuweilen sogar um das Zehnfache steigen. Vom Berghain etwa heißt es, statt 30.000 Euro im Jahr seien dort demnächst 300.000 Euro fällig. Da kann man schon auf die Idee kommen, das sei unverschämt teuer, und dass es gut und richtig ist, dass das zuständige Patent- und Markenamt eingreift. Man kann aber auch auf die Idee kommen, dass es bisher unverschämt wenig war, was manche Clubs von ihrem Gewinn an diejenigen weitergereicht haben, ohne die es ihr Geschäft gar nicht gäbe.

Die Gema ist kein Selbstzweck, sondern der Dienstleiter von Komponisten, zu deren Musik getanzt, gefeiert und getrunken wird. Ohne Gema hätten sie keine Zeit, neue Musik zu schreiben, denn sie müssten sich selbst darum kümmern, das einzusammeln, was ihnen zusteht, wenn ihre urheberrechtlich geschützten Werke öffentlich von anderen zum Geldverdienen genutzt werden. Ohne Gema wären die meisten Musiker gar keine mehr, jedenfalls nicht beruflich, sondern Müllwerker oder Mathelehrer. Viele kämen ohne das Geld, das sie von der Gema für ihre angemeldeten und gespielten Werke bekommen, nicht über die Runden, nicht mal in Berlin.

Es gibt eine Menge Gründe, an der Gema zu zweifeln: die überkomme Trennung von ernster, unterhaltender und funktionaler Musik; der Irrglaube, dass jedes Lied Anfang und Ende braucht, so als wäre auch die musikalische Welt immer noch eine Scheibe; der dissonante Verteilungsschlüssel, generell die Mitgliedsbeiträge; und auch die neue Gebührenordnung wirkt nicht konzertant.

Aber diese spezielle Kritik an der Gema, ob wegen ihres Kampf gegen die Monopolmilliardäre von Google, die auf ihrem Videoportal Youtube ganz ungeniert Kunst klauen lassen, ob wegen höherer Gebühren für Clubs und Diskotheken – das ist vor allem der Ausdruck piratöser Larmoyanz, die es als große Ungerechtigkeit empfindet, für die künstlerische Arbeit anderer auch noch bezahlen zu müssen, bloß weil man damit Geld verdient.

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Dazu passt der dialektische Berlinismus der Veranstalterinitiative, deren Sprecher der zuweilen verpeilte Loveparade-Veteran Dr. Motte ist. Gewarnt wird vor einer „Kommerzialisierung“ – als würden die Clubs von selbstlosen Samaritern betrieben, die den verelendenden Massen von Spendengeldern finanziertes Alpirsbacher Heidelbeer-Mönch servierten. Dabei handelt es sich bei den meisten – anerkennend angemerkt – um gewiefte Geschäftsleute, die ihre Politik gelernt haben. Deren öffentliche Rechnung geht so: höhere Gema-Gebühren, höherere Eintrittspreise, weniger Touristen, Berlin am Ende. Und es funktioniert! Schon ereifern sich choral Politiker aller Parteien, als sei tout Berlin nichts als ein einzigartiger Club, der wie ein vom Aussterben bedrohter schräger Vogel mit allen Mitteln vor der grausamen Gema gerettet werden müsse.

Aber ist die Gema tatsächlich schuld an allem, neben bösen Nachbarn und kündigungswütigen Eigentümern? Und ist das alles wirklich noch so einzigartig? Anderswo in Europa zahlen die Clubs auch hohe Gebühren, und da ist trotzdem was los – offenbar mehr, als so manchem hier recht ist. Es stimmt ja: Das Prekäre, Provisorische hat viel vom Charme der Szene ausgemacht, auch das Gefährliche. Aber das nutzt sich ab. Wenn das Besondere immer dasselbe Besondere ist, dann ist es eben nicht mehr besonders und nicht mehr besonders anziehend, auch nicht für Touristen.

Und wenn dann die Billigflieger nicht mehr billig fliegen, zieht der Easyjetset schnell mal woanders hin. Die Kommerzialisierung ist längst passiert – aber die Kreativität ist passé. Wo kommt das aufregend Neue, Spektakuläre? Die große Idee? Dr. Motte ist der Erfinder der Loveparade – eine große Sache, als sie noch klein war. Heute macht er eine Latschdemo gegen die Gema, und alle latschen mit. Das war’s.

Das kann’s doch nicht gewesen sein!

Lesen Sie hier die Gegenposition von Dr. Motte

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