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Berlin: Berliner U-Bahn: Oben ohne durch die Nacht

Dröhnend rattert die Diesellok durch die Dunkelheit. Der Fahrtwind riecht hier - tief unter der Erdoberfläche - nach Diesel, feuchtem Moder und Muff.

Dröhnend rattert die Diesellok durch die Dunkelheit. Der Fahrtwind riecht hier - tief unter der Erdoberfläche - nach Diesel, feuchtem Moder und Muff. Auf umgebauten nach oben offenen Werkstattwaggons haben sich mitten in der Nacht 150 Neugierige versammelt. Alle tragen gelbe Bauhelme und wollen den Eindruck erleben, der sonst nur den U-Bahn-Zugführern vorbehalten ist: Tunnelatmosphäre live. "Mit dem Cabrio in die Erlebniswelt der Berliner U-Bahn" - so preist die BVG ihre ungewöhnliche Stadtrundfahrt durch den Untergrund an. Die Nachfrage ist enorm. Karten sind schon Wochen im Voraus ausverkauft, Wartezeiten von drei Monaten keine Seltenheit, bis es endlich heißt: "Freie Fahrt" zur "Tunnel-Tour-Berlin".

In den Nächten von Freitag auf Sonnabend kurz nach Betriebsschluss geht es los. Drei mit Stahlrohr-Klappstühlen bestückte Plattformwagen der BVG rollen aus dem Bahnhof Alexanderplatz und verschwinden in der dunklen Röhre zur zweieinhalbstündigen Nachtfahrt. Die Fahrgäste sitzen wie im übervollen Ärzte-Wartezimmer eng gedrängt und starren Rücken an Rücken in die Dunkelheit. Nur langsam gewöhnen sich die Augen an das trübe Tunnellicht. Erste Einzelheiten, wie die roh behauenen Tunnelwände, die peinlich genau fixierten Kabelkanäle und die Signalanlagen heben sich aus dem Halbdunkel ab. Und noch etwas fällt ins Auge: Graffiti, überall Graffiti. Für wen sind die gemacht, fragt man sich, fallen doch dem im normalen Tagesbetrieb vorbeisausenden Fahrgast die Pinselstriche und Sprühbilder überhaupt nicht auf.

Durch einen Verbindungstunnel wechselt der Zug zunächst vom Gleis der U 5 auf die Strecke der Linie 8 mit dem ersten Ziel Hermannplatz. Auf den 23 Kilometern der Rundfahrt passiert die Cabrio-Bahn immer wieder Aufstellanlagen und Wendestellen - riesige U-Bahn-Garagen, die enorm viel Platz benötigen, um die parkenden Züge aufzunehmen. Weiter auf der Strecke: Verzweigte Röhrensysteme, Verbindungstunnel überall, geheimnisvolle Schächte ins Nichts - Berlin von unten wirkt wie eine Stadt auf einem riesigen Termitenhügel.

Auf der Linie 7 geht es weiter bis Mehringdamm, dann auf der U6 hoch in den Norden. Alle Signale stehen auf grün, die fahrplanmäßigen Züge sind längst weg, die Bahnhöfe wirken ausgestorben. Allenfalls einzelne Nachtschwärmer, die den letzten Zug verpasst haben, tummeln sich auf dem ein oder anderen Bahnsteig und amüsieren sich über den Anblick der Gelbbehelmten auf U-Bahn-Kaffeefahrt.

Während der Fahrt unterhält ein Zugbegleiter mit Anekdoten über Bahnhofsbauten, Gleisanlagen, Bunkeranlagen und die Trennung der Tunnellandschaft in Ost-und West-Berlin. Schilder mit der Aufschrift "Übergang" markieren die Punkt der Ex-Grenze. Vier Mal passiert die Cabrio-Bahn die ehemalige Grenzlinie, jedes Mal ist es hell im Tunnel - das Blitzlichtgewitter der Hobbyfotografen, die sich diesen Schnappschuss nicht entgehen lassen wollen.

Nach eineinhalb Stunden der erste Zwischenstopp auf dem U-Bahnhof Seestraße. Zeit die Beine zu vertreten, mit dem Lokführer zu fachsimpeln, die letzten Fotos zu schießen oder sich auf die vergebliche Suche nach etwas Essbarem zu begeben. Einem der Hobbyfotografen missfällt der mangelhafte Service auf dem Bahnsteig. Er mault über seinen knurrenden Magen und beklagt sich über den hier fehlenden Imbiss. Tunnelluft macht hungrig.

70 Mark pro Person kostet die Erlebnistour durch den Untergrund. Ein stolzer Preis für zweieinhalb Stunden Dunkelheit, zumal wirklich Neues nicht zu sehen ist. Die Fahrt verläuft auf den Gleisen des normalen Regelbetriebs. Die diffuse Hoffnung, auf geheimnisvollen, unbekannten Gleisen durch halbfertige oder längst vergessene Bahnhöfe zu fahren, erfüllt sich nicht.

Um drei Uhr nachts geht es auf die letzte Etappe über die Gleise der U9 und der U8 zurück zum Ausgangspunkt Alexanderplatz. Bei der Einfahrt in den Bahnhof um halb vier schlägt der abgestandene Tunnelmuff in leckeren Brötchenduft um. Freude in den Augen des hungrigen Fotografen: Der Croissantstand auf dem Bahnsteig hat schon geöffnet.

Carsten Loth

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