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Berliner Verbrechen: Auf eigene Rechnung

Die Krimi-Autorin Pieke Biermann erzählt wahre Fälle: Die Finanzkontrolleure vom Zoll ermitteln in Sachen Schwarzarbeit – vor allem auf dem Bau und in Restaurants haben sie zu tun.

Am B-Ort – B wie Bereitstellung – rauchen die Raucher eine, während Lars die Akten- und Faktenlage zusammenfasst. Tommi und Ronni stoßen als letzte dazu, das liegt daran, dass sie als erste da waren. Sie sind auch die einzigen in Zivil, sie observieren vorab die Einsatzorte. Es geht um ein Chinarestaurant in Wedding, ein langer Schlauch mit Fensterfront zwischen einer Haustür und dem Eingang. Tommi weist ein: „Wenn wir um die Ecke sind, könnt ihr los, aber zügig, wir müssen den ganzen Weg wieder zurück.“ Die Küche, in die sie sollen, liegt etwa da, wo alle gerade stehen, nur innen. „Zwei Frauen haben wir vorne gesehen.“ Lars nickt. „Gut. Werner, Cathrin und ich bleiben vorne, der Rest – Küche.“

Der Rest sind Ronni, Josef, Ramin und Tommi. Zusammen sind sie eins der vier Teams der FKS, der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Berlin. Und heute hat sich der Pressesprecher wieder mal angeschlossen, „Außendienst schnuppern“. Von Michael Kulus darf man den ganzen Namen veröffentlichen, die andern wollen es beim Vornamen belassen. Sicher ist sicher.

Das Restaurant ist groß, gepflegt und gähnend leer. Nur ganz hinten, kurz vor der Küche, sitzen an einem Tisch ein Studentenpärchen, am anderen Vater, Mutter und zwei Kinder. Halb neun abends, Essenszeit, und keiner der Gäste sieht aus, als ob die Berliner Gastronomie ihm ihren Boom verdankt.

„Verdammt viele Hackebeilchen hier!“, sagt Kulus stirnrunzelnd, als er das Reich des chinesischen Kochs betritt. Um den geht es. Die FKS hat den Hinweis „Verdacht illegale Beschäftigung“ bekommen. Tommi blättert durch die Papiere. Der Koch ist seit Jahren hier und hat den zweithöchsten Status, eine Aufenthaltserlaubnis. „... erlischt mit Beendigung der selbständigen Tätigkeit, aha“, liest Tommi vor. Der Koch hatte mal ein eigenes Restaurant, aber jetzt ist er angestellt, und das hat ihm bisher niemand erlaubt. Plötzlich poltern drei Zöllner quer durch die Küche zum Hinterausgang. Der führt in den Hausflur. Die beiden Chinesinnen vorne wohnen auch im Haus, ihre Papiere sind in der Wohnung. Also vier Treppen hoch. Die Tür macht ein Mann auf, der mitteleuropäisch und mittelalt aussieht. Er zeigt leicht mürrisch, wo die Pässe zu finden sind. Das wenige, was er sagt, klingt nach russischem Akzent. Zwei Kinder wuseln um ihn herum. Er sei der Ex-Mann der einen Chinesin, Franzose, nur kurz auf Besuch.

Unten am Tresen sitzt Cathrin mit der anderen Chinesin an einem der vielen freien Tische und versucht eine Befragung. Die gestaltet sich schwierig, die Frau beherrscht Deutsch weder passiv noch aktiv. Am Tresen entwickelt sich derweil ein lebhaftes verbales Gefecht zwischen der Ex-Frau des russisch akzentuierten Franzosen und Werner, dem Zöllner mit der längsten Erfahrung in Sachen illegale Beschäftigung. Er macht solche „Razzien“ seit 1995, zuerst beim Arbeitsamt, seit 2004 – als der Deliktbereich auf den Zoll überging – hier. Die Frau spricht gut Deutsch, und sie schmeißt eindeutig den Laden. Trotzdem beharrt sie darauf, hier keineswegs zu arbeiten. Werner entnimmt den Papieren, dass sie seit Jahren Arbeitslosengeld bezieht. Hat sie ihre Tätigkeit hier dem Jobcenter gemeldet? Nein, sie hat keine Tätigkeit hier. Sie schaltet jetzt um auf hochfrequente Empörung. Arbeit sei, wenn man einen Vertrag hat und Geld bekommt, sie könne aber gar nicht arbeiten, sie habe zwei Kinder. Werner erklärt ihr zum vierten Mal, immer wieder unterbrochen, was sie genau weiß und sogar mal unterschrieben hat. Wer ALG bekommt, muss quasi minütlich zur eventuellen Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Das tut er nicht, wenn er irgendwo anders arbeitet. Er darf es ja gern, aber er muss dem Jobcenter melden, wo, wie lange und für wie viel Geld. Danach bemisst sich auch die Höhe des ALG. Wer das verheimlicht, bezieht Sozialleistungen zu Unrecht. Das ist mindestens eine Ordnungswidrigkeit, geahndet mit bis zu 5000 Euro Bußgeld. Bei Vorsatz ist es sogar Betrug, eine Straftat, die auch Haftstrafen nach sich ziehen kann.

Knapp 23 000 Menschen hat die FKS 2006 überprüft, gut 3000 Arbeitgeber, der große Rest Arbeitnehmer. Um Lappalien ging es dabei nicht, sondern um über zehn Millionen Euro Schaden nur in Berlin und knapp zweieinhalb Millionen Bußgeld. Die Zahlen für 2007 sind noch nicht da, aber die Tendenz ist mindestens gleichbleibend. Nach wie vor größtes illegales Beschäftigungsfeld ist die Baubranche, gleich danach kommt die Gastronomie. Etwa ein Viertel ihrer Arbeit, schätzt Lars, geht in die SSW, wie sie beim Zoll gekürzelt wird: die Schank- und Speisewirtschaft. Lars ist immer schon Zöllner, seit 1996 dabei und heute Zolloberinspektor und Teamleiter. Die Chinesin schwenkt, nachdem Werner etwas lauter wurde, von Arbeitsdefinitorischem um auf Erregung öffentlichen Mitleids. Feuchte Augen, erstickte Stimmlage, die zwei Kinder... „Und was ist jetzt?“, fragt Lars dazwischen. „Jetzt haben Sie die doch auch, sind aber hier und bedienen, kassieren, ich hab die Gäste gefragt.“

Cathrin hat dank der Papiere von oben inzwischen herausgefunden, dass „ihre“ Chinesin die Ehefrau eines Franzosen ist. Auf den ist auch der Gewerbeschein ausgestellt. Der sei aber gerade nicht da oder in Frankreich oder sowieso nur der Ex-Mann oder was auch immer. Immerhin kriegt sie keine Sozialleistungen und darf arbeiten, was und wie lange sie will. Nur kann sie es – de facto – in diesem Restaurant kaum. Sie versteht nicht mal, was Gäste bestellen. Für Freunde des modernen Krimis sieht der ganze Laden aus wie die typische Fassade organisierter Kriminalität – zur Tarnung von Geldwäsche, Schmuggel oder sonstiger OK, wie man sie aus den „Chinatowns“ und „Little Italys“ und „Klein-Odessas“ dieser Welt kennt. Aber ob das hier ein Triaden-Vorposten ist oder nicht, darf die FKS nicht interessieren. Der Zoll untersteht dem Bundesfinanzministerium, und die Arbeit der FKS ist auch präventiv. „In dem Café, wo wir vorhin waren“, sagt Lars, „war bei der letzten Kontrolle einer als geringfügig beschäftigt gemeldet, der hat aber Vollzeit gearbeitet.“ Den haben sie gewarnt, dass sie ihn im Visier haben, und wenn er nächstes Mal nicht voll angemeldet ist, gibt’s Ärger. Denn die FKS meldet es dem Jobcenter auf jeden Fall. „Jetzt ist er voll angestellt, und der Staat spart nicht bloß Leistung, er nimmt auch ein!“

Der freundliche chinesische Koch bekommt eine PEB, eine Passeinzugsbescheinigung. Sein Pass geht zur Ausländerbehörde, er kriegt ihn wieder, wenn er die Arbeitserlaubnis für angestellte Arbeit beantragt, die vermutlich kein Problem ist. Über die partout nichtarbeitende, aber offensichtliche Chefin wird ihr Jobcenter informiert, das klärt die Sache weiter.

„Unser täglich Brot“, grinsen alle, als sie zum B-Ort zurückgehen. Die Raucher rauchen nochmal eine, bevor sie zum nächsten Einsatz fahren. Eine Stunde hat der hier gedauert. Es ist der fünfte heute, drei werden noch kommen. Fünf, sechs Anzeigen gehen täglich ein, und die FKS muss ihnen nachgehen, auch wenn sie dabei feststellt, dass bloß irgendwer irgendwen anschwärzen wollte. Beim Zoll ruft öfter mal die Mutter an, die dem unterhaltsscheuen Ex eins auswischen will und erklärt, der arbeite auf dem Bau für 1000 Euro schwarz.

200 Zöllner arbeiten in der Berliner FKS, 45 von ihnen machen Kontrollen vor Ort, in extrem biounrhythmischen Wechselschichten, die restlichen 150 sind zuständig für „Prüfung und Ermittlung“ (PuE) sowie „Ahndung“. Die Einsätze vor dem Chinarestaurant heute waren ähnlich knibbelige Geduldsspiele. In einem türkischen Imbiss wollte ein Mittvierziger weismachen, er arbeite erst seit gestern da, drei Stunden pro Tag zu je fünf Euro, und bestreite davon seinen Lebensunterhalt.

In einem anderen türkischen Restaurant in Wedding, diesmal riesengroß, gepflegt, rappelvoll, waren dreizehn Angestellte und ein Chef zu überprüfen. Niemand ist erfreut, wenn mitten im dicksten Geschäft sieben zumeist uniformierte und sichtbar bewaffnete Beamte einfallen. Von einigen Gästen kamen missgünstige Blicke und das notorische Murren: „Eh - Zoll? Wat woll'n die’n hier? Sind die nich anne Grenze?“ In diesem Laden waren alle kooperativ und ordentlich angemeldet, soweit vor Ort feststellbar.

Begonnen hatten die Einsätze am frühen Nachmittag unten, am andern Ende der Stadt. Der deutsche Besitzer eines Steakhauses mit seltsam niedrigen Preisen hatte vor Gästen geprahlt, er halte die mit Schwarzarbeit. In der Küche stand ein freundlich-kooperativer junger Jordanier mit Zweistunden-Minijob zu fünf Euro auf die Hand, angemeldet. Er habe noch zwei so Minijobber, flötete der Wirt, und mache den Rest selber – Küche, Tresen, Kellnern. Zollobersekretär Josef hatte ad hoc eine Plausibilitätsprüfung gemacht. „Der hat 84 Plätze, zwei Terrassen und elf Stunden am Tag geöffnet. Wird’n bisschen schwierig. Aber das macht unsere PuE, die wird hier bald aufschlagen und sich an die Bücher machen!“ Und dann könnte wieder mal jemand Insolvenz anmelden und auf Buß- oder Strafgeldern sitzen. Oder im Knast.

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