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Berliner Wasserbetriebe: Kampf ums Wasser

Das Wasser ist zu teuer, meinen sie. Und dass die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe der Hauptstadt schadet. Eine Initiative kämpft für die Offenlegung aller Verträge und sammelt Unterschriften für ein Volksbegehren – noch zwei Tage lang.

Der Stoff, von dem es heißt, dass um ihn die Kriege der Zukunft geführt werden, fällt in dünnen Strichen vom Berliner Himmel, auf Dächer und Straßen, mitten in die Gegenwart und an Fenstern vorbei, hinter denen längst schon gekämpft wird. Mit allen Waffen, sagt der Senator. Mit Gehirnwäschekampagnen, sagt der Bürgerbewegte. Der Kapitalist sagt, mit Botschaften, die den Tod bringen. Es sind bloß Wortgefechte, aber sie bringen etwas mit sich, was auch auf wirklichen Schlachtfeldern geschieht. Irgendwann versinkt alles im Nebel.

Der Kampf geht ums Wasser, darum, wer es in die Stadt zu bringen hat und wieder aus ihr hinaus, ob diese Aufgabe die Privatwirtschaft erledigen soll oder ein Staatsbetrieb. Und darum, wie viel die Öffentlichkeit darüber wissen darf.

Die Bürgerinitiative „Berliner Wassertisch“ verteilt Unterschriftenbögen, auf denen steht: „Volksbegehren über die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben. ,Schluss mit Geheimverträgen – Wir Berliner wollen unser Wasser zurück‘.“

Wesentlicher Inhalt des Volksbegehrens: 1999 wurden die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert. Wer unterschreibt, will „die Offenlegung der Verträge, über die das Land Berlin mit den privaten Investoren Stillschweigen vereinbart hat, per Gesetz erreichen“.

Thomas Rudek sitzt in einem Ladenbüro in Prenzlauer Berg, es ist der Donnerstag vergangener Woche, er schreibt eine Pressemitteilung, „Gegenwärtiger Stand gesammelter Unterschriften: Zwischen 160 000 und 165 000, erforderliche Zahl gültiger Unterschriften: 172 000, eingegangene Spenden: 15 000 Euro“. Draußen vorm Schaufenster fällt der Regen vom Himmel, drinnen auf dem Tisch steht ein Plastikkorb der Post, darin liegen in Umschläge verpackte Listen, „schätzungsweise 3000 Unterschriften“, sagt Rudek. Die Ausbeute eines Tages. Aller Voraussicht nach werden die nötigen 172 000 zusammenkommen. Bis Dienstagnacht wird der „Wassertisch“ selber sammeln, die Bürgerämter nehmen bis Mittwochmittag Unterschriftenlisten entgegen.

Angefangen hat alles im Jahr 1999. Damals verkaufte der Senat einen Anteil von 49,9 Prozent an den Berliner Wasserbetrieben. Die Öffentlichkeit bekam die entsprechenden Verträge nicht zu Gesicht, bis heute ist das so. Die Vertreter des Gemeinwesens also enthalten diesem Gemeinwesen bis heute Verträge vor, in denen der Verkauf und spätere Betrieb des einstigen Eigentums dieses Gemeinwesens geregelt werden. Auch die Volksvertreter im Parlament wurden bis vor Kurzem daran gehindert, sämtliche Unterlagen zu sehen.

Das ist das eine. Das andere sind die Schlussfolgerungen, die sich aus dieser Geheimhaltung ergeben. Rudek und seine Mitstreiter sind überzeugt davon, dass in diesem Vertrag Dinge stehen, die Berlin und den Wasserkunden schaden.

Dinge wie diese: „Soweit die Nachteile der Berliner Wasserbetriebe … nicht ausgeglichen werden, verpflichtet sich das Land Berlin, … die geringeren Gewinne oder höheren Verluste … in vollem Umfang auszugleichen.“ Der Satz ist Teil des Paragrafen 23 im sogenannten Konsortialvertrag und im Original erheblich länger und mit etlichen Einschränkungen versehen, doch es gibt Juristen, die aus ihm eine Gewinngarantie herauslesen: Die privaten 49,9-Prozent-Teilhaber bekommen vom 50,1-Prozent-Teilhaber Berlin eventuelle Gewinneinbußen erstattet, und die Höhe des Gewinns ist offenbar festgelegt.

Es gibt aber auch Juristen, die das bestreiten, und welche, die mit anderen Begriffen argumentieren, sie benutzen das Wort Gewinngarantie nicht. Das klingt dann meist so ähnlich wie die derzeitige Sprachregelung des Landes Berlin: Eine nachträglich veränderte Geschäftsgrundlage – das Berliner Verfassungsgericht hatte im Jahr 1999 etwas gegen die Verträge einzuwenden – habe Ungleichgewichte geschaffen, auf deren Ausgleich die privaten Investoren einen Anspruch gegenüber dem Land Berlin haben.

Auch diese Sprachregelung ist im Original länger, und wer all diese amtlichen Wassertexte liest, der versteht Rudeks Not, wie er den Berlinern begreiflich machen soll, worum es ihm geht. Der versteht vielleicht auch seinen Groll auf die Medien, die seiner Meinung nach und verglichen mit zwei anderen Berliner Volksbegehren so wenig über seinen Kampf berichten, obwohl es doch um so viel geht. Ohne Religionsunterricht oder den Tempelhofer Flughafen kann ein Mensch leben, ohne Wasser nicht.

Die Berliner Wasserbetriebe sind das größte Wasserunternehmen in Deutschland. Ihre 7800 Trinkwasserleitungs- und 9500 Abwasserkanalkilometer führen zu 3,4 Millionen Menschen in der Stadt und zu 300 000 im Umland. Die Wasserbetriebe betreiben 700 Brunnen, neun Wasser- und sechs Klärwerke. Sie sanieren das Grundwasser, reinigen im Stadtteil Tegel einen See und füllen welche im Grunewald. 192 Millionen Kubikmeter Trinkwasser verkauften sie im vergangenen Jahr, 530 000 Kubikmeter am Tag, an jeden Einwohner Berlins gingen davon im Durchschnitt 110 Liter.

192 Millionen Kubikmeter Wasser, das entspricht 192 Würfeln, jeder mit einer Kantenlänge von 100 Metern. Allzeit verfügbar, flüssig, flüchtig, durchsichtig. Unabdingbar und geringgeschätzt. Sein Erregungspotenzial ist dürftig.

So kam Rudek und den anderen vom „Berliner Wassertisch“ die Idee, Material zu sammeln. Belastendes Material, möglichst plakativ, Dinge weit weg von den Wasserverträgen, die Aufschluss geben sollten über das grundsätzliche Wesen der Konzerne RWE und Veolia, den beiden privaten Gesellschaftern der Wasserbetriebe. Rudek wollte etwas anschaulich machen. Und so zeigen die Leute vom „Wassertisch“ auf ihren Diskussionsveranstaltungen dieser Tage den Dokumentarfilm „Water Makes Money“, der die Erfahrungen französischer Städte mit Veolia zum Thema hat. Veolia gibt dort ein fragwürdiges Bild ab, der Konzern spielt im Film die Rolle des Korrumpierers, Wasserverschwenders und Wasservergifters.

Rudek und seine Mitstreiter kamen noch auf eine andere Idee. Auf die mit der Gummiente.

Die Gummiente kommt in der Werbung der Wasserbetriebe vor, in Zeitungsanzeigen, auf Plakaten in der Stadt. Rudek sagt, „die Bevölkerung wird ganz subtil, von der Wahrnehmung her, positiv beeinflusst.“ Und dann sagt er „Gehirnwäschekampagne“.

Der „Wassertisch“ gab eine solche Gummiente an ein Labor. Vielleicht ließe sich ja etwas in ihr finden, irgendetwas Schädliches, irgendein Gift. Das Labor indes fand nichts, und Rudek vermutet dahinter seine eigene Ungeschicklichkeit, denn der „Wassertisch“ wählte ein Labor in Berlin, und das habe gute Kontakte zu Veolia, beweisen aber könne er nichts. Bei Veolia sagen sie, dass es sich ihrer Kenntnis entziehe, welches Labor den „Wassertisch“-Auftrag bekommen hat. Bei Veolia kennen sie aber den Dokumentarfilm. In ihm wird auf wissenschaftliche Erkenntnisse verwiesen, nach denen das Wasserdesinfektionsmittel Chlor krebserregend ist. Veolia benutzt Chlor, in Frankreich, in Thüringen – jedoch nicht in Berlin. „Bringen Sie diese Botschaft mal in die Dritte Welt. Das gibt Tote.“

Rudek kämpft schon lange. Der „Wassertisch“ hat im Jahr 2007 schon einmal Unterschriften gesammelt, 40 000, es war der „Antrag zur Zulassung eines Volksbegehrens“. 2008 wies der Berliner Senat diesen Antrag ab. Der „Wassertisch“ klagte vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof. Der entschied 2009: Das Volksbegehren zur Offenlegung der Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe ist zulässig. Im Juni dieses Jahres dann begann die derzeitige Unterschriftensammlung.

Michel Cunnac sagt: „In solchen Momenten bemerkt man: Es ist zwar viel gesagt worden, in so vielen Jahren, aber dennoch fehlt so viel Verständnis.“ Cunnac sitzt auch in einem Büro, auch vor seinem Fenster regnet es, und auch er hat sich Material besorgt, genau wie Rudek, doch welches zu seiner Verteidigung. Außerdem ist sein Büro weiter oben, sechster Stock, und die Adresse heißt Unter den Linden. Denn Cunnac ist Geschäftsführer der Veolia Wasser GmbH, und er ist im Aufsichtsrat der Berliner Wasserbetriebe. „Und dann hören Sie, das Volksbegehren würde für eine Preissenkung sorgen.“

Das ist nämlich der nächste Vorwurf. Die Berliner Wasserpreise seien hoch, und sie seien es deshalb, weil die Privatisierungsverträge so schlecht sind. Beim Posten Abwasser trifft das tatsächlich zu, das Bundeskartellamt ermittelt seit März. Cunnac legt zwei bedruckte Din-A4-Blätter auf den Tisch. Auf dem einen Blatt sind Tabellen, die „Langfristige Erfolgsplanung“ der Berliner Wasserbetriebe aus dem Jahr 1997. 8 Mark 30 kostete der Kubikmeter damals, bis 2006 sollte der Preis auf 10 Mark 70 steigen. Auf das andere Blatt hat Cunnac eine Grafik drucken lassen, rote Balken markieren Jahr für Jahr die langfristigen Erfolgsplanungswerte der noch komplett in öffentlicher Hand befindlichen Wasserbetriebe, und eine blaue Linie zeigt den Verlauf der dann tatsächlich erfolgten Preissteigerungen der nunmehr halb privat, halb städtisch geführten Firma. Die blaue Linie ist flacher. Der Wasserpreis war stets kleiner als in der Erfolgsplanung vorgesehen.

Cunnac legt das nächste Blatt auf den Tisch. Wieder eine Grafik. Und wieder ein Argument. In Berlin wurde in bislang jedem Jahr weniger Wasser verkauft als in jener Planung aus dem Jahr 1997 kalkuliert. Das erhöht den Preis fast zwangsläufig, denn an der Infrastruktur – Rohrleitungen, Abwasserkanäle – und deren Kosten ändert sich deswegen fast nichts.

Cunnac zeigt noch eine Tabelle. In der steht, dass Berlin aus seiner 50,1-Prozent-Beteiligung heute mehr Einnahmen zufließen als vor der Privatisierung. Und dann zieht er seinen entscheidenden Trumpf. Veolia und RWE haben im vergangenen Jahr eine Studie erstellen lassen. In ihr wird belegt, dass die Renditen der beiden Firmen seit 2003 überdurchschnittlich hoch sind. In dieser Studie steht auch der Satz: „Würde sich dieser Trend fortsetzen, wäre dies auch vor dem Hintergrund des vergleichsweise geringen unternehmerischen Risikos im Wassergeschäft nicht zu rechtfertigen.“ Kritik an der Gewinnabschöpfung, in einer selbst in Auftrag gegebenen Studie! Cunnac sagt, dass man die eigene Gesprächsbereitschaft nun wirklich nicht besser habe signalisieren können.

Aber seit dem Beginn der Kartellamtsermittlung wird offenbar nicht mehr miteinander gesprochen, jedenfalls nicht über eine mögliche Neufassung der Verträge.

Die Verträge: 180 Aktenordner füllen sie, 119 Ordner stehen beim Finanzsenator, 61 beim Senator für Wirtschaft.

Wirtschaftssenator Harald Wolf war im Jahr 1999 Oppositionsabgeordneter der PDS, er war gegen die Wasserbetriebsprivatisierung, und gegen deren Art und Weise war er erst recht. Heute sagt er: „Ich bin dann 2002 in die Situation gekommen, dass ich als Wirtschaftssenator an diese rechtskräftig geschlossenen Verträge gebunden war. Insofern gibt es da natürlich ein Dilemma.“ Er ist noch heute dagegen. Er beharrt auf seiner Kritik von damals, und er beharrt auf seiner Forderung nach Offenlegung und Neugestaltung. Es ist nicht ganz klar, ob seine zwangsläufige Rolle als Aufsichtsratschef der Wasserbetriebe dabei von Vorteil oder von Nachteil ist.

Wolf sagt, er verbringe einen großen Teil seiner Arbeitszeit mit der Wasserangelegenheit, er lässt prüfen, abwägen, „ich muss juristisch abgesichert sein“, sagt er, „die andere Seite arbeitet ja auch mit allen Waffen.“ Er selbst hat Tabellen zur Hand, flüchtig betrachtet sehen sie aus wie die von Cunnac, in ihnen steht aber genau das Gegenteil. Zum Beispiel, dass das Land Berlin in den Jahren 1999 bis 2006 267 Millionen Euro weniger vom Gewinn der Wasserbetriebe bekommen hat als RWE und Veolia, trotz Anteilsmehrheit. Das ist es, sagt Wolf, das ist das Ergebnis der „Teufelei, die ’99 in die Verträge reingeschrieben worden ist“. Er kann auch vorrechnen, dass selbst der damalige Verkaufspreis von 1,7 Milliarden Euro dem Land, langfristig gesehen, keine Vorteile bringt, sondern Millioneneinbußen.

In diesen beiden Punkten ist er sich einig mit den Leuten vom „Wassertisch“. Doch es gibt auch Streit. Es geht um die Frage, ob die Forderung des Volksbegehrens nach Offenlegung der Verträge, über die nun einmal Vertraulichkeit vereinbart worden war, juristisch überhaupt haltbar ist. Wolf ist da skeptisch. Er sagt, dass er „mit dem erstaunlichen Phänomen leben“ müsse, „dass die Kritik umso vehementer wird, je näher der Kritisierte der eigenen politischen Auffassung steht.“

In seinem Rücken ein Fenster, dahinter Regen. Und als einzige Klarheit im Berliner Wasserstreit wohl dies: Die Kämpfe der Gegenwart werden nicht allein mit Waffen, Gehirnwäsche und todbringenden Botschaften geführt. Sondern vor allem mit Rechtsanwälten.

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