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Berlin: Berliner werden älter – und immer ärmer

Rot-Rote Koalition hat stark steigende Kosten für Grundsicherung und Pflege offenbar unterschätzt

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

In Berlin gibt es immer mehr arme Senioren. Aber die finanziellen Folgen der Altersarmut werden vom Senat offenbar falsch eingeschätzt. Das ergab eine Umfrage des Tagesspiegel in allen Bezirken. So wirft der Spandauer Sozialstadtrat Martin Matz (SPD) der eigenen Regierung vor, dass die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit seit Jahren „unrealistisch niedrig“ im Haushalt eingeplant würden.

Matz sagt, er habe den früheren Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zuletzt im April 2009 darauf hingewiesen, dass die Ansätze für die Grundsicherung seit langem zu niedrig seien. „Ich erhielt die Antwort, die Zahlen seien nicht so unrealistisch und außerdem gebe es immer an anderer Stelle im Etat noch eine Vorsorge“, berichtet der Stadtrat. Dem scheidenden Senator sei es wohl mehr um „die Kosmetik seiner Abschiedsbilanz“ gegangen. Allerdings lässt Matz auch den neuen Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) nicht ungeschoren. Die Zuweisungen an die Bezirke für die Grundsicherung und andere soziale Hilfen zur Bekämpfung der Altersarmut seien im Doppelhaushalt 2010/11 „noch unrealistischer“ erfolgt.

Kürzlich musste sich die Finanzverwaltung selbst korrigieren und die Prognose für die Sozialhilfeausgaben 2010 gegenüber der Planung kräftig erhöhen (siehe Tabelle). Am Beispiel des Bezirks Tempelhof-Schöneberg schildert dessen Sozialstadträtin Sibyll Klotz (Grüne) die Problematik. Dort gebe es über 6400 Menschen, deren Rente nicht ausreiche oder die vor dem Rentenalter erwerbsunfähig wurden. Sie erhalten eine Grundsicherung, die ihnen gesetzlich zusteht. Dafür zahlte der Bezirk im vergangenen Jahr 34,9 Millionen Euro. 2010 werden es voraussichtlich 36,4 Millionen Euro sein.

Stark gestiegen sind auch die Hilfen zur Pflege: von 1008 Fällen (2004) auf 1632 Fälle (2009). Entsprechend erhöhten sich die Kosten. Mit den Sozialhilfeleistungen für die Pflege, so Klotz, werde „vor allem eine Klientel aufgefangen, die einen problematischen Hintergrund hat“. Menschen in Armut, ohne soziale Kontakte und in schlechtem gesundheitlichen Zustand. Hinzu kommt die Krankenhilfe für 1300 Fälle, die insgesamt 80 Millionen Euro kostet. Hier gebe es ein besonderes Problem, sagt die Stadträtin. „Die Bezirke begleichen die Rechnungen bei den Krankenkassen, aber Qualität und Quantität der Behandlung können wir nicht nachvollziehen.“ Für Hilfen in besonderen Lebenslagen (Mietschuldenübernahme, Behindertenhilfe usw.) muss Tempelhof-Schöneberg im laufenden Jahr 77,9 Millionen Euro ausgeben. 2009 waren es noch 74,1 Millionen Euro.

Besonders drastisch steigen in vielen Bezirken die Wohngeldzahlungen. Das liegt vor allem an der vom Bund beschlossenen Reform, aber auch an den Hilfebedürftigen, die erwerbsunfähig werden und nicht mehr vom Job-Center die Unterkunftskosten erstattet bekommen. Sie erhalten Grundsicherung und Wohngeld. Stephan von Dassel (Grüne), Sozialstadtrat in Mitte, beklagt in diesem Zusammenhang den Personalabbau in den Bezirken, „während gleichzeitig in vielen Bereichen die Zahl der zu betreuenden Menschen ansteigt“. Zudem liege der Altersdurchschnitt der Mitarbeiter in den Sozialämtern bei über 50 Jahren. Viele könnten die Arbeit nicht mehr bewältigen. Im Bezirk Mitte kämen inzwischen auf eine volle Stelle 250 Grundsicherungs-Fälle.

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