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Özver-Krochmann

© Thilo Rückeis

Arbeitsmarkt: Mein kleines Wirtschaftswunder

Frauen haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt, Migrantinnen umso mehr. Und doch: In Berlin sind viele seit Jahren erfolgreich Fünf Berlinerinnen ausländischer Herkunft erzählen von ihrem Job, ihrer Karriere, ihren Lebenszielen.

Berlins Wirtschaftsberater bekommen zunehmend Visitenkarten mit weiblichen Namen auf den Tisch: Immer mehr Frauen mit Migrationshintergrund wollen ein eigenes Geschäft gründen – oder sich als Freie unabhängig machen. Schon jetzt gibt es unzählige erfolgreiche Migrantinnen in der Stadt.

Zeynep Özver-Krochmann (63), Geschäftsführerin von PRC Krochmann

„Ich war eine Exotin, als Studentin der Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin – damals in den Sechzigern. Aber ich wollte in Deutschland an die Uni, das wusste ich schon, als ich noch die Deutsche Schule in Istanbul besuchte. Einerseits war ich als Studentin natürlich bei den Männern begehrt, auf der anderen Seite haben sie mich nicht für voll genommen: Warum verstehst du den Stoff und ich nicht? Als ich meinen Mann heiratete, behielt ich meinen türkischen Namen. Damit hatte ich mir schließlich mein Ansehen erarbeitet. Nach dem Tod meines Mannes übernahm ich 1991 als Diplom-Ingenieurin unsere Firma, wurde Geschäftsführerin, parallel war ich alleinerziehende Mutter. Heute besitze ich die doppelte Staatsbürgerschaft und arbeite mit meiner Tochter Gülen Krochmann gleichberechtigt im Geschäft. Wir messen unter anderem Gläser und produzieren Messgeräte für Licht- und Strahlungstechnik. Unsere Geräte messen auch im Bode-Museum, ob Licht und UV-Strahlen den Gemälden schaden. Wir beliefern Kunden weltweit, etwa in Indien. Bevor Sie kamen, habe ich gerade mit Dubai gesprochen. Wir beschäftigen fünf freie Mitarbeiter. Ob Männer am Telefon manchmal fragen, ob sie meinen Chef sprechen können? Die Zeiten sind zum Glück vorbei, in der Branche habe ich längst einen Namen. Die Leute wissen, wer sich da als Frau behaupten kann, der muss erst recht gut sein. Im Vertrieb und beim Verkauf hilft es manchmal auch, weiblich zu sein. Aber generell muss Deutschland bei der Gleichberechtigung noch einiges aufholen. Am Ausbildungssystem würde ich ändern, dass Lehrlinge einen Betrieb so teuer zu stehen kommen. In meinem Job will ich weitermachen, bis ich 70 bin. Ich finde, jeder Mensch ist innerlich befriedigter, wenn er arbeitet.“

Yesim Zolan (38), Szenenbildnerin

„Manchmal bekomme ich Anfragen aus der Türkei: Hey, wir machen einen Film, willst du für uns arbeiten? Ich antworte dann: Leute, ich muss euch enttäuschen, ich spreche viel besser Englisch als Türkisch! Mein Vater ist Türke, meine Mutter ist Deutsche, ich bin in Ankara geboren und in Bremen aufgewachsen. Ich spüre meine türkischen Wurzeln – ich denke, diese Ausgeglichenheit und Fähigkeit, die Ruhe zu bewahren, das habe ich in die Wiege gelegt bekommen. Viele Südländer können ja stundenlang beisammen sein und nichts tun, bei Deutschen muss immer was passieren. Diese Lockerheit brauche ich am Set oft. Ich habe Tischlerin gelernt. Jetzt bin ich Filmausstatterin, also für alles zuständig, was man später auf der Leinwand im Hintergrund sieht – bis auf die Schauspieler und ihre Kostüme. ,Liegen lernen’ habe ich zum Beispiel gemacht. Als ich zur Schule ging, hatte hier kaum jemand einen ausländischen Namen. Ich kenne fast nur noch Leute mit Wurzeln im Ausland. Berlin ist eben Sammelbecken für Leute, die was bewegen wollen. Aber stellen Sie sich vor: Ich bekomme als Selbstständige immer noch keinen Mini-Dispokredit bei meiner Hausbank, obwohl ich seit Jahren verdiene. Ein Mitarbeiter hat mir mal verraten, das liege an meinem Namen.“

Nare Yesilyurt-Karakurt (39), Chefin des Pflegedienstes Deta Med

„Meine Firma habe ich 1999 gegründet – heute ist sie der größte kulturspezifische Pflegedienst in Berlin. Aufgebaut habe ich alles selbstständig. Ich hatte mich gerade von meinem Mann getrennt, meine Töchter waren Babys. Unsere 130 Mitarbeiter betreuen 220 Patienten, es sind zunehmend Deutsche darunter. Ich stelle bevorzugt alleinerziehende Frauen ein und engagiere mich gegen Gewalt gegen Frauen. Meine Eltern kommen vom Dorf aus Anatolien, ich habe hier an der TU studiert, bin seit 1995 eingebürgert. Ich weiß, es gibt noch Frauen, die sich für die Karriere hochschlafen. Indiskutabel. Eine gute und soziale Geschäftsfrau zu sein, hat für mich weder mit kultureller Identität noch mit Weiblichkeit zu tun, sondern mit kognitiven Fähigkeiten.“

Ipek Ipekcioglu (35), DJ

„Wenn ich im Ausland auflege und die Leute mich fragen, woher ich komme, sage ich: Deutschland, Berlin. Und ich bin Türkin. Ich fühle mich am ehesten türkisch-deutsch. Manchmal sage ich auch, ich bin Antragsdeutsche, seit 1993 besitze ich den deutschen Pass. Ich bin in München geboren und 1982 nach Berlin gekommen. Seit sechs Jahren lebe ich davon, dass ich weltweit in Clubs auflege, bei Festivals, aber auch bei Firmenevents. Dass ich eine Frau, eine Türkin bin und eine gute Reputation habe, macht mich interessant für Bookings. Die meisten DJs sind männlich, da ist es spannender, einen weiblichen DJ einzuladen. Mir als Türkin wird da auch Kompetenz zugesprochen – ich habe mir meinen Ruf aber auch erarbeitet. Ich lege seit zehn Jahren im Club SO 36 in Kreuzberg bei den schwul-lesbischen Gayhane-Parties auf. Dass ich offen lesbisch bin, hat mir beruflich keine Nachteile gebracht, ich werde da auch von der türkischen Community nicht angefeindet. Ich will weitere Compilation-CDs herausgeben, Musik selbst produzieren. Ich schreibe zudem Jingles sowie Musik für Kurzfilme und fürs Theater, bin Autorin, organisiere für US-Colleges Berlin-Studienbesuche. Ich selbst bin auch studierte Diplom-Sozialpädagogin.“

Mahassen Ibrahim (19), Schuhverkäuferin, angehende Jurastudentin

„In meiner Abiturrede habe ich gesagt: Wir Schüler mit ausländischem Hintergrund sind immer motiviert, gute Leistungen zu erzielen. In allererster Linie, um Vorurteile abzuschaffen. Ich bin die Nummer neun von zwölf Geschwistern, meine Mutter kommt aus dem Libanon. Ich habe vor kurzem die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und mein Abitur mit 2,0 bestanden. Ich jobbe übergangsweise in einem Schuhladen in Neukölln, aber ich will Jura studieren. Und mich dann für die Rechte von Frauen einsetzen. Wenn mich junge Kundinnen auf Türkisch oder Arabisch ansprechen, antworte ich prinzipiell auf Deutsch. Ich sage denen auch: Gebt euch Mühe in der Schule, wir müssen uns besonders anstrengen, um akzeptiert zu werden. Weil ich Kopftuch trage, werde ich leider oft in eine Schublade einsortiert. Im Arbeitsleben hat mir das schon Nachteile gebracht. Zum Beispiel war es schwierig, Jobs in Bäckereien zu bekommen. Auf meinem Abi-T-Shirt der Carl-von-Ossietzky-Schule steht: Die Weltbühne bekommt Zuwachs. Ja, mich zum Beispiel, und ich freue mich darauf.“

Annette Kögel

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