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Berliner Wirtschaft: Boom-Tour

Wie in Polen der Aufschwung funktioniert – Berliner Politiker und Manager in Wroclaw

So sieht also das polnische Wirtschaftswunder aus: Folien und Kartons quellen aus grünen Müllcontainern. Ein kleiner Gabelstabler summt am Müllsammelplatz in der großen grauen Halle des Toshiba-Werks vorbei. Frauen in Westen mit dem Firmenlogo sortieren Verpackungsabfälle. Aus der Montagehalle nebenan dringt eine Kakofonie: Das Zischen und Stampfen von Maschinen und polnische Popmusik. Dort werden moderne Flachbildschirme zusammengeschraubt. Die Hauptkomponente dafür stammt aus einem Werk der Firma LG nebenan, die restlichen Teile aus China.

Neben den Müllcontainern bleiben jetzt 50 Füße in unförmigen Schutzhüllen über eleganten Lederschuhen stehen. Die dazugehörigen Menschen tragen neongelbe Schutzwesten über Anzügen und blicken neugierig zu den Arbeiterinnen hinüber: Berliner Politiker und Manager sind zu Besuch im neuen Toshiba-Werk in der Nähe von Wroclaw, das früher Breslau hieß. Der Verein Berliner Kaufleute (VBKI) hat den Ausflug organisiert, um den Boom in einer der sogenannten polnischen Sonderwirtschaftszonen vorzuführen. Stefan Röser sieht gerade etwas gelangweilt aus, dabei ist er mitgefahren, um sich in Polen die Mülltonnen anzusehen. Röser ist als Key Account Manager bei der Berliner Müllentsorgungsfirma Alba für das Geschäft mit östlichen Nachbarn zuständig. In Polen ist Alba jetzt schon das drittgrößte private Müllunternehmen. 100 Millionen Euro Umsatz will die Firma in diesem Jahr dort erzielen. In Wroclaw erledigt Alba die Stadtreinigung und entsorgt seit kurzem auch den Müll im Toshiba-Werk. Die Berliner Gruppe ist nicht zufällig hier gelandet. Den Ausflug hat VBKI-Vizepräsident Peter Kurth organsiert. Er ist gleichzeitig Vorstandsmitglied bei Alba und für das Polen-Geschäft verantwortlich. Er habe mit der Tour nach Polen „wirtschaftspolitische Impulse“ für Berlin geben wollen, sagt Kurth später im gecharterten Bus. Vor allem zur „besonderen Dynamik auf dem polnischen Arbeitsmarkt.“

Nachhilfeunterricht steht auch am Nachmittag beim Kaffeeklatsch bei der deutsch-polnischen Industrie- und Handelskammer auf dem Programm. „125 000 neue Arbeitsplätze, stimmt das wirklich?“, fragt Ausflüglerin Franziska Eichstädt-Bohlig, Fraktionschefin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Iwona Makowiecka, Leiterin der IHK bestätigt. Die Arbeitslosigkeit in der Region um Wroclaw sei seit der EU-Ost-Erweiterung von 20 Prozent auf sechs Prozent gesunken. Die Strategie: Internationale Firmen sollen von den Steuervergünstigungen in den Sonderwirtschaftszonen angelockt werden. Zunächst nur, um billig zu fertigen. Später sollen sie Zulieferer nachziehen, Netzwerke bilden, ihre Forschungszentren nach Wroclaw verlegen. Das Prinzip funktioniere, sagt Makowiecka.

Sonderwirtschaftszonen kämen nicht für Berlin in Frage, darin sind sich die Wirtschaftswunder-Besucher einig. „Wir müssen aber stärker vom Boom in Wroclaw profitieren“, sagt Friedbert Pflüger, CDU-Fraktionsvorsitzender im Abegordnetenhaus. „Vor allem von der Fußball-Europameisterschaft 2012 und der Bewerbung Breslaus für die Expo im gleichen Jahr.“ Mehr polnische Unternehmen „mit einem Standbein in Berlin“ wünscht sich Holger Lippmann, Geschäftsführer des Liegenschaftsfonds Berlin. Seit 2003 wirbt Lippmann in Polen um Investoren, hat aber noch keine gefunden. Es gebe noch zu viele Vorurteile zwischen Deutschen und Polen, sagt Eichstädt-Bohlig. Michal Jonczynski kann das bestätigen. Der polnischstämmige Manager hat bis vor kurzem für den polnischen Tankstellenkonzern Orlen gearbeitet, der in Deuschland expandiert. „Am Anfang haben die Deutschen befürchtet, dass wir Polen das Benzin mit Wasser verdünnen“, amüsiert er sich. Daniela Martens

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