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Green Economy: Gutes Klima für grüne Industrie

Innovative Umwelttechnik zieht es in die Hauptstadt – für den Senat ein Wachstumsfeld der Zukunft.

Als deutsche „Klima-Hauptstadt“ gilt nicht Berlin, sondern Bonn – weil dort das UN-Klimasekretariat und viele Nichtregierungsorganisationen ansässig sind. Dafür wollen Forscher, Firmen und Politiker Berlin zum führenden Standort der sogenannten Green Economy machen. Im November wird darüber bei der dritten Berliner Wirtschaftskonferenz diskutiert (siehe Infokasten). Denn die Umwelttechnik-Industrie besteht hier nicht nur aus bekannten Solarunternehmen wie Solon und Sulfurcell im Technologiepark Adlershof.

Branchenkenner schätzen zum Beispiel das Moabiter Unternehmen Jonas & Redmann Photovoltaics Production Solutions GmbH. Er stellt keine Solarmodule her, sondern ist seit zehn Jahren auf die Automatisierung der Produktion spezialisiert. Die rund 600 Beschäftigten an der Reuchlinstraße beliefern fast alle Solarmodulhersteller weltweit. Allein 200 Anlagen wurden dieses Jahr nach Taiwan exportiert. Seit 2007 hält die Firma ein Patent für spezielle Greifer, die mit Unterdruck funktionieren und empfindliche „Wafer“ berührungsfrei bewegen. „Wir glauben fest daran, dass sich der globale Photovoltaikmarkt weiterentwickelt“, sagt Geschäftsführer Lutz Redmann.

Auf dem Tegeler Borsiggelände, wo einst Lokomotiven entstanden, hat die MAN Turbo AG mit rund 430 Beschäftigten ein „Kompetenzzentrum“. Das Vorzeigeprodukt sind Getriebekompressoren, deren industrieller Einsatz den Ausstoß klimaschädlicher Gase wie Kohlendioxid (CO2) senkt. Die Hochdruckkompressoren separieren und verdichten CO2, das als Nebenprodukt aus Kraftwerken oder Raffinerien stammt. Danach kann es unterirdisch gespeichert werden, etwa in versiegenden Ölfeldern. Laut MAN ist die Nachfrage weltweit sprunghaft gestiegen. Wichtige Kunden sind China, der Mittlere Osten, Kanada und europäische Staaten. 2010 sollen zwei neue Anlagen, die für 20 bis 30 Jahre Laufzeit ausgelegt sind und rund zehn Millionen Euro kosten, in Betrieb gehen.

Siemens erwirtschaftet bereits ein Viertel seines Umsatzes mit umweltfreundlichen Technologien und will „noch grüner werden“, wie Vorstandschef Peter Löscher vor kurzem im Tagesspiegel-Interview angekündigt hat. In Moabit entstehen hocheffiziente Gasturbinen für Kraftwerke. 600 Aggregate hat das Werk seit 1972 in 60 Länder geliefert, allein 41 im Vorjahr. Zuletzt wurde der Standort Huttenstraße für 42 Millionen Euro ausgebaut. Nun gibt es dort 3000 Arbeitsplätze, 200 mehr als früher.

Im „Umweltfirmen-Informationssystem“ der IHK Berlin haben sich 455 Dienstleister, Berater, Hersteller und Händler aus dem Umweltschutzbereich eingetragen. Für Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) ist Green Economy „ein Wachstumsfeld der Zukunft“. Berlin biete dafür auch erstklassige Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Wolf möchte „die Kompetenzen weiter ausbauen“ und Wissenschaft und Unternehmen stärker vernetzen. Die Einzelheiten will der Senator demnächst im „Energiekonzept 2020“ vorstellen. Laut dem Entwurf für ein energiepolitisches Leitbild des Senats sollen zum Beispiel Unternehmensansiedlungen noch mehr gefördert werden. Es geht um Solarenergie, aber auch um Geothermie und andere Technologien.

Dazu passt der Vorschlag des Architekten Meinhard von Gerkan, den Flughafen Tegel nach der Schließung zum „Schaufenster der deutschen Umwelttechnik“ zu machen. Wie berichtet, plant Gerkan ein großes Ausstellungs- und Forschungszentrum sowie eine „Energie-Plus- Stadt“, die mehr Energie produziert als verbraucht. Noch siedeln sich Green-Economy-Firmen vor allem im boomenden Technologiepark Adlershof an. Erst am Mittwoch der vorigen Woche eröffnete Sulfurcell dort seine neue Fabrik für die „automatisierte Großserienfertigung von Dünnschichtmodulen“.

Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), erwartet im Laufe der kommenden zehn Jahre bundesweit bis zu eine Million Arbeitsplätze in der „Grünen Wirtschaft“. Dazu gehören auch moderne Gebäudetechnik, effizientere Fahrzeuge und Kraftwerke, neue Abfall- und Recyclingtechniken und der sparsame Umgang mit Wasser.

Der „Umwelttechnologie-Atlas“ des Bundesumweltministeriums nennt wichtige Standortvorteile Berlins, darunter die große Zahl von Fachkräften und die gute Infrastruktur. „Von der Wirtschaftskrise sind erneuerbare Energien weniger stark betroffen als andere Branchen“, sagte Wirtschaftsstaatssekretär Jens-Peter Heuer jetzt bei einer Veranstaltung der Berliner Energieagentur in der TU. Dabei lobte er auch die Lehre und Forschung: Bei den Studiengängen „nimmt Berlin bundesweit einen Spitzenplatz ein“. So bietet die Hochschule für Technik und Wirtschaft das einzigartige Vollzeitstudium der „Umwelttechnik/Regenerative Energien“ mit Bachelor- und Masterabschluss.

In Moabit profitiert derweil auch der Automobilzulieferer Continental von der steigenden Nachfrage. An der Sickingenstraße werden Lithium-Ionen-Batterien als „Energiespeicher der neuesten Generation“ für Autos mit Hybridantrieb entwickelt. Produzieren lässt das Unternehmen die Akkus zwar in Nürnberg – aber für seine Forscher ist Berlin bereits die Klima-Hauptstadt.

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