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Von Eiern und Padden. Die Eiergasse im Nikolaiviertel ist so klein, dass sie auf Berliner Stadtplänen gar nicht verzeichnet ist.

© Nora Tschepe-Wiesinger

Berlins kürzeste Straße im Nikolaiviertel: Zu kurz gekommen

Die Eiergasse ist Berlins kleinste Straße. Sie misst gerade mal sechzehn Meter. Es gibt Platz für zwei Häuser, einen Brunnen – und viel Geschichte.

Ein bisschen erinnert die Eiergasse im historischen Nikolaiviertel inmitten von Mitte an die Winkelgasse aus den Harry-Potter-Bänden. Genau wie die fiktive Einkaufsstraße der Hexen und Zauberer ist die Eiergasse auf kaum einem Stadtplan verzeichnet. Der Grund? Sie ist zu kurz.

Die Eiergasse ist Berlins kürzeste Straße: Nur sechzehn Meter sind es vom Anfang bis zum Ende. Sie wirkt mehr wie ein großer Platz als wie eine Straße. Da ist gerade mal Platz für zwei Häuser – eins rechts, eins links, in der Mitte ein Brunnen.

Ein Antiquariat und ein Antiquitätengeschäft findet man in Berlins kürzester Straße

Im Haus rechts betreibt Nikolaus Struck ein Buch- und Kunstantiquariat. Viele der Stadtpläne und Bücher, die man hier kaufen kann, sind so alt wie die historischen Gebäude im Nikolaiviertel. Für einen Stahlstich von Berlin aus dem Jahr 1830 zahlt man 1800 Euro. Stadtpläne aus dem 20. Jahrhundert sind wesentlich günstiger: Eine Wanderkarte durch die Waldgebiete im Norden Berlins kostet nur 40 Euro. „Wir haben hier das größte Angebot der Stadt“, sagt Struck stolz und zeigt auf die vielen Berlin-Grafiken an der Wand hinter ihm.

Auch Astrid Rohleder verkauft in ihrem Geschäft, das sich im selben Haus wie Strucks Antiquariat befindet, alte Dinge. Zusammen mit ihrer Schwester betreibt sie in der Eiergasse seit zwanzig Jahren ein Antiquitätengeschäft. Das Sortiment reicht von Meissentellern aus dem 18. Jahrhundert über Brillantenarmbänder bis hin zu antiken Gemälden und Teppichen. „Hier findet eigentlich jeder was“, meint Rohleder. Zumindest jeder, der auch die Eiergasse findet.

Die wenigsten wissen über Berlins Rekord-Straße Bescheid

Die wenigsten der Sammler und kunstbegeisterten Touristen, die in Strucks und Rohleders Geschäfte kommen, wissen über Berlins Rekord-Straße Bescheid. Stattdessen lachen sie über ihren Namen, erzählt Struck. Dabei ist der Name der Gasse so traditionsreich wie das Viertel selbst. Schon im Mittelalter wurde hier unweit von Berlins ältestem Marktplatz, dem Molkenmarkt, um Eier gefeilscht. Seitdem heißt Berlins kürzeste Straße Eiergasse.

Im Restaurant „Zum Paddenwirt“ im Haus links gibt es nicht nur Eier, sondern auch Berliner Buletten und Kartoffelpuffer. Auch der Name des Restaurants geht auf eine Geschichte aus einem vergangenen Jahrhundert zurück. Um 1800 war es üblich, dass Waren über die Spree transportiert und angeliefert wurden – so auch das Bier für den Gasthof in der Eiergasse. An einem Abend war der Wirt zu faul, die Bierfässer vom Schiff auf der Spree in seinen Gasthof zu bringen. Eines der Bierfässer war beim Transport kaputtgegangen und der Geruch des auslaufenden Gerstensaftes hatte über Nacht tausende Frösche angelockt, die dem Wirt am Morgen entgegenquakten. Da Frösche im 19. Jahrhundert Padden hießen, war der Wirt des Restaurants von diesem Moment an als „Paddenwirt“ bekannt.

Den Kürzeren gezogen

Der heutige „Paddenwirt“ muss sich nicht mehr über betrunkene Frösche ärgern, aber mit dem Standort Eiergasse hat er dennoch den Kürzeren gezogen. „Die meisten Leute kommen über die Rathausstraße ins Nikolaiviertel und hier gar nicht vorbei“, sagt er. Für alle, die sich dennoch hierher verlaufen, ist es ein kurzes Vergnügen – aber auf jeden Fall vergnüglich.

Nora Tschepe-Wiesinger

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