zum Hauptinhalt
Berliner auf Abruf. Nur mit Glück bekommt man Maxi und Schnute derzeit zu sehen. Die beiden Braunbären halten Winterruhe und verlassen ihre Wohnhöhlen selten.

© picture-alliance/ dpa

Berlins Wappentier: „Wir Berliner wollen was Lebendiges“

Die Entscheidung über die Zukunft des Bärenzwingers am Märkischen Museum ist aufs Frühjahr vertagt Seine Entstehung geht auf die 700-Jahr-Feier Berlins zurück. Initiator war ein hoher Beamter in Goebbels’ Propagandaministerium.

Kein Bär, nirgends. Keine Tatze, keine Schnauze, kein Fellzipfelchen, ja, nicht einmal ein Schwanzstummel ist an diesem Wintermorgen zu sehen. Nur die Spuren in einem der beiden Außengehege des Bärenzwingers im Köllnischen Park zeugen von den beiden Bewohnerinnen und beweisen, dass Schnute, offizielle Stadtbärin seit 2007, und Vize-Bärin Maxi den Winter nicht nur mit Schlafen verbringen, sondern sich gelegentlich ins Freie begeben und auch den Schnee besichtigt haben.

Auch politisch ist vorerst wieder Ruhe eingekehrt um die beiden Braunbären. Die Entscheidung im Bezirk Mitte, ob man das pelzige Paar – immerhin ein Etatposten von rund 90 000 Euro pro Jahr – weiter in Obhut behält oder es, wohin auch immer, etwa in den Wildpark Johannisthal in Baruth/Mark abschiebt, wurde, wie berichtet, aufs Frühjahr verschoben, wofür ja schon die für Bären sehr spezielle Jahreszeit – Winterruhe! – sprach. In den kommenden Monaten, so referierte jetzt Carsten Spallek (CDU), Stadtrat für Bauen und Stadtentwicklung, will man die Bären genau im Auge behalten, wie gut sie Winterruhe halten, mit welchem Appetit sie fressen und wie zufriedenstellend sie verdauen. Im März soll ein unabhängiger Veterinär ihre Reisetauglichkeit bewerten, sie sind ja nicht mehr die jüngsten. Dann wird in der BVV erneut debattiert und gegebenenfalls die Abschiebung beschlossen.

Auch historisch wäre 2012 ein unpassender Zeitpunkt gewesen, die Tradition des Stadtbären zu Grabe zu tragen. Sonst hätte Berlin ausgerechnet im Jahr seines 775. Jubiläums diese identitätsfördernde Attraktion verloren, die sie zudem ihrem 700. Geburtstag verdankt. Zwar wurde der Zwinger mit seinen zunächst vier Bewohnern erst am 17. August 1939 eröffnet, er geht jedoch auf eine zwei Jahre zuvor im Zusammenhang mit der 700-Jahr-Feier Berlins gestartete Initiative zurück.

„Uns fehlt was in Berlin!“ – so war ein Offener Brief an Oberbürgermeister Julius Lippert überschrieben, der am 23. August 1937 in der „B.Z. am Mittag“ erschien. Warum nur, fragte darin der Verfasser Wilfrid Bade, müsse Berlins Wappentier immer nur auf Siegeln, Urkunden, Fahnentüchern leben. „Nein, wir Berliner wollen was Lebendiges, wir, die Einwohner der lebendigsten Stadt. Und so wollen wir, so hoffen wir, so bitten wir uns nachträglich ein Geburtstagsgeschenk aus, einen richtigen lebendigen, brummenden, tanzenden, schönen Petz.“ Nun gab es Bären zwar im Zoo, aber Bade schwebte kein zoologisches Schaustück, sondern ein Symbolbär vor. Er überwies auch gleich zehn Reichsmark als Spende an Lippert, der die Anregung dankbar aufnahm und überraschend schnell konkretisierte. Schon am Folgetag war in der „B.Z. am Mittag“ seine überaus positive Antwort zu lesen, in der Lippert den Köllnischen Park am Märkischen Museum ins Gespräch brachte.

Auf einer Informationstafel am heutigen Bärenzwinger wird der, wie es heißt, „Leserbrief“ zwar zitiert, sein Verfasser aber nicht genannt. Stolz kann Berlin auf den heute vergessenen Initiator des Bärenzwingers ohnehin nicht sein, dazu stand er den braunen Machthabern zu nah. Wilfrid Bade wurde am 4. Februar 1906 in Berlin geboren, noch mit dem üblichen „e“ im Vornamen, das er später für entbehrlich hielt. Ursprünglich war er Journalist mit literarischen Ambitionen, hatte sich dabei der NSDAP angenähert, der er am 1. Oktober 1930 unter der Mitgliedsnummer 310 103 beitrat. Kurz nach der „Machtergreifung“ erhielt er dank guter Kontakte eine Anstellung in Goebbels’ neuem Propagandaministerium, dem er sich durch eine Biografie zusätzlich empfahl. Bade habe „ein blendendes Buch über mich geschrieben“, notierte der Minister am 23. Mai 1933 in sein Tagebuch, für den Folgetag findet sich ein ähnlicher Eintrag. Auch mit Werken wie „Die SA erobert Berlin – Ein Tatsachenbericht“ oder „Trommlerbub unterm Hakenkreuz“ lag Bade voll auf Parteilinie und kletterte auf der Karriereleiter immer weiter nach oben: erst als Regierungsrat und Referent für Auslandspresse und Pressekulturpolitik, später als Leiter des Hauptreferats Zeitschriften und Kulturpresse, zuletzt im Rang eines Ministerialdirigenten. Er war gut bekannt mit Goebbels, gehörte zu Hitlers Tross bei dessen Paris-Visite 1940, sandte Himmler Ende 1944 einige Gedichte als Weihnachtsgruß und erhielt einen „Julteller“ als Gegengabe, schrieb noch in den letzten Kriegsmonaten ein die Waffen-SS glorifizierendes, allerdings nicht mehr zur Aufführung gelangtes Drama, war auch selbst Angehöriger dieser Truppe, wenn sich auch sein Traum von einer dortigen Offizierskarriere nicht erfüllte. Bei Kriegsende kam er unter nicht ganz geklärten Umständen ums Leben, möglicherweise durch Suizid in Berlin, vielleicht starb er aber in einem sowjetischen Gefangenenlager.

Es war also keineswegs nur ein besonders tierlieber Berliner, der die Anregung zum Bau des Bärenzwingers gab, vielmehr ein Protagonist der NS-Propaganda mit besten Kontakten nach ganz oben, Oberbürgermeister Lippert dürfte das bekannt gewesen sein. Es dauerte dann aber doch noch fast zwei Jahre, bis der Zwinger in einem umgebauten Gebäude der Stadtreinigung unter reger Anteilnahme der Berliner eröffnet wurde. Besonders die „B.Z. am Mittag“ hatte sich für das von ihr angestoßene Projekt stark gemacht, und Lippert ließ sich nicht mal durch Goebbels’ Abneigung gegen solch ein Gehege bremsen, außenpolitisch war die Bärennummer schließlich ein toller PR-Erfolg. Denn auch die Stadt Bern, deren Wappentier ebenfalls der Bär ist, machte mit und schenkte zwei Tiere aus seinem berühmten Bärengraben, zu denen sich zwei weitere gesellten, eines als Geschenk des Zoos, das andere als eines der „B.Z. am Mittag“.

Den Krieg überlebte nur einer der zuletzt sogar fünf Bären, der im Zoo Aufnahme fand. Die anderen waren von deutschen Kräften im April 1945 erlegt worden, wohl um ein Ausbrechen zu verhindern. Die Zwingergruben wurden mit Sand gefüllt, dienten nun als Spielplatz – bis dort am 26. November 1949 wieder zwei Bären Quartier nahmen. Erneut waren Leserbriefe die Initialzündung gewesen, diesmal an die „Berliner Zeitung“, die daraus eine große Geschichte machte und die Tiere der Stadt schenkte.

Seither ist das Gehege von mehreren Bärengenerationen bewohnt worden, hat sogar die Wende, die manch eine in der DDR unangefochtene Tradition beendete, trotz einiger Turbulenzen überstanden. Mittlerweile war der Tierpark für die Bären zuständig, dessen neuer Chef Bernhard Blaszkiewitz den Zwinger wegen der hohen Kosten und besonders der nicht artgerechten Haltung der Tiere schließen wollte. Das löste 1992 erhebliche Proteste aus, bis der damalige Finanzsenator Elmar Pieroth einlenkte und Gelder für den Umbau freigab. Zugleich wurde das Gehege samt Bären in die Obhut des Bezirks Mitte übergeben.

In der runderneuerten, von Tierschützern noch immer beargwöhnten Anlage müssen sich die Bären zumindest so wohl gefühlt haben, dass einer Fortpflanzung nichts im Wege stand. 1994 gab es gleich fünffachen Nachwuchs für Schnute, Maxi und den damaligen Stadtbären Tilo, ein Kindersegen, der den beiden Bärinnen nach dessen Ableben – er wurde 2007 wegen einer fortgeschrittenen Krebserkrankung eingeschläfert – verwehrt ist. Immerhin muss sich nun niemand mehr Gedanken machen, was mit überzähligen Bärenbabys anzufangen wäre. Damals wurden sie an andere Zoos abgegeben. Den Brauch, sie zu verzehren, gab es selbst in Bern nicht mehr, wo Bärenfleisch noch in den achtziger Jahren an zahlungskräftige Gourmets verkauft worden sein soll. Die moderne Küche ist bärenfrei – obwohl doch Sam Hawkens seinem Freund Old Shatterhand sehr speziell zubereitete Bärentatzen als Leckerbissen empfohlen hatte: „Es gibt überhaupt nichts, was über Bärentatzen geht. Sie müssen aber über längere Zeit liegen, bis sie den gehörigen Hautgout bekommen haben. Am delikatesten sind sie, wenn sie schon von Würmern durchbohrt sind.“

Die Zwingergeschichte hat der 2005 verstorbene Vorsitzende des Vereins Berliner Bärenfreunde, Bernd D. W. Unger, in „Der Berliner Bär – ein Streifzug durch Geschichte und Gegenwart“ (Waxmann-Verlag, 9,90 Euro) dargestellt. Wer Bade war, schrieb er darin nicht. Über den NS-Funktionär hat Christian Härtel die ausgezeichnete, leider vergriffene Biografie „Stromlinien“ (be.bra-Verlag) geschrieben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false