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Wohnen auf der Gedenkstätte. Der 30-jährige IT-Spezialist Fabian wohnt im Haus Strelitzer Straße 28.

© Doris Klaas

Bernauer Straße: Gebaut im Niemandsland

Mit der Erweiterung der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße wird ein 1999 errichtetes Mietshaus künftig mitten im Geschichtspark stehen.

Düdelüdelüdelü. Überall der gleiche Klingelton, aber kaum jemand zu Hause. Leises Säuseln vom Fahrstuhlschacht, ein Ticken vom Rauchabzugsmelder. Stimmloses Steintreppenhaus. Es ist Freitagnachmittag, und niemand kommt vom Einkaufen. Fünf Etagen und ein Dachgeschoss. Berliner Traufmaß. Weiß gestrichen. Rechts Balkone, links Loggien. Nichts, was ins Auge fällt. Nebenan Baulücken, Platz für weitere Häuser, aber die wird es nie geben. Die Strelitzer Straße 28 ist ein Solitär. Im winzigen Hof trennt ein Stück Asphalt den Rasen, der alte Postenweg. Das Haus steht auf dem ehemaligen Todesstreifen. Drum herum wird im nächsten Jahr die erweiterte Gedenkstätte Berliner Mauer eröffnet.

Im dritten Stock ist Licht. Fabian, schlank, weltgewandt, IT-Spezialist, lädt in sein Wohnzimmer. Er lächelt, wenn er an die vielen Menschen denkt, die bald zu ihm hinaufsehen werden und ihren Reiseführer fragen: Was macht der denn hier? Schulklassen kommen gerne samstags, am Morgen, wenn er gerade auf dem Balkon frühstückt. „Die sehen nicht sehr glücklich aus.“ Würde er auch nicht. Mauer und Stacheldraht sind für ihn Themen von gestern.

Das Haus steht auf der Erweiterungsfläche für die Mauergedenkstätte.
Das Haus steht auf der Erweiterungsfläche für die Mauergedenkstätte.

© Doris Klaas

Mitten auf einer Gedenkstätte zu wohnen, findet Fabian mit seinen 30 Jahren eher von Vorteil. „Das wird ja wie ein Park.“ Und weil auf der anderen Straßenseite keine Häuser stehen, hat er die Sonne gepachtet. Nichts zu beanstanden, bis auf die rostigen Stahlsäulen, die sie ihm in den Ausblick gestellt haben. Die Säulen symbolisieren einen Wachturm. Drum herum ist Platz zum Stehen und Staunen. „Dafür fehlen jetzt sechs Parkplätze.“

Rainer Klemke, Gedenkstättenreferent des Senats, sieht das Haus nicht zwingend als Fremdkörper. „Das ist auch ein Zeichen der Geschichte und kann umgangen werden.“ Enteignen und Abreißen wäre viel zu teuer und widerspräche auch dem denkmalpflegerischen Ansatz. Danach sollen die sich überlagernden Nutzungphasen der Bernauer Straße offengelegt werden. So sind die Fundamente eines abgerissenen Vorkriegshauses zu sehen, Verankerungen eines Sicherungszauns oder das alte Pflaster der Bergstraße, die von der Mauer überbaut wurde. Das Mietshaus, 1999 errichtet, steht eben für die rasante Geschichtsvergessenheit der 90er Jahre. Sollte es eines Tages verfallen, würde es aber keine Genehmigung mehr für einen Ersatzbau geben.

Ende der 90er Jahre beharrten Bund und Land noch auf ihrer Meinung, dass die 70 Meter lange, hermetisch geschlossene Gedenkstätte an der Ackerstraße genug Einsichten in die Realität des Grenzstreifens liefere. Die meisten Besucher waren anderer Ansicht. Nach langem Zögern wurde ein Dokumentationszentrum mit Aussichtsplattform nachgeliefert. Auch das reichte nicht aus. Das Mauermuseum am Checkpoint Charlie ließ 2004 Holzkreuze für die Maueropfer aufstellen, um dass emotionale Gedenkvakuum zu füllen. Erst jetzt reagierte der Senat und begann mit den Planungen für eine Erweiterung der Gedenkstätte an der Bernauer Straße, über die gesamte Distanz von 1,3 Kilometern.

Ein zweites Wohnhaus auf der Gedenkstätte verhinderte die Verwaltung im letzten Moment. „Die Baugrube war schon ausgehoben“, sagt ein Anwohner. Ein halbes Bauschild steht noch.

Fabian suchte 2008 nach einer neuen Wohnung im Internet, fand Lage, Preis und Zuschnitt ansprechend und setzte sich gegen fünf andere Bewerber durch. Dass er auf dem Ex-Todesstreifen wohnt, amüsiert ihn allenfalls. 1989 klopfte er in der Nähe ein paar Brocken aus der Schandmauer. Wo sie geblieben sind, weiß er nicht mehr. 1988 hatten seine Eltern den Plan gefasst, aus der DDR zu flüchten. Dann wurde die Oma krank, und der Plan verschwand in der Schublade.

Mit der Gedenkstätte könnte ruhig etwas mehr Leben hier einziehen, sagt Fabian, ein paar schöne Restaurants, Geschäfte und Cafés. Drinnen im Haus fühlt man sich recht isoliert vom Treiben der Stadt. Das liegt auch an den massiven Stahlbetonwänden, die den digitalen Fernsehempfang behindern. Dafür wird das Haus allen Anwürfen trotzen und wahrscheinlich noch in 100 Jahren den Mauer-Touristen im Weg stehen.

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