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Berlin: Bernd Bremer (Geb. 1963)

Er sollte den Sitz der Uniformen kontrollieren.

Von David Ensikat

Der eine war Soldat, der andere Unteroffizier, so haben sie sich kennen gelernt. Der Soldat war ein paar Tage erst Soldat gewesen, der andere bei der Armee schon etwas länger, seit kurzem aber erst Unteroffizier, Befehlender. Beiden war die Rolle, die sie zu spielen hatten, neu und vor allem: unangenehm. Der Soldat diente in der Nationalen Volksarmee, weil jeder junge, gesunde Mann darin zu dienen hatte, 18 Monate, der andere war Unteroffizier, weil er studieren wollte, Medizin; das war damals nur jenen möglich, die zuvor 36 statt 18 Monate eine Uniform getragen hatten.

Bernd, der Unteroffizier von 20 Jahren hatte Befehl, Jochen und ein paar anderen Soldaten das Marschieren beizubringen und das Kriechen durch den Kiefernwald. „Links um!“, „Ein Lied, marschmarsch!“, „Fliegerangriff von rechts!“ – Bernd rief die Befehle, und es klang lange nicht so lächerlich, wie es sich heute liest. „Es klang“, sagt Jochen, „trotz der tiefen, klaren Stimme unsicher. Ich hab da immer ein Was-tu-ich-hier-eigentlich durchgehört.“ Dennoch drehte Jochen sich nach links, sang ein Marschlied und warf sich wegen des ausgerufenen Fliegerangriffs in den Dreck, er war Soldat, Bernd Unteroffizier.

Vor einem Appell musste Bernd die Reihe der Soldaten ablaufen und den Sitz der Uniformen kontrollieren; mindestens so wichtig wie rechtzeitiges In- den-Dreck-Fallen im Gelände war der akkurate Sitz der Uniformen beim Appell. An Jochens Uniform gab es nichts auszusetzen, doch Bernd blieb merkwürdig lange vor ihm stehen. Er sah ihn an mit seinen blauen Augen, und sein Blick hatte gar nichts Unteroffizierhaftes.

„Wie der ahnen konnte, dass ich auf Männer stehe, ist mir bis heute nicht ganz klar. Ich war mir damals selbst noch nicht mal sicher.“ Jochen staunt noch heute. Und vor allem staunt er darüber, dass er Bernd fünfzehn Jahre später wiedergetroffen hat. Denn nach dem Appell ist erstmal nichts passiert. Der Unteroffizier wurde versetzt, sein Führungsstil erschien den Vorgesetzten nicht straff genug für eine Ausbildungskompanie. Der Soldat durchlitt seine 18 Wehrpflichtmonate und behielt den Appellblick im Gedächtnis.

Ein Oktobertag 1998, das Wetter ist trübe, die Straße nass. Ein Reisebüro in Schöneberg, im Schaufenster nichts als ein großer Schriftzug: „Warum hier bleiben?“ Jochen hat nicht vor zu verreisen, im Augenblick kann er es sich nichtmal leisten, eigentlich. Aber warum hier bleiben? Sein Freund hat ihn gerade vor die Tür gesetzt. Er betritt das Reisebüro, ein Mann mit tiefer, klarer Stimme lädt ihn ein, sich zu setzen. „Wo soll’s denn hingehen?“ Mit seinen blauen Augen sieht er Jochen an.

Sie haben sich wiedererkannt, sofort, sie sind gemeinsam weggefahren, nach Krakau, Polen. Da war es auch trübe, die Straßen nass, aber da war es egal. Im Hotel buchten sie zwei Zimmer – dem schwulen Paar hätte man kein gemeinsames gegeben. Wenn sie gegen Mittag hinunter in die Lobby kamen, blickten die Bediensteten sie an; Bernd fand, dass sie mitleidig blickten, weil das Frühstücksbuffet längst abgeräumt war, Jochen deutete die Blicke misstrauisch. „Aber vielleicht waren sie einfach nur neidisch“, sagt er heute, „Grund genug hätten sie schon gehabt.“

Jochen würde Bernd nicht als die Liebe seines Lebens bezeichnen. Fünf Jahre waren sie zusammen – „davon waren, sagen wir mal, vier sehr, sehr schön“ – danach blieben sie gute Freunde. Aber diesen Blick von damals, diesen NVA-Appellblick, der das Gegenteil eines NVA-Appells verhieß, den wird Jochen nie vergessen. „Irgendwie hat Bernd mir damit mehr als jeder andere Mann geholfen, herauszufinden, dass ich Männer liebe. Und das in dieser Einöde, wo man eher lernt, Männer zu hassen.“

Bernd ist mit seinem Motorrad verunglückt, es hat ihn aus der Kurve getragen. Einen festen Freund hatte er in den letzten Jahren nicht. David Ensikat

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