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Berlin: Bernd Saß (Geb. 1963)

Das musste ja so sein: Alles ist gut - sein Credo

Von David Ensikat

Sex! Unendlicher Spaß. Tabubefreite Zone. Sodom und Gomorrha. Was einem so einfällt, wenn man sich Bernds Erbe ansieht, einen Klub im roten Schummerlicht, Parterre und Kellerräume mit abwaschbaren Liegemöbeln, martialische Figuren in den Ecken, Hängevorrichtungen an Ketten in dunklen Nebengelassen, gynäkologische Stühle. „Willkommen in der Welt des Hedonismus“, so die Werbung.

Wer noch nie in einem solchen Klub war, fühlt sich augenblicklich sehr verklemmt. Wer mit Veronika spricht, der besten Freundin von Bernd und Mitbegründerin des Klubs, wundert sich. „Sex ist gar nicht so wichtig“, sagt sie, „kein großes Ding. Die Leute mit ihren Verboten und Tabus hängen das alles viel höher als unsereins." Für Leute, die hier ein und aus gehen, sei Sex eine Angelegenheit, die Spaß mache, mehr nicht. Wie ein guter Film vielleicht oder eine Partie Billard. Dass andere sich über einen Klub wie diesen wundern, wundert sie.

Bernd und Veronika haben einen Ort geschaffen, an dem die Leute ihren Spaß haben, was soll schon dabei sein? Kondome gibt es gratis; Bernd hat sich vor Jahren dafür eingesetzt, dass das hier und auch in anderen Klubs der Stadt so funktioniert. „Es ging Bernd um die Freiheit“, sagt Veronika. Schwul, hetero, irgendwas dazwischen – so wenig sie sagen könnte, welcher Gattung Bernd angehörte, so wenig wollte er sich festlegen mit dem Klub. Ein Gemischtwarenladen, für jeden was dabei, vorausgesetzt man sucht nach Sex und nicht nach Liebe.

Und warum das Ganze? Wie kam es dazu? Ein Gespür fürs, sagen wir – Gastgewerbe, entwickelte Bernd früh. Seine Eltern führten einen Zeltplatz in Sankt Peter-Ording an der Nordsee. Er liebte seine Mutter sehr, doch sie starb, als er zwölf war. Mit dem Rest der Familie kam er nicht so gut klar. Sobald das möglich war, floh Bernd in die weite Welt. Die begann in Hamburg. In einer Küche zwar, er wurde Koch, aber die Küche gehörte zu einem Hotel, und das Hotelgewerbe, dem er sich bald zuwandte, war ein mobiles, internationales. In einer großen Hotelkette machte Bernd Karriere, er arbeitete in Kanada und Kenia und gelangte schließlich nach Berlin, als sie hier das Hotel „Estrel“ eröffneten, einen Riesenklotz in Neukölln mit mehr als tausend Zimmern, großen Shows und großem Stress für die Hotelmanager. Einer davon war Bernd. Als das Hotel aufmachte, war er 30. Mit Mitte 30 erlitt er einen Hörsturz.

Und wusste, dass eine Hotelkarriere eine schnelle Sache sein kann, aber eine gesunde nicht. Dazu kam, dass das hier Berlin war in den Neunzigern, eine Stadt und eine Zeit, in der der Wert der Arbeit gering bemessen wurde und der von Freizeit, Nachtleben und Feierstimmung umso größer. Bernd, groß, blond und blauäugig, steckte mittendrin, und da, wo es am freizügigsten zuging, traf er Veronika. Sie arbeitete an der Bar des „Kit Kat Clubs“, eines Techno- Tanz-Ladens, der berühmt wurde, weil hier viel mehr als nur Technotanz erlaubt war. Herein kam nur, wer auffällig gekleidet war, am besten knapp.

Die Kit-Kat-Chefs lernte Bernd auch schnell kennen, denn im Leutekennenlernen war er gut. Seine offene Art kam an, sein Interesse an den anderen. Dass er von sich selbst kaum etwas preisgab, spielte keine große Rolle, zumal in einer Szene, in der der offene Umgang mit der Sexualität höher gehandelt wird als der mit den Gefühlen.

Wer mit den Leuten spricht, die Bernd am besten kannten, hat nicht das Gefühl, dass sie ihn gut kannten. Veronika sagt, dass es ihr manchmal gelang, aus Gesten und Körperhaltungen abzulesen, wie es ihm ging. Im Gespräch erfuhr sie nur, dass es ihm gut ging. Denn das musste ja so sein: Alles ist gut – sein Credo. Über Krankheit, Furcht und Ungemach sollten die anderen erzählen; er auf keinen Fall.

Die Kit-Kat-Chefs hatten ein zweites Geschäft eröffnet, auch in Kreuzberg, auf der anderen Seite des Görlitzer Parks. Aber das war ihnen schnell zu viel. Bernd, der beim „Estrel“ gekündigt hatte, machte mit Veronika den Sexklub draus, sie gaben ihm den Namen „Club Culture Houze“ und luden Männlein und Weiblein zum Paaren im Schummer-Ambiente ein. Bernd kümmerte sich um Schnittchen auf dem Tresen, saß selbst gern dort und plauderte mit Hinz und Kunz. Als ginge es ihm darum, diesem eher familienfernen Unternehmen einen familiären Anstrich zu verleihen.

Eine andere Familie hatte er ja nicht. Die Brüder lebten weit entfernt, und auf längere und wirklich enge Liebesbeziehungen ließ Bernd sich nicht ein. Ob er einsam war? Die Freunde sagen: Nein.

Und die Freunde waren da, als plötzlich geschah, was gar nicht vorgesehen war. Bernd wurde krank. Ein Gewächs im Kopf, unaufhaltsam, böse. Der Gegenbeweis zu seinem Mantra „Alles ist gut“.

Wirklich ein Gegenbeweis? Veronika erinnert sich an einen der letzten Spaziergänge mit Bernd durch den Görlitzer Park. Er würde bald sterben, das stand fest. Und was sagte Bernd, als er Veronika weinen sah? „Alles ist gut. Ich hab doch euch.“ David Ensikat

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