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Ein Team von „Straßenkinder e. V.“ versorgt Obdachlose auf dem Alexanderplatz.

© Thilo Rückeis

Berlin: Bescherung am Alex

„Straßenkinder e. V.“ kämpft gegen Obdachlosigkeit. Elfte Folge der Spendenaktion „Menschen helfen“

Zwischen Multiplexkino und Fernsehturm überschneiden sich an diesem Nachmittag ganz kurz zwei völlig unterschiedliche Welten: Vor dem Kino am Alexanderplatz schiebt ein Vater seine drei Kinder auf einem Schlitten durch den Schnee, vorbei am Bus des Vereins „Straßenkinder“.

Dort stehen viele, die eine solche Idylle nie erlebt haben – oder schon ziemlich lange nicht mehr. Die von zu Hause weggelaufen sind, weil sie Gewalterfahrungen gemacht haben, es ständig Streit gab oder die Eltern sie rausgeworfen haben. Der Verein „Straßenkinder“ kümmert sich um diese jungen Menschen, die nach Konflikten in Berlin gestrandet sind. Sozialpädagoge Markus Kütter und seine Kollegin Franziska Babel verteilen warmes Essen und fragen die Besucher, wie es ihnen geht. Mit manchen unterhalten sie sich, einige begrüßen sie mit Handschlag, andere wollen nur essen, nicht reden. Die Helfer respektieren das. Markus Kütter trägt eine dicke Mütze und einen Anorak, so winterlich sind die meisten Besucher nicht angezogen.

„Ich komme hierher, weil es warmes Essen gibt“, sagt ein Mädchen, das einen kurzen Rock trägt, Leggings und eine Lederjacke. Mehr will sie nicht erzählen. Ein Junge um die 16 dankt für Nudeln, Gulasch und Tee und läuft schnell zurück in Richtung Fernsehturm. Dabei könnte vielleicht auch er etwas von den Sachen gebrauchen, die Franziska Babel jetzt in Kartons aus dem Bus holt: Darin sind warme Pullover, Mützen, Handschuhe und Socken. Ein anderes Mädchen freut sich über die dicke Decke, die Markus Kütter ihr aus dem Bus reicht – die junge Frau umarmt das Geschenk wie eine große Puppe.

Hacky sucht noch nach einem passenden Pullover. Er hat 14 Jahre auf der Straße gelebt, nun hat er seit kurzem eine Wohnung. „Ich komme aber immer noch gerne hierher“, sagt er. Zwei Hunde, die auch zu den Besuchern gehören, jagen sich um den weißen Bus herum. Gleich wird Markus Kütter noch über den Platz laufen und Ausschau halten nach Neuankömmlingen: Der 32-Jährige hat einen Blick für sie. „Oft rufen uns auch Eltern aus dem ganzen Bundesgebiet an, deren Kinder weggelaufen sind“, sagt er. Der Verein finde die Jugendlichen dann oft schneller als die Polizei, denn die Helfer sind gut vernetzt.

Die Mitarbeiter von „Straßenkinder e. V.“ haben ein Ziel, an dem sie in verschiedenen Bereichen arbeiten: „Wir wollen, dass die Jugendlichen von der Straße herunterkommen und wieder eine Perspektive im Leben sehen“, sagt Markus Kütter. Also wieder zur Schule gehen, eine Ausbildung machen oder eine Wohnung finden. Das ist dem Verein, der zu einhundert Prozent durch Spenden finanziert wird und schnellstens weitere Unterstützung benötigt, schon oft gelungen. „Früher hatten wir hier regelmäßig Besuch von einer jungen Frau, die auf der Straße gelebt hat.“ Nach und nach sei sie mit ihm ins Gespräch gekommen und habe Vertrauen gefasst. „Heute macht sie eine Erzieherausbildung und hat eine eigene Wohnung“, sagt Markus Kütter und begrüßt einen Besucher mit einem grün gefärbten Irokesenschnitt per Handschlag. „Na, Großer“, sagt der.

Neben ihrem Angebot auf dem Alexanderplatz gehen die Mitarbeiter auch regelmäßig auf Streetwork-Touren – zum Beispiel am Ostbahnhof. Viele Obdachlose besuchen später auch die Kleiderkammer des Vereins und fassen Schritt für Schritt mehr Vertrauen. Für die Jugendlichen organisiert das Team dann regelmäßig sogenannte „Reintegrationsfreizeiten“ außerhalb von Berlin. „In diesen Freizeiten verändert sich oft der Blick der Jugendlichen auf ihr Leben“, sagt Markus Kütter. Und die Jugendlichen arbeiteten daran, zurück in ein sesshaftes Leben zu gelangen.Um sein Engagement aufrechtzuerhalten, benötigt der Verein dringend Spenden: für einen neues Bus, denn einer allein reicht nicht mehr. Im Frühjahr haben Markus Kütter und seine Kollegen nämlich das Kinder- und Jugendhaus Bolle in Marzahn eröffnet. „Wir holen die Kinder schon mit sechs Jahren zu uns ins Haus, damit wir sie nicht mit 16 auf der Straße treffen“, sagt er.

Der Verein wartet nicht auf die Kinder, er kommt zu ihnen: Mit den Fahrzeugen werden die Kleinen in Absprache mit den Eltern von der Schule abgeholt und können dort zum Beispiel ihre Hausaufgaben machen und Nachhilfe bekommen. „Bildung ist für diese Kinder der einzige Ausweg aus sozial schwachen Strukturen“, sagt Markus Kütter. Und geht in Richtung Fernsehturm, um nach Neuankömmlingen zu suchen. Rita Nikolow

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