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Berlin: Besorgtes Ballgeflüster

Noch tanzt Berlin. Und man sagt ja, je gruseliger die Zeiten, desto ausgelassener die Tänze.

Noch tanzt Berlin. Und man sagt ja, je gruseliger die Zeiten, desto ausgelassener die Tänze. Beim Berliner Presseball, der einen Neubeginn in der Staatsoper feierte, wurde diesmal so viel über Politik gesprochen, wie nach Ende des Kalten Krieges lange nicht mehr. Das Motto des Balls war "Italien in Europa", und es ist sicher kein Wunder, dass Giovanni di Lorenzo so viel Beifall wie sonst nur die Opernstars erhielt für seine Einführungsbemerkung, dass Rot-Rot in Italien zwar auch bekannt, aber dort ein Auslaufmodell sei. Da brach sich einmal laut die Bahn, was den ganzen Abend über das Ballgeflüster bestimmte. Dafür gibt es im Paten-Land des Balls andere Sorgen, und auch die brachte der Tagesspiegel-Chefredakteur klar zur Sprache: Im Berlusconi-Italien bangt man um die Meinungsvielfalt, besonders im Fernsehen. So viel Meinungsfreude auf einem Ball mag manche der anwesenden Italiener überrascht und teilweise auch konsterniert haben. Schon beim vorabendlichen Get Together hatte Pier Ferdinando Casini, Präsident der Abgeordnetenkammer, nach Kräften versucht, mit einer ausführlichen proeuropäischen Rede ("die Europäische Union steht für die irreversible Festigung der demokratischen Regeln ...") Bedenken über die aktuelle Lage zu dämpfen.

Glücklicherweise sind da ja auch noch die schönen Seiten Italiens, und die repräsentierte glanzvoll Lucia Aliberti, deren Arien mit heftigen Bravo-Rufen bedacht wurden. Der neue Ort selbst prägte das Mantra des Abends: "Besser als im ICC." Filmregisseur Wolf Gremm fühlte sich unter den glitzernden Kronleuchtern gar an Hollywood-Kulissen erinnert.

Der Presseball, eine alte West-Berliner Institution, ist nun also im Osten angekommen. Der künftige Wirtschaftssenator Gregor Gysi, für den ein Platz am Ehrentisch reserviert war, ließ sich dennoch kurzfristig entschuldigen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der Sabine Christiansen zum Ball begleitet hatte, witzelte zwar in möglichst viele Kameras und Notizblocks hinein, dass Gysi wahrscheinlich deshalb nicht da sei, weil er den Ball gerade vergeblich im ICC suche, aber wirklich aufheiternd mag das nicht durchweg gewirkt haben. Sicher nicht auf diejenigen, die zum Beispiel den Namen des neuen Kultursenators nur flüsterten, als lähme Entsetzen noch die Stimmbänder. Eberhard Diepgen hielt fröhlich Hof im Raucher-Foyer mit der Bemerkung "Über Politik lästere ich nur noch".

Vielleicht sieht nächstes Jahr ja schon alles wieder ganz anders aus. Was den Ball selbst betrifft, wird man beim zweiten Mal organisatorisch sicher manches noch verbessern können. Das Opern-Palais mit Hilfe einer teuren Passerelle einzubeziehen, mag, bis sich ein passender Sponsor findet, den Erlös für den Sozialfonds des Journalistenverbandes einschränken, öffnet aber sicher auch anderen Veranstaltern neue Perspektiven. Wenn es gelänge, die Ströme geschickt zu lenken, zum Beispiel, indem man die Büffets nur im Palais serviert und den Übergang mit einigen Stehgeigern etwas belebt, dann sollte es möglich sein, deutlich mehr als 1800 Gäste teilnehmen zu lassen. Obwohl es sicher angenehm war, dass nicht überall drangvolle Enge herrschte und die vielen aufwändigen Abendkleider (immer noch viel Schwarz und Purpurrot) spazieren getragen werden konnten, ohne dauernd von Zigaretten bedroht zu werden. Dafür fehlte für die Frühkommenden eine beheizte Pufferzone bis zum Beginn des Einlasses.

Kein Veranstalter sollte sich in die Lage bringen, auf die Galanterie von Sicherheitskräften angewiesen zu sein, damit Damen in Abendgarderobe bei dem Matschwetter nicht in der Kälte zittern müssen. Dass Saltimbocca, Sekt und Wein diesmal im Preis inbegriffen waren, wurde allgemein als großer Fortschritt gelobt. Ute Lempers Auftritt mit einem heiß leuchtenden "Moon of Alabama" hätte durchaus eine Extra-Ankündigung verdient. Zurückhaltung beim Loskauf mochte auch mit der wirtschaftlichen Situation zusammenhängen, etliche Preise (Reisen, Autos, Geld) blieben erst mal liegen. Und dies obwohl die dem Blitzlichtgewitter stets mit bewunderungswürdiger Grandezza standhaltende Gina Lollobrigida noch weit nach Mitternacht die Glücksfee spielte. Die große Schauspielerin war auch am nächsten Morgen beim Katerfrühstück wieder dabei, was einige der anwesenden Herren verleitete, alte Träume preiszugeben ("Einmal mit der Lollo frühstücken"). Auch hier ein neuer Anfang: das Frühstück fand mit runderneuerter Gästeliste erstmals im Adlon statt; aber die politischen italienischen Ehrengäste waren schon nicht mehr dabei, auch der Regierende Bürgermeister nicht. Vielleicht, weil er den aktiven Teilnehmern am neuen Berliner Party-Spiel ("Wer hält länger durch als er?") in den frühen Morgenstunden wieder recht viel Kondition abverlangt hatte. Aber auch dafür muss man angesichts der vielen besorgten Bemerkungen Verständnis haben. Der Tanz auf dem Vulkan hatte schon immer was angenehm Betäubendes.

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