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Berlin: Besser als ihr Ruf

Die Abiturientin Aylin Selcuk hat den Verein „Die deukische Generation“ gegründet. So bekämpft sie Vorurteile gegen junge Migranten

Aylin Selcuk macht in einigen Wochen ihr Abitur. Eigentlich sollte sie derzeit also am Schreibtisch sitzen und pauken, doch anstatt Politikwissenschaft nur für die Schule zu lernen, versucht sie, selbst Politik zu machen. Die 18-Jährige hatte die Idee, für junge Migranten „Die deukische Generation e.V.“ zu gründen. „Deukisch“ ist eine Mischung aus „deutsch“ und „türkisch“ und soll auf die Schwierigkeiten der Kinder türkischer Einwanderer hinweisen. Von Deutschen würden sie meist als Türken gesehen, doch sie selbst sähen sich auch als Deutsche – ein Zwiespalt, der viele von ihnen in eine existenzielle Krise stürze.

Die Idee zur Vereinsgründung kam Aylin, als sie letztes Jahr eine Abiturarbeit über die Integration türkischer Migranten in Berlin schrieb. Für die Grunewalder Schülerin Aylin war eine Hauptschule in einem armen Stadtteil zunächst so weit entfernt wie für die meisten Abiturienten. „Ich habe dafür mit 15 ,türkischen’ Hauptschülern gesprochen und gemerkt, dass die gar nicht so sind, wie Politik und einige Medien sie immer darstellen.“ Sie würden für vieles verantwortlich gemacht, wofür sie gar nichts können. „In Wirklichkeit sind sie Früchte unserer Gesellschaft.“ Mit dem Verein will Aylin deshalb einerseits das negative Image von Jugendlichen türkischer Herkunft verbessern und andererseits deren Integration stärken. „Diese Jugendlichen sind keine Türken. Sie sind hier geboren und kennen nichts anderes.“

Aylin ist zierlich, trägt gelockte dunkle Haare. Ihre Thesen äußert sie mit Nachdruck. „Am wichtigsten für die Integration sind Sprache und Bildung, die viele sozial schwächere Einwanderer ihren Kindern nicht geben können“, sagt sie. „Deshalb finde ich vorschulische Erziehung und Sprachtests am Schulanfang sehr wichtig.“ Vom Elternhaus könne man das nicht erwarten, denn die vor Jahrzehnten eingewanderten Türken kamen meist aus ländlichen Gegenden und hätten nicht die Möglichkeit gehabt, die Sprache zu lernen.

Zunächst will Aylin sich in ihrer Vereinsarbeit auf Machbares beschränken. So soll es Werbespots zur Imageverbesserung geben, die in Kinos und im Fernsehen gezeigt werden. Einen Sponsor dafür hat sie schon gefunden. Und nächstes Jahr wird die „Deukische Generation“ eine Messe veranstalten, auf der sich Sportvereine vorstellen können. „Hobbys sind eine gute Möglichkeit, durch schwierige Phasen zu kommen und fürs Leben zu lernen. Dann haben die Kinder eine Beschäftigung, entwickeln Selbstbewusstsein, Teamfähigkeit, Disziplin und lernen auch mal andere Kreise kennen als nur ihre Schulklasse und Nachbarn.“ Erst wenn es keine extremen Unterschiede mehr zwischen Migrantenkindern und deutschen Kindern gebe, könne man von Chancengleichheit und gelungener Integration sprechen, meint sie. „Das Problem schlechter Sprachfähigkeit und geringer Bildung ist kein türkisches, sondern ein soziales“, sagt Aylin. „Den Kindern türkischer Eltern, die die finanziellen Möglichkeiten haben, geht es ja gut.“

Die junge Frau spricht aus Erfahrung. Ihre Eltern sind erfolgreich, sagt sie. Doch immer wieder hatte auch sie aufgrund ihrer dunklen Haare und Augen mit Vorurteilen zu kämpfen. Früher habe das ihr Selbstbewusstsein geschwächt. „Doch heute nehme ich es nicht mehr ernst“, meint sie. Ihr selbstbewusstes Auftreten erspart ihr wohl auch vieles, womit unsichere Jugendliche kämpfen müssen.

Die momentane Doppelbelastung von Abiturvorbereitung und Werbung für die „Deukische Generation“ scheint Aylin nichts auszumachen. Sie sei eine gute Schülerin, sagt sie. Nur ihr Handy leidet darunter, dass sie so selten zu Hause ist. Dessen Akku muss sie öfter mal im Café aufladen. Dem Verein kommt es zugute. Er hat inzwischen über 70 Mitglieder, davon 20 aktive in Berlin. Um in ihn einzutreten, muss man nicht türkischer Abstammung sein, auch viele „nur“ Deutsche seien schon dabei. Dennoch sei sie unaufhörlich auf der Suche nach Sponsoren. Viele türkische Unternehmen würden den Verein bereits unterstützen. Deutsche Sponsoren seien noch nicht dabei, was Aylin bedauert: „Schließlich geht es ja darum, das Gemeinsame zu fördern.“

Auch sie selbst hat vieles gelernt in ihren Interviews. Die Hauptschule sei eine Bildungssackgasse. „Da haben die Jugendlichen keine Motivation, keine Perspektive und sind von der Gesellschaft abgeschottet“, meint Aylin. Die 14- oder 15-Jährigen, die heute Probleme hätten, müsse man schnell motivieren, sonst seien sie für die Gesellschaft verloren. Das seien ja noch Kinder, die mit dem Druck nicht umgehen könnten. Auch Hauptschüler hätten Potenzial – es sei bisher nur nicht ausgeschöpft.

Auch der direkte Kontakt „deukischer“ Kinder mit deutschen Kindern könnten falsche Vorstellungen voneinander effektiver ausräumen als alles andere. So wie die Grunewalder Gymnasiastin Aylin durch das Gespräch mit Hauptschülern zu ihrer Fürsprecherin wurde.

Weitere Infos via E-Mail: deukisch@gmail.com

Meike Patzig

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