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Endlich eine Aufgabe. Dragan und Zorica Vujicic sind gehörlos. Bevor sie in der Gebäudereinigung Petersohn anfingen (rechts Personalchefin Gabriela Petersohn), vergingen ihre Tage quälend langsam.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bester Mittelständler 2014: Zeig mir einfach, was Du willst

Für die Petersohns sind Mitarbeiter mit Behinderung keine Bürde, sondern eine Bereicherung. Die Tücken des Alltags meistern sie mit Humor.

Dragan Vujicic macht mit dem rechten Zeigefinger eine Kreisbewegung am Handgelenk. Das zeigt: Die Zeit, wie sie so langsam vergangen ist, als er keine Arbeit hatte. Wie es jetzt sei, mit einem festen Job, fünf Tage die Woche? Vujicic reckt beide Daumen nach oben, die bereits in den hellblauen Schutzhandschuhen stecken. Gleich beginnt er gemeinsam mit seiner Frau Zorica seine Arbeit als Reinigungskraft für die Gebäudereinigung Petersohn aus Berlin- Marzahn.

Die Firma erhält in diesem Jahr den Berliner Inklusionspreis in der Kategorie „Mittelständisches Unternehmen“. Von den rund 80 Mitarbeitern haben derzeit zwölf eine Schwerbehinderung – davon sind die meisten gehörlos, wie das Ehepaar Vujicic aus Neukölln.

Vieles geht durch Zeigen

Seit zwei Jahren sind die beiden fünf Tage die Woche in der Unterhaltsreinigung des Annedore-Leber-Berufsbildungswerks in Britz eingesetzt. Der bunte Wagen mit den Reinigungsmitteln steht schon in der jetzt leeren Mensa bereit.

Die Personalchefin Gabriela Petersohn, deren Mann Ralf-Thomas Petersohn das Unternehmen 1990 gegründet hat und es seither leitet, ist heute ebenfalls vor Ort. Sie begrüßt die Mitarbeiter mit einem Händeschütteln. Was die gehörlosen Kräfte betreffe, sagt sie, gebe es in der Einweisung kaum Unterschiede.

„Vieles, was wir da an Verständigung brauchen, geht sowieso durch Zeigen.“ Welches Reinigungsmittel wird hier eingesetzt? Wo sind die Abfallbeutel? Hauptsächlich komme es auf die körperliche Einsatzfähigkeit an. Und die bringen Zorica und Dragan Vujicic, 43 und 48 Jahre alt und Eltern von drei Kindern, sichtbar mit. „Die zwei sind unser Sonnenschein“, sagt Gabriela Petersohn und lacht in Richtung ihrer Mitarbeiter.

Hin und wieder ist auch Kreativität gefragt

Zorica Vujicic – mit dickem schwarzem Lidstrich und zur roten Uniform passendem Lippenstift – bettet das Gesicht auf die zusammengelegten Hände: Viel geschlafen hätte sie, um die Zeit herumzukriegen, in Zeiten als es höchstens einen Minijob für ihren Mann gab. Vor 23 Jahren sind die Vujicics aus Serbien nach Berlin gekommen. Auch er sei sehr dankbar dafür, endlich einer geregelten Arbeit nachgehen zu können, erzählt Dragan Vujicic. Als Dolmetscherin ist Selma Salkovic hinzugekommen, ebenfalls seit zwei Jahren in der Unterhaltsreinigung für die Petersohns und auch aus Serbien. Im Bedarfsfall übersetzt sie, so dass das Ehepaar von ihren Lippen ablesen kann.

Hin und wieder ist auch Kreativität gefragt. Dann behilft sich der Vorarbeiter – zum Beispiel bei Reinigungsarbeiten in einer Schule – auch schon mal dadurch, dass er an die Tafel schreibt, was er den Mitarbeitern sagen möchte.

Wenn es um komplexere Fragen geht, etwa um Krankmeldungen, Urlaubsplanung oder Probleme bei den Arbeitsabläufen, dann zieht Gabriela Petersohn einen Dolmetscher für Gebärdensprache hinzu. Einer von mehreren Integrationsfachdiensten des Berliner Integrationsamtes kümmert sich um die Vermittlung, auch wenn wie im Fall der Vujicics eine andere internationale Gebärdensprache als die deutsche erforderlich ist.

Putzen mit Hardrock

Zusätzlich gebe es einzelne Sicherheitsfragen, die geklärt werden müssen. Etwa: Was passiert bei Feueralarm? Gabriela Petersohn erklärt: „Die Leute vor Ort wissen immer, welche gehörlosen Mitarbeiter da sind und wo sie sich aufhalten.“ Ansonsten werde eher gemeinsam gewitzelt über die kleinen Eigenheiten – zum Beispiel mit dem gehörlosen Mitarbeiter, der gerne ohrenbetäubenden Hardrock über seine Kopfhörer laufen lässt, weil er das Gefühl des Basses mag.

Oder über kleine Einlagen mit Slapstick-Charakter: Einmal lief ein Mitarbeiter mit einer Kiste voller Reinigungsmittel direkt auf einen Poller zu, erzählt Gabriela Petersohn. Mit lautem Rufen habe sie ihn damals warnen wollen – doch er konnte sie nicht hören und ließ die volle Kiste beim Zusammenprall auf den Boden fallen. „Man nimmt das mit Humor“, sagt Petersohn. Auch die Kunden müssen sich meist eine Weile daran gewöhnen, dass manche Mitarbeiter nicht reagieren, wenn man sie anspricht.

Zwei Daumen nach oben

Wenn sie heute eine freie Stelle habe, sagt Petersohn, frage sie direkt beim Integrationsfachdienst an. Von alleine wäre sie nicht darauf gekommen, gehörlose Mitarbeiter einzustellen. Doch vor etwa fünf Jahren wurde sie gezielt vom Fachdienst angesprochen, ob sie nicht zwei gehörlose Praktikanten beschäftigen wolle. „Die beiden sind als Mitarbeiter heute noch bei uns“, sagt Petersohn. Und es habe sich herumgesprochen, dass ihre Gebäudereinigung gehörlose Menschen einstellt.

Auch mit dem Annedore-Leber-Berufsbildungswerk für Menschen mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf gibt es eine Kooperation, zum Beispiel bei der Vermittlung von Praktikumsplätzen. Für Petersohn sind die Mitarbeiter mit Behinderung eine Bereicherung – auch weil sie immer wieder merkt, wie gerne sie bei ihr arbeiten. „Und diese Dankbarkeit, die einem entgegengebracht wird, das ist schon schön.“

Beim Blick in die Mensa-Küche, wo Dragan Vujicic gerade begonnen hat, den Fußboden zu scheuern, zeigt sie ihm mit einer kleinen Handbewegung, dass sie nur mal kurz gucken möchte. Wieder bekommt sie zwei Daumen – nach oben gereckt.

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