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Cornelia Balke ist gehörlos – kein Hindernis für ihren Job im Rechnungswesen der Wasserbetriebe.

© Urs Kuckertz

Bestes Großunternehmen 2013: "Das Besondere ist, dass alles normal ist"

Bei den Berliner Wasserbetrieben arbeiten mehr als 350 schwerbehinderte Menschen – vom Azubi bis zur Führungskraft.

Cornelia Balke sitzt an ihrem Schreibtisch im Rechnungswesen der Berliner Wasserbetriebe. Sie arbeitet konzentriert am Computer, vergleicht Zahlungsab- und eingänge, erstellt gemeinsam mit den Kolleginnen die Monatsabschlüsse und beantwortet E-Mails. Was man auf dem ersten Blick nicht erkennt: Cornelia Balke ist gehörlos. Wenn das Telefon klingelt, vibriert ein kleines Gerät an ihrem Hosenbund. Dann schreibt sie dem Anrufer – dessen Name auf dem Telefon zu sehen ist – eine E-Mail, dass sie nicht telefonieren kann und schriftlich zu erreichen ist. Auch wenn ein Fax kommt oder jemand das Büro betritt, vibriert der kleine Warner, damit sie reagieren kann. „Es ,zappelt‘ auch bei Feueralarm und Alarmübungen“, erzählt sie.

Dass sie trotz ihrer angeborenen Hörschädigung problemlos sprechen kann, verdankt sie zwei engagierten Frauen und Logopäden, die ihr als Kind vor allem das Sprechen beibrachten. „Damals habe ich sie verflucht, aber heute bin ich dankbar, dass ich mit meinen Kindern, Freunden und Kollegen reden kann“, sagt Cornelia Balke. Sie hat eine ganz normale Schule besucht und später studiert. „Eigentlich wollte ich am liebsten Hebamme werden oder Tierpflegerin, aber dafür muss man hören können. Wie hätte ich zum Beispiel bei einer Schwangeren die Herztöne ihres Babys abhören sollen.“ Sie bekam von der Beratungsstelle für Behinderte einen Ausbildungsplatz zur Finanzkauffrau zugewiesen, „danach folgte das Studium in Finanzökonomie“, sagt die passionierte Langstreckenläuferin. Schließlich suchte sie einen Betrieb, in dem sie ihre Abschlussarbeit schreiben konnte. Bei den Berliner Wasserbetrieben ist sie fündig geworden und nach dem Studium geblieben. Das war vor 27 Jahren.

Früher wollte sie nicht auffallen, heute ist sie selbstbewusster

„Früher habe ich die Haare immer über den Ohren getragen. Die Hörgeräte waren damals nicht besonders schön“, erzählt Balke. Aber vor allem wollte sie mit ihrer Behinderung nicht auffallen. Heute geht sie selbstbewusster damit um. „Ich müsste zwar immer noch mehr einfordern, aber ich bin nicht so gestrickt“, sagt sie. Dass sie gerne bei den Berliner Wasserbetrieben arbeitet, habe in erster Linie damit zu tun, dass sie auf die Leistungen des kommunalen Unternehmens stolz ist. Dazu zählt auch die Unternehmenskultur und die Unterstützung, die Menschen mit Behinderung erfahren. „Das Besondere hier ist, dass alles ganz normal ist“, meint Cornelia Balke.

Diese Beobachtung teilt auch Nelli Stanko vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales. „Das trifft auf einige große Unternehmen zu, die sich gar nicht bewusst sind, dass sie mit ihrem betrieblichen Engagement für Menschen mit Behinderung etwas Besonderes leisten“, sagt sie. Dass die Berliner Wasserbetriebe dieses Jahr den Inklusionspreis in der Kategorie „Großunternehmen“ gewonnen hätten, sei kein Zufall. Hier funktioniere das Eingliederungsmanagement sehr gut, und der Arbeitgeber engagiere sich aktiv in der gesundheitlichen Prävention.

Das Unternehmen nutzt viele verschiedene Maßnahmen und bildet in Kooperation mit der Annedore-Leber-Stiftung auch schwerbehinderte Jugendliche aus; derzeit erlernen hier drei Azubis mit Behinderung einen Beruf. „Das Konzept geht über die rechtlichen Vorgaben hinaus, ist sehr durchdacht und wird mit vielen praktischen Beispielen belebt“, lobt Nelli Stanko. Was ihr besonders imponiert, ist die Tatsache, dass die Jury des Inklusionspreises nur positives Feedback zu den Berliner Wasserbetreiben erhalten hat. „Kein schlechtes Wort von niemandem. Man spürt, dass Inklusion hier gelebt wird. Man spürt den Anstand, für den die Menschen im Unternehmen einstehen.“ So stehe zum Beispiel das Thema „Behinderung und Armut“ weit oben auf der Agenda – mit Verdienstmöglichkeiten für Menschen, die als arbeitsunfähig gelten, und durch eine auf sie zugeschnittene Tätigkeit bei dem Versorger davor bewahrt werden, in die Armut abzurutschen.

Controller Stefan Hawranke trainiert für die Paralympics

Stefan Hawranke (li.) arbeitet als Controller bei den Wasserbetrieben – und spielt Goalball im deutschen Nationalteam.
Stefan Hawranke (li.) arbeitet als Controller bei den Wasserbetrieben – und spielt Goalball im deutschen Nationalteam.

© Privat

Über 350 schwerbehinderte beziehungsweise gleichgestellte Beschäftigte arbeiten aktuell bei den Berliner Wasserbetrieben. Das entspricht einer Quote von 7,8 beziehungsweise acht Prozent – mehr als der Gesetzgeber fordert. „Rund 30 Prozent unserer schwerbehinderten Beschäftigten arbeiten in Teilzeit“, erklärt Marion Polak, Beauftragte der Berliner Wasserbetriebe für Menschen mit Behinderung. „Im Laufe der letzten Jahre wurden fast 30 Arbeitsplätze behindertengerecht umgebaut. Außerdem haben wir an zahlreichen Betriebsstellen barrierefreie Zugänge für Kunden und Mitarbeiter geschaffen.“ Insgesamt 13 Führungskräfte des Unternehmens – verteilt über alle Führungsebenen – haben eine Schwerbehinderung, und rund 45 Prozent der schwerbehinderten Beschäftigten nehmen monatlich ein Gehalt von mindestens 3000 Euro brutto mit nach Hause; es bestehe „Chancengleichheit auf allen Ebenen“, so Polak.

Auch sonst versuche man, flexibel auf individuelle Situationen einzugehen. Für Stefan Hawranke, Controller im Bereich Forschung und Entwicklung, wurde zum Beispiel kurzerhand eine Sonderregelung für die Telearbeit eingerichtet. „Als Leistungssportler kann er nun regelmäßig zum Training gehen“, erklärt Polak. Der Berliner ist Nationalspieler in der deutschen Goalball-Mannschaft, einer Ballsportart für Blinde und Sehbehinderte, und trainiert für die Paralympics 2016.

Die 10 000 Euro Preisgeld werden gespendet

„Als ich meine Aufgabe als Beauftragte für Menschen mit Behinderungen übernommen habe, musste ich mein Bild von dem, was wir allgemein als Schwerbehinderung betrachten, revidieren“, erinnert sich Polak. „Denn bei vielen ist die Behinderung nicht unbedingt sichtbar. Wir sprechen hier nicht nur von Seh- und Hörgeschädigten oder Rollstuhlfahrern, sondern auch von Menschen mit Diabetes oder Krebs oder von jemandem, der ein schweres Rückenleiden hat.“ Bei einer Belegschaft mit einem Durchschnittsalter von über 50 Jahren würden in Zukunft die Aufgaben im Bereich betriebliche Eingliederung und gesundheitliche Vorsorge nicht weniger. „Aber wenn wir als Anstalt des öffentlichen Rechts uns diesen Herausforderungen nicht stellen – wer dann?“, fragt die Behindertenbeauftragte.

Bereits Ende November wurde das betriebliche Gesundheitsmanagement des Versorgers mit dem „Corporate Health Award“ 2013 ausgezeichnet, einer Initiative von „Handelsblatt“, Tüv Süd und EuPD Research Sustainable Management. Nun also der Inklusionspreis. Die damit verbundene Geldprämie in Höhe von 10 000 Euro will das Unternehmen übrigens gleichweiterreichen – und dafür Trinkwasserspender in Einrichtungen aufstellen, die Menschen mit Behinderung fördern.

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