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Besuch im Kultur-Unikat: Den Tacheles-Künstlern ist das Geld egal

Die belächelte "Gastrofraktion" wurde rausgekauft. Aber was ist mit den verbliebenen Künstlern im zwangsverwalteten Tacheles? Wir haben sie besucht.

Drinnen ist alles wie immer. Von irgendwoher dröhnt Rockmusik durch das Treppenhaus. Unten, im Eingang des Tacheles, liegt ein leichter, wirklich nur ganz leichter Urin-Geruch in der Luft. Das trägt zur anarchischen Atmosphäre dieses Kultur-Unikats bei. An diesem Mittwoch kommen immer mehr Touristen hinein – als hätten sich die Gerüchte von der Schließung des Hauses bis sonstwohin verbreitet. Aus dem Fenster kann man draußen einem Bagger beim Räumen des Hofes zusehen. Reste des eingestellten Gastronomiebetriebs werden in einen Container befördert. Die „Gastrofraktion“, wie die Tacheles-Künstler verächtlich sagen, hat den Betrieb eines Cafés angeblich gegen die Summe von einer Million Euro eingestellt. Die HSH-Nordbank, Eigentümerin des ganzen großen Objekts, ist jedenfalls ein Problem los.

Der „Problemlöser“ ist Rechtsanwalt Michael Schultz. Der hat sich bereits beim Krisenmanagement der Treberhilfe bewährt. Mit dem Zwangsverwalter des Areals habe er seine Vereinbarung mit den früheren Besetzern abgestimmt, sagt Schultz. Den Auftrag dazu habe er „von einem Kaufinteressenten“ bekommen. Dessen Namen will er nicht verraten. Der Hamburger Kaufmann Harm Müller- Spreer ist es nach eigenen Angaben nicht: „Ein besetztes Haus interessiert mich nicht, ich kaufe Baugrundstücke“, sagte der Bauherr des Spreedreiecks auf Anfrage. Den etwa 70 Künstlern, die in der Kaufhaus-Ruine ihre Ateliers haben, hat Schultz kein Angebot unterbreitet. Das gehöre nicht zu seinem Auftrag, sagt er. Der Job sei mit der Sicherung der frei gegebenen Flächen erledigt.

Im Vorderhaus nehmen drei junge Frauen vorsichtig Treppe um Treppe, bis nach oben unter das Dach, wo der Rocksender rockt und der belarussische Künstler Alexandr Rodin seine großformatigen, etwas surrealistischen Bilder ausstellt. Ein Mann mit turbanhafter Kopfbedeckung und Sonnenbrille läuft herum und schweigt.

Der Maler Volker Witte erklärt indes jedem, der ihn fragt, die Lage. Die sei alles anderes als problemlos – „die Rechtslage ist nicht gut“, so Witte. Keiner der Künstler in den 30 Ateliers weiß, wie lange die Räume noch zur Verfügung stehen. Witte, 60, arbeitet seit sechs Jahren im Tacheles und sagt: „Ich kann davon leben.“ Seine Bilder verkaufe er „bis nach Tokio“. Ohne das Tacheles, sagt Witte, wäre die Gegend „langweilig“. Und August- und Linienstraße? „Galerien gibt es auch in Charlottenburg.“ Tatsächlich ist das Tacheles der letzte rohe Bau in einem jeden Tag schicker werdenden Viertel. Besucher aus Paris sagten, „was haben Sie hier für eine Perle“, erzählt Witte. Das Besondere an der Gegend „ist das Haus“.

Ein paar Stockwerke tiefer kommt dem Künstler Martin Reiter die Geduld abhanden. Der schlanke Mann, dessen lange Locken an den Led-Zeppelin- Sänger Robert Plant erinnern, versteht sich als jemand, der „gegen das neoliberale Regime“ arbeitet. Das verkörpern die HSH-Nordbank und der unbekannte Investor, der hinter der Million für die Gastro-Fraktion stecken soll.

Was nun wird, weiß auch Reiter nicht. Die Politik sei gefordert – aber nicht im Sinne des helfenden Sponsors. Mietzahlungen des Senats an die Bank, um das Kunsthaus offen zu halten? Das wäre „ein Raubzug auf Kosten der Steuerzahler“, schimpft Reiter und spottet mit der Häme des gebürtigen Österreichers, offenbar müssten die Künstler die Arbeit der Politiker übernehmen: „Wegwerfarchitektur“ wie etwa beim Spreedreieck dürfe hier nicht entstehen. Reiter und seine Mitstreiter wollen das Kunsthaus zu einer Stiftung umbauen, damit der Ateliebetrieb und die Zusammenarbeit mit Kunsthochschulen weitergehen könne. Was die Zukunft des Tacheles angehe, so Reiter, herrsche jetzt „endlich“ Windstärke 10. Der Kultursenator Wowereit sei gefordert, seine Arbeit zu tun – „oder er ist ein schlechter Kultursenator“.

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