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Berlin: Bett-Einsatz

Kirchenvorstand Jörg Forßbohm zieht auf der Suche nach Privatquartieren von Haus zu Haus. Wer zusagt, bekommt eine Tube Zahnpasta geschenkt

Als er loszieht am Bahnhof Biesdorf, ist die schwarze Samsonite-Aktentasche ganz schwer. Rote Ajona-Zahnpasta-Tuben schleppt Jörg Forßbohm, Luftballons und rosarote Gemeindebriefe. Normalerweise steckt ja ein Mitarbeiter die Briefe einfach in die Briefkästen. Aber weil Ende Mai ökumenischer Kirchentag ist und die Kirchen noch viele, viele Betten suchen, muss der Chef ran. Heute übergibt Kirchenvorstand Forßbohm die Gemeindebriefe höchstpersönlich.

Biesdorf ist eine Siedlung mit vielen Einfamilienhäusern und deshalb erfolgversprechender für die Suche nach Privatquartieren als Plattenbauten. „Da drüben ist mein erstes Opfer“, sagt Jörg Forßbohm, silberner Vollbart, braune Jeanshose, kariertes Hemd. Jörg Forßbohm ist Lehrer und packt normalerweise Schülerhefte und Unterrichtsbögen in die Tasche. Jetzt klingelt er am Gartentor eines fein sanierten, dreistöckigen Backsteinhauses. Das Familienoberhaupt, dem das Laufen nicht mehr leicht fällt, öffnet die Tür und winkt ab. Er müsse seine Frau pflegen, da könne er keine Gäste gebrauchen.

Die Tochter, blonde Haare, Jeans, Mitte dreißig, pflückt derweil Kinderpullis von der Wäscheleine. Sie würde ja gerne, aber leider sei die Familie Ende Mai in Urlaub. So leicht ist Forßbohm allerdings nicht abzuschütteln. Er selbst nimmt schließlich sieben Leute auf, eine Familie mit zwei Kindern schläft im Keller, eine mit einem Kind in den alten Kinderzimmern der heute 16- und 19-jährigen Töchter… Die junge Frau wird weich, rechnet nach, man sei ja erst ab Sonnabend in Urlaub, die Kirchentagstouristen kommen mittwochs – vielleicht für drei Tage. Das reicht nicht für eine Ajona-Tube. Die gibt es erst bei einem klaren Ja. Die Frau steckt verschämt einen Zettel ein, auf dem man sich einen Wunschbesucher aussuchen kann: Mann/Frau/Familie, gehörlos, blind, rauchend.

An den nächsten fünfzehn Türen kassiert der Protestant nur Absagen. In einem Haushalt scheitert es an der kaputten Heizung, in einem anderen an der kaputten Dusche. Forßbohm zeigt sich wenig beeindruckt von solchen Argumenten, gebetsmühlenartig beteuert er, dass die Kirchentagsgäste „nette Leute“ sind und, falls jemand doch mal nicht so nett ist, die Gastgeber bei der Kirche versichert sind.

Noch sechs Wochen bleiben Forßbohm und seinen Mitstreitern, erst 8500 Gastgeber sind gefunden. Was, wenn es nicht klappt? „Es muss klappen“, sagt Forßbohm. Schließlich koste der Kirchentag Eintritt, plus Fahrtkosten, da seien auch ohne Übernachtung für eine Familie schnell 300 Euro weg. Forßbohm weiß Bescheid, er hat mit seiner Frau und den beiden Töchter alle Kirchentage seit der Wende abgeklappert, immer hat die Familie in privaten Wohnungen geschlafen. „Die Berliner sind wohl noch nicht so gastfreundlich“, sagt Forßbohm vorsichtig.

Aber dann klappt doch noch was an diesem Abend: In einem Haus mit großen Garten versichert eine Tochter, dass die Eltern mindestens eine Person aufnehmen werden. Der zweite Treffer ist halb geschenkt: Es sind Freunde der Forßbohms. Eine magerer Bilanz: In zwei Stunden ist der Kirchenvorstand an 20 Türen genau zwei Ajona-Tuben losgeworden. Die Tasche hängt über seiner Schulter. Sie ist immer noch schwer.

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