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''Betteltouristen'': Mitleid-Melodie

Sie sind Kinder, sie sind meist aus Rumänien und sie machen Musik auf der Straße: Die Betteltouristen müssen Geld verdienen – unter Aufsicht der Eltern.

„Wir sind hier nur Touristen. Berlin ist doch eine schöne Stadt.“ Unter Mioritas breitem Lächeln blitzen ein paar Goldzähne hervor. Ein paar Meter weiter sitzt ihre Tochter mit einem Akkordeon und klimpert immer wieder dieselbe Melodie. Das Instrument wirkt zwischen ihren Händen wie ein Fremdkörper. Mit einem Kontrollblick auf das Mädchen erklärt die 43-Jährige, dass ihre Tochter gerne spiele und nur so lange, wie sie wolle. Schließlich seien sie ja im Urlaub. „Ansonsten machen wir das, was sie gerne mag, baden gehen etwa“, erzählt Miorita und schaut zum Fernsehturm hoch. Als das Mädchen sich kurz auf die Bank setzen will, sagt ihr die Mutter mit harter Stimme, dass sie wieder arbeiten gehen soll.

Die beiden kommen aus Bacau, einer Stadt in Rumänien, wo Miorita ihr Geld damit verdient, Holz im Wald aufzusammeln. Vor zwei Monaten machte sie sich auf den Weg nach Berlin. Ihre Tochter, die gerade Ferien hat, nahm sie mit. „Es geht das Gerücht, dass in Deutschland die Leute sehr nett sind und gutes Geld geben“, erzählt sie. Hinter ihr fallen Münzen klimpernd vor die Füße ihrer Tochter. In diesem Sommer sind ihre Landsleute, viele davon Roma, an jeder Ecke zu finden. Sie putzen Autoscheiben, spielen Musik oder betteln einfach.

Bevor sie nach Deutschland kommen, leihen sie sich bei Verwandten oder Freunden Geld, um es bei der Einreise an der Grenze vorweisen zu können. Als Touristen dürfen sie drei Monate im Land bleiben. Geschlafen wird im Auto, in einer Pension oder einer Mietwohnung. Alle hoffen darauf, dass die Deutschen, aber auch die Touristen, „milos“, gutherzig sind. Vor allem Kinder sollen das nötige Mitleidsgefühl anregen.

Auf dem Weg vom Nikolaiviertel zum Berliner Dom sitzen an manchen Tagen gleich vier Kinder als musikalische Streckenposten – das Akkordeon auf den Knien, einen Becher für das Geld auf dem Boden. Und alle spielen dieselbe Melodie. Ab und zu machen sie eine Pause, um dann wieder von vorne zu beginnen. Ab und an löst ein Junge einen anderen ab. Eltern, Verwandte oder Freunde der Familie sind immer in der Nähe.

Andrea sitzt unbeobachtet auf einer Bank, deswegen ist es für sie kein Problem, ihr Akkordeon abzustellen. Das Instrument sieht ziemlich heruntergekommen aus. Die Verzierungen auf dem Gehäuse sind zerkratzt. Die 14-Jährige ist eine Roma und vor zwei Monaten mit ihrem Vater und ihrem großen Bruder aus Bacau gekommen. Die Mutter ist zu Hause geblieben und kümmert sich um den vierjährigen Bruder und den Hof. Die Familie versorgt sich größtenteils selbst durch ihre Felder. Das Akkordeonspiel hat das Mädchen von ihrem Vater gelernt.

Sie erzählt, das es in Berlin schön sei und ihr es gut gefalle, Musik zu machen. Ein paar Minuten später aber erklärt sie, das sie lieber zurück möchte: „Ich habe es satt hier, würde lieber nach Hause und Freunde treffen.“ Jeden Tag spielt sie ein paar Stunden und verdient zehn bis zwölf Euro, die sie angeblich nur für sich ausgibt. „In Rumänen ist es sehr arm.“ Im September geht für Andrea die Schule wieder los. Sie besucht die siebte Klasse. Ihr gefällt die Schule, besonders Rumänisch und Mathematik.

Ein kleiner blonder Junge schaut Andrea mit großen Augen an, sie lächelt scheu. Die Mutter zieht ihn weg. Probleme gäbe es keine, meint Andrea. Wenn die Polizei kommt, würde sie wegrennen, genauso wie die anderen Kinder. Andrea kennt viele von ihnen, einige kommen wie sie aus Bacau.

Ein Polizist, der regelmäßig am Alexanderplatz Streife läuft, ist ratlos. Seit Rumänien der EU beigetreten ist, gäbe es ein „Schwemme“ an Straßenmusikanten und Bettlern, darunter viele Kinder. Dagegen tun kann er nichts; er setzt darauf, dass die Passanten nichts geben. Besonders beschäftigen ihn ein paar Bettlerfrauen, die ihre Kleinkinder durch den Bahnhof schleppen und die Hand aufhalten. Kioskbesitzer berichten, dass die Frauen bis zu zehn Stunden täglich unterwegs sind. Das Wachpersonal hat schon mehrfach Verweise erteilt. Geändert hat sich nichts.

„Do you speak English?“, spricht Maria einen jungen Mann an, der gerade bei Mc Donalds steht. Sie hält ihm einen Papierfetzen unter die Nase, auf dem in Englisch gekritzelt steht, dass die junge Frau aus Bosnien käme, ihr Vater krank und ihre Mutter behindert sei. Maria legt den Kopf schief, guckt wehleidig und zeigt auf ihren Jungen. „I need milk for my child. I sleep in the park.“ Der Angesprochene dreht sich weg und schimpft.

Maria schläft in Wirklichkeit bei einem rumänischen Freund. Für das Zimmer zahlt sie 100 Euro im Monat, verdient aber nur fünf bis zehn Euro am Tag. Davon muss sie Windeln und Essen kaufen. Sie kommt nicht aus Bosnien, sondern aus einer Kleinstadt in der Nähe von Bukarest, wo sie sich um ihre behinderte Mutter und ihren kranken Vater kümmern muss. Von ihrem Mann hat sie sich getrennt. Die junge Frau ist nach Berlin gekommen, um Geld zu verdienen, doch jetzt ist ihr Sohn krank geworden. Sie war beim Arzt und musste 60 Euro für die Behandlung bezahlen. Jetzt braucht sie Geld für die verschriebenen Medikamente. Maria ist seit sechs Stunden unterwegs, auf ihrem Arm sitzt ihr Sohn und quengelt und trommelt gegen ihre Brüste. Einige Leute haben Maria schon gesagt, dass das Kind ins Bett gehöre. Dann dreht sie sich weg und bettelt den Nächsten an. Die Leute hätten einfach keine Ahnung von ihrem Leben in Rumänien, sagt Maria.

Antonie Rietschel

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