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Berlin: Bewährung für jungen Dealer – Urteil macht Experten ratlos

Der Gutachter reagierte mit Sarkasmus: „Dann können die Richter ja immer das Alter schätzen.“ Erst gestern hatte der Rechtsmediziner aus Brandenburg erfahren, dass am Montag eine Jugendrichterin sein Altersgutachten als unvollständig abgelehnt hatte.

Der Gutachter reagierte mit Sarkasmus: „Dann können die Richter ja immer das Alter schätzen.“ Erst gestern hatte der Rechtsmediziner aus Brandenburg erfahren, dass am Montag eine Jugendrichterin sein Altersgutachten als unvollständig abgelehnt hatte. Der Gutachter war zum Schluss gekommen, dass ein nach eigenen Angaben 13-Jähriger tatsächlich „mindestens 21“ und damit voll strafmündig ist. Doch der Richterin fehlte eine Untersuchung der Zähne, stattdessen glaubte sie der neuen Angabe des Tatverdächtigen Hassan El-F., in Wirklichkeit 17 Jahre alt zu sein. Auch dessen Anwalt Burkhart Person sagte, das Gutachten habe bei Weitem nicht den Anforderungen entsprochen. Der Mediziner verteidigte gestern seine Expertise und betonte, dass der Zahnstatus „keinen Erkenntniswert“ habe. „Die Knochen sind das A und O.“ Die Röntgenbilder seien von zwei Ärzten analysiert und übereinstimmend bewertet worden. Am meisten verwundert den Mediziner, dass die Richterin kein zweites Gutachten in Auftrag gegeben habe, wie in Prozessen üblich.

Auch der Landesvorsitzende des Bundes der Deutschen Kriminalbeamten (BDK) zeigte sich überrascht über das Urteil. „Dann muss man doch die Justiz fragen, welchen Wert diese Gutachten haben und wie man künftig damit umgeht“, sagte Michael Böhl. Auch seiner Ansicht nach hätte ein zweites Gutachten herangezogen werden müssen.

Bei der Bildungsverwaltung zeigte man sich ebenfalls enttäuscht über das Urteil. Der Drogendealer war zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und in die Freiheit entlassen worden. „Wir sind über die Entscheidung nicht amüsiert“, sagte Pressesprecher Christian Walther. Die Zuständigkeit für delinquente Jugendliche liege jedoch bei den Bezirksämtern.

Neuköllns Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold (Grüne) kennt das Problem mit vermeintlich minderjährigen Strafttätern. „Die Hintermänner, die die Jungen hier herlocken, kennen sich aus und sagen ihnen, welches Alter sie bei einer Festnahme angeben sollen.“ Vonnekold hofft, dass das neue, schnellere Verfahren zur Altersbestimmung die Arbeit der Jugendämter erleichtern wird. Ein Fortschritt sei, dass ab Sommer jugendliche Tatverdächtige in einem Berliner Heim festgehalten werden können. Wo sich El-F. derzeit aufhält und ob er von Sozialarbeitern betreut wird, war am Dienstag nicht zu erfahren. Für die Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender ist die Erstaufnahme- und Clearingstelle (EAC) in Zehlendorf zuständig. 2007 kümmerte sich die EAC um 221 unter 16-Jährige. 2009 waren es nur noch 152 Fälle. Der Großteil der Jugendlichen stammt aus Vietnam. Die EAC nimmt eine erste Alterseinschätzung vor und verteilt die Minderjährigen auf die Bezirke. Ha/jra/tabu

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