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Die Schaukel. 60 Meter lang, bis zu fünf Meter hoch. Simulation: Milla&Partner/Sasha Waltz

© dpa

Bewegt vom Bürgerwillen: Technische Realisierbarkeit des Einheitsdenkmals wirft Fragen auf

Bis zu 1500 Menschen dürfen auf das neue Einheitsdenkmal – doch schon ganz wenige reichen aus, um die Stahlkonstruktion zu neigen.

Obstschale, Wendeplatte, Wippe – kaum ist der Wettbewerb für das Einheitsdenkmal entschieden, hat der Entwurf des Stuttgarter Architekturbüros Johannes Milla und der Berliner Choreografin Sasha Waltz fast schon so viele Spitznamen wie Wettbewerbsbeiträge in die Endauswahl kamen. Und nicht nur die Gestalt des Denkmals wirft Fragen auf, sondern auch dessen technische Realisierbarkeit. Denn das Denkmal soll ja nicht betrachtet, sondern bestiegen werden – weil es sich verneigen soll vor dem Willen der Bürger, um nicht zu sagen: unter deren Last.

Das Gewicht von 50 Menschen sollte im ursprünglichen Entwurf reichen, um das Denkmal zu bewegen: wie eine träge Waage, die sich „sehr sanft und sachte in Bewegung setzt“, sagt Jochen Sandig. Der Gründer und Betreiber des Radialsystems war einer der sechs Kreativen im Team von Architekten und Choreografen, das den Entwurf ausgeheckt hat, und er erklärt ihn so: Um etwas in Bewegung zu setzen, braucht es „Gleichgesinnte“. Dies sei bei der friedlichen Revolution in der DDR so gewesen, sei bei vielen Bürgerbewegungen heute so – und wird beim Einheitsdenkmal eben auch so sein.

Wie stark und schnell die 330 Tonnen schwere Stahlkonstruktion auf das Volk reagiert, ist dank Hydraulik leicht zu beeinflussen: Der Druck in den Wasserzylindern unter dem Baukörper lässt sich stufenlos einstellen, sagt Sebastian Letz, Architekt bei Milla & Partner. Und weil sich nicht immer die Besatzung eines ganzen Reisebusses am Schlossplatz zusammenfindet, sollen nach gegenwärtigen Überlegungen schon 15 Gleichgesinnte ausreichen, um „eine Veränderung herbeizuführen“. Höchstens 1500 Menschen dürfen auf die 730 Quadratmeter Nutzfläche große Schale steigen.

Der Statikplaner des Vorhabens Markus Maier erklärt, dass die 60 Meter lange und 25 Meter breite Stahlkonstruktion ähnlich aufgebaut ist wie ein Schiffsrumpf. Maier ist Geschäftsführer von Leonhardt, Andrä und Partner. Die Ingenieure haben etwa den Stuttgarter Fernsehturm und die O2-World am Ostbahnhof durchgerechnet. Maier sagt: „Die Betriebssicherheit ist gewährleistet.“ Sogar ein Gutachten vom Tüv-Süd habe man dazu eingeholt.

Auch die Kostenplanung von zehn Millionen Euro werde nicht überschritten, versichert Sandig. Dem Vernehmen nach soll die Jury schon sehr frühzeitig einen Nachweis der technischen Realisierbarkeit und der Sicherheit für den Betrieb der Wendeplatte gefordert haben. Personal braucht es für den Betrieb nicht. Bis zu fünf Meter über dem Sockel des Denkmals könnten einzelne Menschen schweben, wenn sich auf der gegenüberliegenden Seite eine größere Gruppe versammelt und das Denkmal zum höchsten Punkt neigt. Deshalb sollen filigrane Zäune die Ränder der begehbaren Fläche begrenzen, damit niemand hinunterfällt.

Die Oberfläche der „Schale“ wird aus Asphalt bestehen, wie die von Menschen gefüllten Straßen und Plätze, auf denen der Ruf nach der Wende laut wurde. Die äußere Hülle dagegen werde nicht so golden leuchten, wie es die Entwürfe nahe legen. „Es wird ein matt schimmerndes Material sein“, sagt Architekt Letz. Mit „Glanz und Gloria“ habe dies nichts zu tun – und auch das Gold aus der deutschen Fahne soll die Farbgebung nicht inspiriert haben. Ein Modell des Denkmals befindet sich zurzeit im Paul-Löbe-Haus, ist aber nicht zu besichtigen.

Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe nannte den Entwurf „eine ganz interessante Skulptur“ und findet es „nicht schlecht, dass man sie begehen und bewegen kann“. Es sei aber auch eine herausfordernde Arbeit für die Ingenieure, wie er aus eigener Anschauung weiß: Im Tilla- Durieux-Park am Potsdamer Platz wurden die großen Wippen stillgelegt, weil sie falsch konzipiert wurden. Dort schlugen die Lager oft aus. Deren Austausch würde 120 000 Euro kosten. Gothe: „Das können wir uns nicht leisten.“

Zu den ersten offenen „partizipativen Denkmälern“ dieser Art zählt wohl das Holocaust-Mahnmal von Architekt Peter Eisenman. Ist es der neue Trend, dass man zeitgenössische Mahnmale besteigen, dort spielen, essen oder sich treffen kann? „Das hängt vom Kontext ab“, sagte Eisenman auf Anfrage. Er kenne den Entwurf für das Einheitsdenkmal noch nicht. Die Offenheit des Holocaust-Mahnmals sei deshalb entstanden, weil der Massenmord an den Juden „jenseits der Begreifbarkeit“ sei und deshalb nicht durch ein Monument oder Symbol repräsentiert werden könne. „Deshalb ist ein alltäglicher Ort ohne Bedeutung, ohne Zentrum und ohne Ausrichtung entstanden“, sagt Eisenman. Und er sei froh, dass sein Experiment gelungen sei: „dass die Leute sagen: Hey, wir treffen uns zum Lunch am Holocaust-Memorial“. Ralf Schönball

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