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Berlin-Buch wiederaufgelegt: David Bowie - Lost in time near KaDeWe

David Bowie wurde am 8. Januar 1947 geboren und starb am 10. Januar 2016. Hier eine Leseprobe aus Tobias Rüthers Buch "Helden. David Bowie und Berlin", das jetzt wieder erschienen ist.

Er hat seine Wohnungsschlüssel mitgenommen. Sie hängen einfach da, hinter Glas: zwei längere Schlüssel, wie sie typisch sind für die hölzernen Flügeltüren Berliner Altbauten, und vier kürzere mit gummiertem Griff. Daneben hängt ein Linienplan der Berliner Verkehrsbetriebe. Und der Text von ‚Heroes‘, mit der Hand geschrieben, auf Karopapier. Und eine Postkarte, undatiert: „Dear David”, steht darauf, “it would be great if we could see you again before we go. Christopher Isherwood.”

Sechsunddreißig Jahre sind vergangen, seit David Bowie Berlin verlassen hat. Und jetzt kehrt er zurück. Mit einer Retrospektive seines Lebenswerks im Martin-Gropius-Bau, einen Steinwurf vom Hansa-Studio entfernt. Sie wird ein großer Erfolg: Nicht nur die Berliner stehen zwischen Mai und August 2014 Schlange, die Besucher kommen aus aller Welt in den Gropius-Bau, um den verlorenen Sohn der Stadt endlich wieder in dieser Stadt feiern zu können. Vielleicht haben sie vorher noch im Hansa-Studio vorbeigeschaut oder vor der Hauptstraße 155 gestanden, um Fotos zu machen: die Bowie-Nostalgiemaschinerie in Berlin funktioniert inzwischen bestens, und mehrsprachig.

Dreihundert Exponate aus Bowies riesigem privaten Archiv versammelt die Retrospektive im Gropius-Bau, die vorher schon in London, Toronto und Sao Paulo zu sehen gewesen ist: Kostüme, Storyboards für Filme, Briefe, Songtexte, Fotos, Bilder. Sein Kartensatz von Brian Enos „Oblique Strategies“ ist zum Beispiel ausgestellt, die Ränder der Karten ganz abgewetzt. Oder Briefe von und an Marlene Dietrich aus der Zeit, als die beiden „Just a Gigolo“ drehten. Ein Foto von ihm und seiner Assistentin Coco Schwab in Ost-Berlin.

Tobias Rüthers Buch "Helden. David Bowie und Berlin".
Tobias Rüthers Buch "Helden. David Bowie und Berlin".

© promo

Und ein anderes, das den Küchentisch in der Hauptstraße 155 zeigt, an dem Eduard Meyer sitzen durfte. Ein Selbstporträt aus dem Jahr 1978 hängt an der Wand, in der Art des Covers von ‚Heroes‘, und ein paar der anderen Bilder, die er damals in Berlin malte: sein Porträt von Yukio Mishima, von Iggy im Tiergarten. Und ein Linienplan der BVG, und eine Postkarte von Isherwood, und die Schlüssel zur Hauptstraße 155.

Eigentlich kriegt man als Mieter einer Berliner Wohnung ja seine Kaution nicht zurück, wenn man die Schlüssel behält. Entweder es ist spießig zu glauben, solche Regeln würden auch für jemand wie Bowie gelten. Oder er lebt, ideell jedenfalls, immer noch dort.

Nein, David Bowie lebt natürlich seit langem in New York. Jahrelang hatte er das ziemlich zurückgezogen getan, hatte sich kaum noch in der Öffentlichkeit gezeigt, auch keine Musik mehr veröffentlicht - bis er am Tag seines sechsundsechzigsten Geburtstags, am 8. Januar 2013, wieder auftauchte, wie aus dem Nichts, mit einem neuen Song und einem Video dazu.

„Where are we now?“, heißt das neue Lied. Ein getragenes Schlagzeug, eine zurückhaltende Gitarre, die nur hier und da mal einen Akzent setzt, bis sie sich zum Ende hin aufschwingt und lebendig wird. In Bowies Songbook könnte man das Lied irgendwo zwischen „Teenage Wildlife“ (von Scary Monsters) und „Strangers when we meet“ (von Outside) einsortieren, nur ist es viel, viel langsamer, elegischer, weiser. Zu diesem schleppenden Rhythmus und dem spärlichen Gitarrennoten singt Bowie mit gebrochener Stimme: über Berlin.

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Und er spricht wieder Deutsch. Oder wenigstens ein paar deutsche Worte: Potsdamer Platz. Bösebrücke. Dschungel. Nürnberger Straße. KaDeWe. Und immer noch bricht Bowie sich ein bisschen die Zunge dabei, wie damals, als Antonia Maaß versuchte, ihm die deutsche Übersetzung von „‚Heroes‘“ zurechtzubiegen, damit er sie unfallfrei singen konnte. So viele Künstler nach ihm haben Bowies Zeit in Berlin gehuldigt: Jetzt tut er es selbst. So viele Fernsehkameras haben vor der Hauptstraße 155 gestanden: Jetzt sieht man das Haus auch im Video zu „Where are we now“, das Tony Oursler gedreht hat, der Installations-Künstler. Der Song ist ein einziger Akt der Selbsthistorisierung.

Eigentlich ist das nichts neues für Bowie, er hat so etwas ja immer wieder getan, aber diesmal geht er ohne Ironie vor. Ohne Verstellung. Ohne doppelten Boden. Nicht wie bei Major Tom, den Bowie zum Junkie erklärte, nicht wie bei Ziggy Stardust, den er auf der Bühne umgebracht hatte. Aber Major Tom und Ziggy Stardust waren nur Figuren, die sich Bowie irgendwann mal ausgedacht hatte und dann abschütteln wollte, weil sie ihm zu nahe gekommen waren oder lästig wurden. Diesmal reicht es tiefer. „Sitting in the Dschungel”, singt Bowie, „on Nürnberger Strasse. A man lost in time near KaDeWe.“ Da hängt jemand also in einer Zeitschleife fest. Wandert noch mal die Stationen dreier glücklicher Jahre ab: Der Potsdamer Platz, wo ich die radikalste Musik meines Lebens aufgenommen habe. Der „Dschungel“, wo ich tanzte, das KadeWe, wo ich mir im sechsten Stock Feinkost gekauft habe, die Iggy dann einfach aufgegessen hat.

Wäre „Where are we now?“ nicht so ein großartiger Song, würde man David Bowie vielleicht für eine nostalgische Heulsuse halten, der besseren Zeiten nachtrauert. Aber der Song triumphiert über alle Weinerlichkeit. Und er macht unmissverständlich klar, dass David Bowie genauer und besser als alle Fans und Kritiker weiß, wie entscheidend Low und ‚Heroes‘ für seine Karriere waren. Bowie hätte für seine Rückkehr in die Welt nach zehn Jahren ohne einen einzigen neuen Song ja auch andere Figuren aus seinem Werk zum Leben erwecken können. Das hat er im Video zu der nachfolgenden, zweiten neuen Single dann auch getan: In „The Stars (Are Out Tonight)“ treten Doppelgänger auf, ein junger Bowie aus der Hunky Dory-Phase zum Beispiel, und auch die Limousine aus dem Mann, der vom Himmel fiel fährt noch einmal vor.

Aber als allererstes kehrt David Bowie zu den Gespenstern aus Berlin zurück. „Just walking the dead“, singt er in „Where are we now?“ immer wieder. Und damit löst er das Rätsel seiner Zeit in der Hauptstraße 155 selbst. Denn nichts anderes hat er ja in Berlin getan: Er ist ein bisschen mit Toten spazieren gegangen, mit Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel, mit Brecht, mit Marlene Dietrich, die ihm letzlich auch nur wie eine Erscheinung begegnet ist, als er Just a Gigolo drehte, sie in Paris, er in Berlin. Dann ist Bowie weiterspaziert, nach New York, in die Achtziger von Let’s Dance und die Neunziger des Drum’n’Bass und dann ins 21. Jahrhundert, in dem er irgendwann verstummte, und jetzt kehrt er wieder zurück nach Berlin, aber eben auch zu den Geistern seiner eigenen Vergangenheit.

Und er umarmt sie, aber hält sie sich doch gleichzeitig vom Leib: Das Cover von The Next Day, der neuen Platte, die dann bald in diesem Frühjahr 2013 erscheint, ist das von ‚Heroes‘, nur verfremdet und überklebt. Ein weißes Quadrat klebt dort, wo Bowie 1977 die starren Gesichtszüge von Ernst Ludwig Kirchner nachstellte, wie Erich Heckel sie 1917 gemalt hatte. Über den Rand des Quadrats ragen nur Bowies Hände. Der Titel, ‚Heroes‘, ist durchgestrichen. 1977 hatte er das Wort nur in Anführungsstriche gesetzt. Jetzt hat er es ganz getilgt.

Walter Benjamins Engel der Geschichte ging rückwärts in die Zukunft, während er auf die Trümmer der Vergangenheit starrte. Das Zeitexperiment, das David Bowie in der Hauptstraße 155 begann und das längst selbst historisch geworden ist, bricht auf in den nächsten Tag. Bowie selbst hat uns das Schlüssel zu seinem Werk direkt vor die Nase gehängt. Man muss ihn nur vom Haken nehmen, die Tür aufschließen, und dann landet man in Berlin.

Tobias Rüther ist der Autor des Buches "Helden. David Bowie und Berlin". Diese Leseprobe ist dem Nachwort der Taschenbuch-Neuauflage 2015 entnommen. Eine erweiterte Taschenbuch-Neuauflage ist im Verlag Kein & Aber erschienen.

Eine Reminiszenz an David Bowies kurze Zeit im Bayerischen Viertel von Pascale Hugues finden Sie hier. Wohnen Sie im Bayerischen Viertel oder interessieren Sie sich für diesen besonderen Berliner Kiez? Unseren Kiezblog zum Bayerischen Viertel finden Sie hier. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite (leider derzeit noch nicht auf unserer mobilen Seite) oder per Email an: bayerischesviertel@tagesspiegel.de. Der Kiezblog hat hier seine eigene Facebook-Seite und twittert hier unter @BayViertel. Twittern Sie mit unter dem Hashtag #bayviertel

Tobias Rüther

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