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Claire und Philipp Lambertz beim Spaziergang. Er starb 1941 nach längerer Krankheit, ein halbes Jahr bevor die Deportationen der Berliner Juden am 18. Oktober begannen. Sie wurde 1942 von den Nazis deportiert und ermordet.

© privat

Holocaust-Erinnerung: Nichtverstehen, Nichtwissenwollen, Versäumtes

Die Schönebergerin Claire Lambertz wurde von den Nazis deportiert und ermordet. Bei einer Anfrage zu einem Stolperstein erlebten Angehörige Enttäuschendes im Bezirksamt. Hier eine persönliche Stellungnahme.

Zum 75. Jahrestag des Beginns der Deportationen der Berliner Juden durch die Nazis veröffentlichte der Tagesspiegel einen Beitrag über Claire Lambertz, die in Riga ermordet wurde, und die Spurensuche ihrer Angehörigen im Bayerischen Viertel. Bald darauf erfuhr der Tagesspiegel, dass die Angehörigen, als sie sich im Bezirksamt Schöneberg nach Stolpersteinen erkundigten, aufgefordert worden waren, die Kosten für diese Erinnerungssteine und deren Verlegung selbst zu übernehmen. Daraufhin erschien in unserer Zeitung ein Kommentar, dass dies nicht sein dürfe und Berlin diese Kosten übernehmen müsse. In einem weiteren Artikel und einem Interview kam das Bezirksamt zu Wort. Jetzt nimmt hier noch einmal Sylvia Runge, Angehörige von Claire Lambertz, ausführlich Stellung.

Eigentlich bestand die Absicht, das Thema „Stolperstein in Berlin“ ein für alle Mal öffentlich ruhen zu lassen. Die dozierende, gleichfalls skeptisch anmutende telefonische Reaktion zu der Anfrage nicht weiter darzustellen und innerlich abzuhaken. Im Nachklang jedoch bieten schöngefärbte behördliche Anmerkungen im Interview mit dem Tagesspiegel, wie eine ebensolche Darlegung der Thematik in einer privaten E-Mail kurz darauf, einen weiteren Stein des Anstoßes.

Vorerst gebe ich kurz umrissen den Gesprächsinhalt meiner telefonischen Anfrage bei der Bezirksbehörde wieder: Einleitend erklärte ich, wer ich bin, und den Grund meines Anrufes. Den Gedanken an einen weiteren Stolperstein in Berlin. Im Zusammenhang damit, dass in den Städten Hamburg und St. Ingbert/Hassel (Saarland) bereits drei Steine in Erinnerung an unsere Familienangehörigen liegen und die Initiative für die Verlegung der erwähnten Steine von offizieller Seite ergriffen wurde. Und dass wir dies nun in Berlin, in Gedenken an unsere Groß- und Urgroßtante Claire Lambertz gern ergänzt sehen würden.

Dazu erwähnte ich, dass wir kürzlich gerade in Berlin gewesen wären, um mit einem Spaziergang durch das Bayerische Viertel, die Spuren ihres dortigen Lebens zu verfolgen. Der Inhalt des im „Tagesspiegel“ erschienenen Artikels „Vergesst mich nicht - Vor 75 Jahren begannen die Nazis mit den Deportationen der Berliner Juden. Claire Lambertz aus dem Bayerischen Viertel wurde in Riga ermordet. Ihre Angehörigen erinnern an sie“, zum 75.Jahrestag der ersten Deportationen, hätte dies dann noch einmal erzählend wiedergegeben. Die nicht ansatzweise zu erwartende, überaus positive Resonanz, anzunehmen hauptsächlich einer Berliner Leserschaft, hätte deutlich werden lassen, dass diese Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten dürften.

Mit Nichtwissen um den vorgenannten Zeitungsartikel wie einem spürbaren Nichtverstehen wollen, begleitet von einem merklichen Desinteresse daran, wurde das Gespräch der behördlichen Mitarbeiterin direkt auf die Kosten gelenkt. Gefolgt von dem „Kunst-Gedanken“, wie der unabwendbaren Archivrecherche. Wie die sämtlich mit Nachdruck betonten, einzuhaltenden Richtlinien und Voraussetzungen für einen Stolperstein.

Für einen Stolperstein seien unumgänglich 120 Euro zu entrichten. Formulare für die Antragstellung/Bestellung wären auszufüllen und zurückzusenden. Es gäbe die Möglichkeit der Patenschaft eines Dritten, der diese Kosten bei finanziellem Bedarf, nach Prüfung, übernehmen würde. Und, die publizierte „Gedenkgeschichte“ biete sicher keinen Grund dafür, von den Regularien der zu leistenden Kosten abzusehen.

Mit stolzgeschwellten Worten wurde ich ferner darüber aufgeklärt, dass es sich bei den Stolpersteinen „ja schließlich um ein Kunst-Gedenk-Projekt“ handelt. Eine Stolpersteinverlegung daher nur in Koordination mit dem Künstler Herrn Gunter Demnig möglich ist. Ohne ihn ginge es nicht. Durch die Vielzahl, inzwischen auch weltweiten Anfragen und Verlegungen, würde sein Terminkalender es nicht mehr zulassen, zeitnahe Termine für eine Verlegung zu realisieren. Die Wartezeit für Schöneberg läge daher derzeit bei drei Jahren. Dieser Fakt stieße sicher auf mein Verständnis sowie eine gebührende Rücksichtnahme.

Es erfolgte weiter die Erläuterung der Archivarbeit. Die notwendigen Nachforschungen über die jeweilige Person seien ausnahmslos in der Urkundensammlung der Stadt vorzunehmen. Zu prüfen sei, u.a., ob die Person tatsächlich unter der für den Stolperstein angegebenen Adresse gelebt hat. Weiter gelte es die Todesursache der Person zu klären, ob diese nicht eventuell „doch“ eines natürlichen Todes gestorben ist. Andernfalls „eben“ der Deportationsnachweis. Des Weiteren wäre unsererseits eine Legitimation des Verwandtschaftsverhältnisses zu erbringen.

Im Schwall dieser Überflutung wurde der Behördenseite das Angebot unterbreitet, die mir vorliegenden Originaldokumente sichten zu können, um hieraus die erforderlichen Angaben zu entnehmen. Bei Bedarf diese gern auch in Kopie zu überlassen. Dies um damit zum einen die als notwendig dargelegte Archivarbeit zu unterstützen, vielleicht sogar zu ersparen. Damit personen- und schicksalsbezogenen Dokumente zur Verfügung zu stellen, welche sicher nicht im Archiv liegen und zeitgeschichtlich durchaus von Bedeutung sein dürften.

Die "umwerfende" Antwort hierzu war der Art, mir deutlich zu verstehen zu geben, dass die uns vorliegende umfangreiche Sammlung von Originaldokumenten als auch die eigens recherchierte und zusammengefasste Biografie über Claire Lambertz nicht zu Grunde gelegt werden könnten. Derartige Papiere dürften "heute wohl kaum noch" einem Familienangehörigen vorliegen. Überdies schon gar nicht in dem genannten Umfang. „Man“ könne sich zudem ja nicht sicher sein, dass es sich um tatsächliche Originale handele. Dies ließe zumindest gewisse Zweifel aufkommen. Der Gang ins Archiv sei "verständlicherweise" die einzig glaubwürdige Versicherung. Die im Archiv vorliegenden Daten und Papiere wären als rechtmäßig und authentisch anzusehen.

Fragend, ob ich nicht verstanden worden wäre, verdeutlichte ich, dass es nicht im Geringsten das Ansinnen sei, Kosten "umschiffen" zu wollen. Zudem sei es kaum vorstellbar, dass die Frage, warum primär die Angehörigen angehalten seien, die finanzielle Aufwendung für einen Stolperstein übernehmen zu müssen, zum ersten Mal an die Stadt Berlin herangetragen würde. Dieser Anmerkung schloss ich die mir weiter erlaubte Frage an, ob behördlich von der Vorstellung ausgegangen würde, "etwa auch noch" einem Mittellosen unter die Arme greifen zu müssen, nur weil man eine abweichende Einstellung zu der Kostenübernahme vertritt, damit gegen die vermeintlich unantastbaren Direktiven verstößt? Skepsis an der Echtheit der Dokumente zu hegen, würde ich mir zudem ausdrücklich verbieten. Dieser despektierliche Zweifel an meiner Glaubwürdigkeit rief eine Ungehaltenheit in mir auf, welche ich nur schwerlich im Zaum halten konnte. Ich äußerte dies mit der Bemerkung, dass sie sich gern merken dürfe, dass es sicher nicht beabsichtigt sei, einen Stolperstein legen lassen zu wollen, weil unsere Tante "etwa" vor ihrer Haustür, hinter dieser sie nachweislich gelebt hat, zu Fall kam. Mit der Folge eines natürlichen Ablebens.

Eine monetäre Inanspruchnahme der Angehörigen für die bereits gelegten Stolpersteinen sei bisher jedenfalls nicht an uns herangetragen worden. Ebenso wenig, das Verwandtschaftsverhältnis nachweisen zu müssen, noch wurde Skepsis an den Dokumenten gehegt - im Gegenteil, diese seien sogar auch kürzlich in Berlin bereits auf großes Interesse gestoßen. Wünschenswert wäre es also eine Aufklärung darüber zu erhalten, welche die mir hier vorgetragene Einstellung zu diesem Thema plausibel werden ließe. In erster Linie die auferlegte Kostenübernahme.

Meine ergänzende Meinungsäußerung, das eine Weltstadt wie "gerade" Berlin, wo Tausende Juden gelebt und gearbeitet haben, von dort deportiert wurden, eine derartige Einstellung vertritt, sei nicht nur unverständlich, sondern auch nicht ansatzweise nachvollziehbar. Ein Umdenken wäre durchaus wünschenswert.

Auf meine Sicht der Dinge, welche wohl als anmaßend empfunden wurde, erhielt ich die allumfassende Antwort, wörtlich:

Die Stadt Berlin, der Senat, sieht keine Notwendigkeit, dieses Projekt finanzieren zu müssen.

Zum Ende des Telefonats ließ ich deutlich werden, dass ich mich durch die dargebrachte Betrachtungsweise der Stadt Berlin durchaus veranlasst sähe, diese Haltung einmal öffentlich werden zu lassen.

Mit der abschließenden Bemerkung meiner Gesprächspartnerin, wörtlich: „dieser Schritt bleibt ihnen unbenommen“ – welche ich unkommentiert ließ - wurde ich dennoch gebeten, meine E-Mail-Adresse zu hinterlassen. Sollten sich noch Nachfragen ergeben oder eine weitergehende Klärung notwendig sein, würde auf diesem Wege mit mir Kontakt aufgenommen werden. Es könne aber einige Wochen dauern, versprechen könnte und würde sie allerdings nichts.

Gesagt, getan.

Überraschenderweise erhielt ich doch tatsächlich schon einen Tag später eine E-Mail, welche mich, entgegen einer gewissen Hoffnung, dennoch erneut staunen ließ.

Sehr geehrte Frau Runge,

mit Bezug auf unser heutiges Telefonat schicke ich Ihnen ein Bestellformular zu. Bitte schicken Sie es ausgefüllt und unterschrieben an uns zurück. Damit sind Sie dann auf unserer regulären Warteliste. Auf S. 2 des Anhanges finden Sie einen Informationsbrief, der auch erklärt, wie es zu solch einer Warteliste von bis zu zwei Jahren kommt…

Einen "Bezug" zu dem, allerdings tags zuvor, geführten Telefonat konnte ich nur dahingehend bestätigen, dass es tatsächlich stattgefunden hat. Ein derartiges, inhaltlich wohl länger nicht überarbeitetes, Standardschreiben, die telefonischen Standardauskünfte - inzwischen sind, der erteilten Auskunft nach, aus „von bis zu zwei Jahren“, bereits drei Jahre geworden - als auch der Anhang des Bestellformulars, unterstreichen damit noch einmal "Schwarz auf Weiß", dass einem die kostenpflichtige Bestellung geradezu zwingend nahelegt, oder eben abverlangt wird. Zudem wird einem suggeriert, hiermit auf der Liste "nach oben" zu gelangen.

Weiter heißt es in dem Text des Anschreibens:

Auch bitte ich Sie, uns Kopien der Dokumente und evtl. Photos zu schicken, die Sie von Claire (Klara?) Lambertz besitzen. Wir legen zu jeder Person, die einen Stolperstein bekommt, eine möglichst umfangreiche Dokumentation an, die dann öffentlich eingesehen werden kann. Es kommt vor, dass Schulen die Dokumentation für einen Stolperstein als Material für ein Geschichts- oder Recherche-Projekt nutzen.

Die Erinnerung an den Gesprächsinhalt 24 Stunden zuvor leider perdu. Was für ein Widerspruch zu der Aussage im Gespräch. Es fällt schwer zu glauben, dass die tags zuvor ausgesprochene anmaßende Einstellung eine Sinneswandlung zur Folge hatte und zu dieser Bitte geführt hat.

Vielmehr scheint das zusätzliche oder alleinige Erbringen von privaten Dokumenten also doch nicht unüblich, sondern sogar erwünscht zu sein? Bei dieser Textpassage dürfte es sich um eine ebensolche Standardfassung handeln. Eine geringfügige Abweichung von der üblichen Norm ist einzig nur darin erkennbar, dass wenigstens der Name in Erinnerung geblieben war und "höflicherweise" eingefügt wurde. Der erste und letzte Hauch einer "persönlichen Note".

Auszug aus „Informationen zum Projekt Stolpersteine“:

Die Bezahlung der Steine (Kosten pro Stein: 120,- €) erfolgt an den Schöneberger Kulturarbeitskreis e.V. zum Termin der Verlegung. Bitte überweisen Sie erst, wenn Sie das Verlegedatum bekommen haben. Wir leiten das Geld an G. Demnig weiter. Auf Wunsch stellen wir Ihnen gerne eine Spendenbescheinigung aus.

Und, da waren auch wieder die € 120,00.

Des Weiteren wird in dem Informationstext geschrieben, hier zitiere ich:

... Darüber hinaus sind uns die Angehörigen der Menschen, für die ein Stein verlegt werden soll, wichtig.

Diese Zeile brachte mich vollends ins Stolpern.

Es bleibt festzuhalten, dass es an einer entsprechend hervorgehobenen Empfindsamkeit und Empathie – welche in diesem Text im Übrigen den Paten, im Umgang mit Angehörigen, wegweisend empfohlen oder ans Herz gelegt wird - seitens der Auskunftsstelle mehr als fehlte.

Die offiziellen Stellen sind im Umgang mit Verwandten von dieser betonten Sensibilität wohl ausgenommen. Diese scheinen vielmehr angehalten, ausnahmslos ein Ertrag bringendes Verkaufsgespräch zu führen. Diesem Pragmatismus wird daher noch das Gütesiegel „Kunstförderung“ verliehen, denn:

Bei den Stolpersteinen handele es sich "ja schließlich" - ergo gleichbedeutend mit "genau genommen" - um ein "Kunst-Gedenk-Projekt" von Herrn Gunter Demnig. Die Stolpersteinverlegung sei nur in Koordination mit dem Künstler möglich. Ohne ihn ginge es nicht.

Wie ist diese Bezeichnung „Kunst - Gedenk - Projekt“ im Zusammenhang mit der Vernichtung von Menschen, die unter der Herrschaft Hitlers und des Nationalsozialismus im Holocaust ums Leben, ihr Leben, gebrachten wurden, ethisch zu vereinbaren?

Ich interpretiere hieraus: „die Absicht, ein Erinnern an die Kunst" zu vergeben, wie zu "einer Vollendung" oder "einem Talent".

Wessen wird hier eigentlich in erster Linie gedacht - wem gilt die Verbeugung vor dem Stein: dem Künstler? Oder doch dem Opfer?

Diese gedankliche Vertiefung ließ mich ebenso an die eindringlich erbetene Rücksichtnahme auf den Terminplan des Künstlers, für inzwischen auch weltweite Verlegtermine, wie damit einhergehend (s)einem enormen Zeit- und Kostenaufwand, erinnern. Es wird einem also oktroyiert, sich dem „Herrn der Steine“, wie gleichermaßen der vertreibenden Instanz „Behörde“ dementsprechend devot gegenüber verhalten zu müssen.

Als Dank dafür darf sich der geldgebende Angehörige, mit dem Beleg einer "Spendenbescheinigung", anschließend also selbst als "Mäzen" oder auch "edler Spender" auszeichnen.

Die Behörde als Künstleragentur und Protegé? Und/oder als Handelsagentur mit dem Slogan "There’s no Business like Stone-Business“?

Der Glas-Kubus in Mannheim – das Mahnmal für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus – dieser trägt 2280 "bedingungslos" eingravierte Namen. Auch hier ist der Name eines weiteren Familienmitgliedes verewigt. Auch bei diesem Monument, trat der Schaffende nach Vollendung namentlich, wie persönlich in den Hintergrund. Die Finanzierung wurde nicht weiter thematisiert – Familienangehörige wurden jedenfalls nicht "zur Kasse" gebeten. Das Augenmerk richtet sich ausschließlich auf den Sinn des Mahnmals.

Die Stolpersteine dürften daher auf gleichem Niveau mit einer ebensolchen Würdigung als "Denkmal" behandelt werden. Frei von dem Gedanken, wer dieses geschaffen hat, wie viel es an finanziellen Mitteln bedarf oder ob sich der "Künstler" gerade auf einer "all inclusive Kunst-Gedenk-Projekt-Reise" befindet, daher zeitnah nicht abkömmlich ist.

Die bezirkliche Behörde hat in den Stellungnahmen, die der Tagesspiegel veröffentlich hat, sehr großen Wert darauf gelegt, dass mittlerweile die Patenschaften von Angehörigen überwiegen und für diese die Finanzierung eine Herzensangelegenheit, wenn nicht eine Frage der Ehre ist.

Mit solchen Äußerungen werden in letzter Konsequenz Personen, die nicht aufgrund einer Notlage auf eine Fremdfinanzierung angewiesen sind, zu Angehörigen gestempelt, denen diese Einstellung fehlt.

Ich gehe davon aus, dass es mehr "Bezirksamtsgeschädigte" gibt. Es stellt sich die Frage ob dies, im Vergleich zu anderen Bezirken, gerade in Schöneberg überwiegt. Vielleicht ist dies ein oder der Grund dafür, dass sich somit viele Angehörige dazu entscheiden, einen Stolperstein selbst zu bezahlen, um einer derartigen Kontroverse zu entgehen.

Frage des Tagesspiegels: Ihr Bezirksamt ist von Angehörigen der von den Nazis ermordeten Berlinerin Claire Lambertz öffentlich kritisiert worden. Eine ihrer Mitarbeiter soll den Verwandten mitgeteilt haben, dass sie für einen Stolperstein zum Gedenken an das Opfer erst einmal 120 Euro zu zahlen hätten. Stimmt das?

Antwort der Behörde: So weit ich weiß, spielte das Thema Geld in dem Gespräch keine Rolle, sondern eher die lange Wartezeit bis zur Verlegung des Steins. Meine Kollegin, die sich sehr für die Betreuung von Holocaust-Opfern engagiert, war sehr bestürzt über die Vorwürfe. Generell ist es aber tatsächlich so, dass der Künstler Gunter Demnig 120 Euro für einen Stein berechnet.

Der im Interview wiedergegebenen Darlegung der Gesprächsthematik, eingeleitet mit „soweit ich weiß“, mangelte es demnach schon an einem korrekten, vollständigen Informationsfluss über den tatsächlichen Inhalt des geführten Telefongespräches. Zuzuschreiben wäre es "entgegenkommenderweise" der seinerzeit vermeintlichen Bestürzung der als ambitioniert beschriebenen Mitarbeiterin, worüber man so manches "eben mal" vergessen kann. Oder "sogar vergessen darf", eben gerade dann, wenn es dazu dienlich ist, wahre Tatsachen umgehen und öffentlichen Eingeständnissen ausweichen zu können. Auf die punktgenaue Frage zu "Kosten" abschweifend mit dem nebensächlichsten Punkt "lange Wartezeit" geantwortet wird. Die zitiert "lange Wartezeit" spielte "eben gerade keine Rolle". Diese wäre von der Gewichtung her nicht einmal die Druckerschwärze eines Zeitungsartikels wert. Genau mit dem Schlusssatz in der Antwort wird nochmals bestätigt, dass die Kosten von 120 Euro in der Tat "grundsätzlich" in Rechnung gestellt werden. Genau dieser Grundsatz zog sich als "dicker roter Faden" eines "Muss" durch das Gespräch bis in die anschließend gefolgte E-Mail und wird hier erneut aufgenommen. Und, das Ende dieser Maxime lässt einen aufs Neue über den Namen des hochgehaltenen "Künstlers" stolpern - nein, fallen.

Vielleicht ist es aber an dieser Stelle einmal angebracht, ein paar kritische Bemerkungen zu den langen Wartezeiten zu machen, die in den verschiedenen Statements so gerne vorgebracht werden. Ist es nicht so, dass diese Wartezeiten letztendlich die Folge einer künstlichen Verknappung sind, die sich zwangsläufig aus dem starren Festhalten der "Angebotsseite" an den bestimmten Herstellungs-und Vertriebsmodalitäten ergeben müssen? Würde Herr D. auf das monopolartige Prozedere verzichten, könnte die "Nachfrageseite" befriedigt werden, und man müsste sich im Schöneberger Rathaus nicht mehr mit der quälenden Frage beschäftigen, welche Rangfolge man den an den Stolpersteinen interessierten Angehörigen auf der Prioritätenliste einräumt.

Frage des Tagesspiegels: Und wie werden Sie im konkreten Fall der Angehörigen von Claire Lambertz weiter verfahren?

Ich werde mich sehr schnell um ein Gespräch bemühen, damit eventuelle Missverständnisse geklärt werden können.

Zunächst vergingen seit der gestellten Frage, mit der engagiert und couragiert, klingenden Antwort, bemühungslose, damit gesprächslose, "leere" fünf Wochen.

Die vorgegebene "Rasanz" wurde also wieder den üblichen Drehungen von Behördenmühlen angepasst. Es wäre durchaus denkbar gewesen, dass die Angelegenheit, der Einfachheit halber, auch unter "Herz/-Ehrlosigkeit", ad acta gelegt wurde. Es folgte Weihnachten. Das Fest der Überraschungen. Für wahr. Ich wurde mit der nachfolgenden "Weihnachtsbastelei" bedacht.

Sehr geehrte Frau Runge,

Sie haben sich vor einiger Zeit an meine Mitarbeiterin zwecks einer Stolpersteinverlegung gewandt. Es ist mir berichtet worden, dass es hierbei zu Unstimmigkeiten kam. Das bedaure ich sehr, zumal ich weiß, dass Sie eine familiäre Beziehung zu der zu ehrenden Person haben. Ich wollte Ihnen hierzu schon längst geschrieben haben, aber aufgrund von Termin- und Arbeitsverpflichtungen bin ich nicht eher dazu gekommen, dies bitte ich zu entschuldigen.

Da mich auch die Redakteurin des Tagesspiegels im November dazu anrief, habe ich zur Frage der Kostenübernahme des zu verlegenden Steins kurzfristig in einem längeren Interview Stellung genommen. Das Interview liegt Ihnen vermutlich vor.

Das Stolpersteinprojekt liegt uns sehr am Herzen. Seit über zehn Jahren versuchen wir, bei jeder Verlegung die Bedarfe der Patinnen und Paten sowie Angehörigen zu berücksichtigen. Dazu gehört auch die Frage, wer die Kosten übernimmt. Das Projekt wurde von dem Künstler Gunter Demnig so angelegt, dass es auf bürgerschaftlichem Engagement beruht, das auch die Übernahme der Finanzierung der Herstellung des betreffenden Stein mit einschließt. Selbstverständlich stellt sich die Situation anders dar, wenn es sich um eine/n Angehörige handelt. Da versuchen wir im Einvernehmen mit unserem Förderkreis, der sich ehrenamtlich für das Stolpersteinprojekt engagiert, gemeinsam eine Lösung zu finden.

Aufgrund des Presseberichtes hat sich nun die Stolperstein-Initiative Stierstraße gemeldet, eine engagierte Gruppe von Menschen, die sich seit Jahren in Ihrer Nachbarschaft für die Verlegung von Stolpersteinen einsetzt. Diese Initiative hat angeboten, die Kosten für den von Ihnen beantragten Stein zu übernehmen und Sie ggf. auch bei Ihren Recherchen zu begleiten.

Lassen Sie mich wissen, was Sie dazu denken. Dann würde ich die Initiative entsprechend informieren bzw. den Kontakt zu Ihnen herstellen.

Gern stehe ich auch für ein persönliches Gespräch zur Verfügung, wenn Sie noch weitere Fragen und Klärungsbedarf haben.

Nun wünsche ich Ihnen erst mal erholsame Feiertage und einen guten Start in das Jahr 2017.

Mit freundlichen Grüßen

Leiterin des Fachbereichs Kunst, Kultur, Museen und der Museen Tempelhof-Schöneberg

Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin | Amt für Weiterbildung und Kultur

Die anfängliche "Übertragungslücke" wurde bedauerlicherweise auch im Nachhinein nicht geschlossen. Die Angelegenheit noch nicht einmal mehr hinterfragt, um damit auch das im Interview betonte Missverständnis – "ein unabsichtliches falsches Verstehen oder falsches Interpretieren einer Handlung oder Aussage" - auszuräumen und einer richtigen Interpretation zuzuführen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass wenigstens der Inhalt dieser Mail entsprechend glaubhaft ausgefallen wäre. Somit hätte inzwischen in Erfahrung gebracht werden können, dass es sich zu keiner Zeit um die Beantragung eines Steines gehandelt hat. Es handelte sich um eine Erkundigung, welche, ob der dargebrachten Einstellung, nicht gerade zu einer Bestellung "beflügelte" und den "Stein ins Rollen" gebracht hat. Zum anderen, das unterbreitete Angebot einer eventuellen "Recherche-Begleitung". Dies hätte gleichermaßen entfallen können, wenn sich dem Teil des diesbezüglichen Gespräches erinnert, bzw. dieser weitergegeben worden wäre.

Es ist daher nichts mehr, als ein neuer Versuch, bisher Nichtverstandenes, Nichtwissenwollendes, wie Versäumtes, weiterhin "formschön zurecht zu biegen".

Auf einmal, wohl gemerkt ebenso nach dem Pressebericht, wird auch der "große Künstler" - entgegen der üblichen Emporhebung für verkaufsfördernde Argumente - in seiner Darstellung nicht nur zu einem "samariterhaften Schöpfer". Er wird sogar in den Vollschatten der nun wirklich nicht allzu großen Steine gestellt. Dessen "Werk" allein nur darauf hinarbeitend geschaffen wurde, um es in die Hände des bürgerschaftlichen Engagements zu geben. Aaah ja ! Für Angehörige ergeben sich, die Erwartung übersteigend, mehr oder weniger, Antworten auf offene Fragen. In erster Linie aber bestehen plötzlich "lösungswillige" Bemühungen der Behörde, unter Hinzuziehen eines dafür zuständigen Kreises.

Es bedurfte also ganzer fünf Wochen mir diese wunderliche Antwort zu präsentieren, die ich bedauerlicherweise nicht mehr ernst nehmen kann.

Wenn also die "Stolperstein"-Handhabe derartige Varianten beinhaltet, wie nunmehr schriftlich mitgeteilt, dann dürfte vorausgesetzt werden, dass auch eine Mitarbeiterin der zuständigen Behörde über diese Herangehensweise instruiert ist. Die Anfragen dementsprechend zielgerichtet aufklärend beantwortet und bearbeitet werden. Sollte ein Mangel an diesem Wissen vorgelegen haben, hätte dies intern im Nachhinein eine Belehrung erfahren können.

Stellt sich mir weiter die Frage, warum dies dann nicht spätestens im Interview darüber öffentlich eingebracht wurde. Hier aber wurde bevorzugt, das Ganze als vermeintliches Missverständnis darzustellen. Zudem die vorgegebene Bestürzung der Mitarbeiterin auch noch mit angeblich erfahrenen Aburteilungen begründet. Der Fokus wurde seitens der Interviewten auf einen Punkt gerichtet, welcher nicht ansatzweise zur Debatte stand. Der Spieß also komplett umgedreht.

Was für eine Chuzpe !

Bisher war es uns, als Angehörige, zumindest kaum mehr vorstellbar, an einer Stolpersteinzeremonie teilzunehmen. Ein Nichterscheinen wäre aber ein Affront, der unverdienterweise ausgerechnet die Menschen treffen würde, welche die Patenschaft für einen Stolperstein übernehmen wollen.

Sylvia Runge

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