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Hedonistischer Traum. Modezeichnung von Margot Hartmetz, der Mutter von Stephan Wackwitz, die beim Lette-Verein in Berlin das Zeichnen lernte.

© S. Fischer Verlag

Stephan Wackwitz, "Die Bilder meiner Mutter": Die Mädchen vom Lette-Verein

Stephan Wackwitz erzählt in seinem neuen Buch das beispielhafte Leben seiner Mutter, für das der Lette-Verein im Bayerischen Viertel bedeutsam war.

An Väter-Büchern mangelt es nicht in der neueren deutschsprachigen Literatur. Sie sind längst zum eigenen Genre aufgestiegen. Autoren wie Christoph Meckel, Bernward Vesper oder Niklas Frank haben die untergegangene Welt ihrer Väter noch einmal heraufbeschworen und, nicht ohne Wut, deren Verstrickung in die nationalsozialistischen Verbrechen geschildert. Zuletzt hatte Michael Rutschky mit „Das Merkbuch“ seinem Vater, einem Wirtschaftsprüfer, ein liebevolles Denkmal gesetzt und die Ära des Wirtschaftswunders mosaikartig rekonstruiert.

Wenn Stephan Wackwitz, dessen Kunst, Essay und Roman miteinander zu verschmelzen, an Rutschky erinnert, nun vom Leben seiner Mutter erzählt, ist das auch als Gegenthese zu verstehen. Als Einspruch dagegen, Geschichte immer vorwiegend aus männlicher Sicht wiederzugeben. „Das letzte Jahrhundert war“, schreibt er, „wenn auch auf überwiegend pathologische Weise, männlich“. Den „blutigen Männeranstrengungen“ setzt Wackwitz den „privaten, ,kleinen’ Heroismus“ der Frauen entgegen, dessen Spielregeln seine Mutter der Kunst abgeschaut habe.

„Die Bilder meiner Mutter“ rundet sich zum Familienroman

Das 21. Jahrhundert, so hofft er, wird weiblicher, und zählt einige „spezifisch weibliche Lebens- und Denkmodelle“ auf, die sich noch in den goldenen Notizbüchern fanden, die die Mutter kurz vor ihrem Krebstod zu schreiben begonnen hatte: von „Kunst, Mode, Familie, Kindern“ bis zu „Psyche“, „Spazierengehen“ und „Landschaft“. Wackwitz nennt diese Begriffe „Zukunftsmotive“.

Margot Wackwitz, geborene Hartmetz, hat von 1920 bis 1990 gelebt, eine Zeitspanne, die sich mit dem „kurzen zwanzigsten Jahrhundert“ der Totalitarismen deckt. Sie war eine außergewöhnliche Frau – und doch in vielerlei Hinsicht typisch für ihre Generation. Als – ein schwäbischer Begriff – „freche Gasselrandel“ hat sie sich beschrieben, „die vorlaute Antworten gab“. Doch für ein Vorkriegsmädchen waren ihre Ambitionen zu groß, die Fantasie zu wild, und der Vater, Eisengießer, Erfinder und NSDAP-Blockwart mit Haus in Esslingen, führte ein brutales Regiment. In ihrer Familie hat die Tochter nach eigener Auskunft „völlige Ungeborgenheit“ empfunden, und einmal, sie war schon 23, schlug der Vater sie bis zur Besinnunglosigkeit zusammen, „das war das Ende zwischen uns“.

Der Schriftsteller Stephan Wackwitz
Der Schriftsteller Stephan Wackwitz

© S. Fischer Verlag

Stephan Wackwitz hat in „Ein unsichtbares Land“ die abenteuerliche Lebensreise seines Urgroßvaters beschrieben und in „Neue Menschen“ mit seiner Zeit im „MSB Spartakus“ abgerechnet. Auch „Die Bilder meiner Mutter“ rundet sich zum Familienroman. Der Großvater fungiert als übermächtiger, erratisch agierender Patriarch, während die Tochter das wird, was zu den Heldenprivilegien der Jugend gehört: eine Rebellin. Allerdings, gesteht Wackwitz, sei der Großvater für ihn stets eine liebevolle Vertrauensfigur gewesen. Und die „hurrikanartige emotionale Unberechenbarkeit“ der Mutter sei ohne ihren Vater nicht zu verstehen.

Ausbildung beim Lette-Verein als Rettungsversuch

Rettung erhofft sich Margot Hartmetz von der Kunst. Sie verlässt 1936 ihr Elternhaus und beginnt eine Ausbildung zur Modezeichnerin beim Berliner Lette-Verein im Bayerischen Viertel. Damals, so Wackwitz, war in der Reichshauptstadt „noch nicht alles Talent, aller Lebensmut, alle Eleganz vertrieben“. Noch können die Berliner Modestudios mit dem Pariser Chic mithalten, beinahe jedenfalls. Das zeigen die mondän-modernistischen Zeichnungen der Mutter, die im Buch abgebildet sind. Sie träumen von Freiheit und Hedonismus, wo die Welt doch bald in Trümmern liegen wird.

Die Mädchen vom Schöneberger Lette-Verein schminken ihre Lippen, tuschen die Wimpern und legen Rouge auf, obwohl Kosmetik von den auf „arische Natürlichkeit“ erpichten Nationalsozialisten als „Kriegsbemalung“ verhöhnt wird. Die Novemberpogrome 1938 muss die Mutter unmittelbar miterlebt haben, vom Gebäude des Lette-Vereins bis zur Synagoge in der Münchener Straße war es nicht weit. Aber in Aufzeichnungen und Gesprächen hat sie eisern darüber geschwiegen. „Mitläuferin“ nennt sie der Sohn.

Der Krieg holt Margot Hartmetz ein. Sie wird als Luftwaffenhelferin dienstverpflichtet und 1944 durch den Tieffliegerangriff auf einen Zug schwer verletzt. Die Operation der amerikanischen Luftwaffe ist zynischerweise nach einem Swing-Titel benannt: „Chattanooga Choo-Choo“. Bis ans Ende ihres Lebens bleibt die Frau, nun „60 % schwerkriegsbeschädigt“, ein zerschossener Mensch.

Galgenlieder und Goethe-Institut

Ihre Nachkriegskarriere verläuft bilderbuchmäßig: bergab. Anfangs arbeitet sie für Zeitschriften und Werbeagenturen, illustriert Morgensterns „Galgenlieder“, doch mit dem Siegeszug der Fotos ist das „weibliche“ Zeichnen bald kaum mehr gefragt. Eigentlich endet ihr „Künstlerroman“, schreibt Wackwitz, bereits als sie heiratet. Der Mann macht – wie später der Sohn – Karriere im Goethe-Institut, während die Frau in die klassische Rolle der „Rückenfreihalterin“ abgedrängt wird.

Vom Generationenkonflikt in seiner Familie erzählt Wackwitz, von Entfremdung und Entzweiung, von der späten Versöhnung. So endet das berührende Buch mit einem Stoßseufzer aus Eichendorffs Künstlernovelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“: „alles, alles gut“.

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