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Sie nennen sich Familie, weil sie hier gestrandet sind: Szczepan (links) und Andreas aus Polen.

© Johannes Laubmeier

Bedürftige in Berlin: Die Obdachlosen vom Bahnhof Zoo

Obdachlose nutzen die Grünflächen zwischen Bahnhof Zoo und Tiergarten als Lager. Das lässt der Bezirk immer wieder räumen. Doch die Bewohner sind schnell zurück. Eine Reportage.

Vorne am Fußgängerweg, der vom Parkplatz am Bahnhof Zoo zum Landwehrkanal führt, steht ein Einkaufswagen voller Plüschtiere. Diddl-Mäuse, Hunde, Bären, ein Löwe und ein Rentier mit Schal liegen darin aufgehäuft, Twipsy, das Maskottchen der Expo vor 15 Jahren hängt an einer bunten Schnur am Baum .

Alles zu verkaufen, ab einem Euro. „Liebe Berliner!! Wir sparen Geld für etwas zu trinken und essen. Vielen Dank :)“ hat jemand auf ein Pappschild geschrieben, das daneben auf dem Boden liegt.

Etwas weiter hinten sitzt auf einer Bank – zwei umgedrehte Papierkörbe, ein Brett – Szczepan und wartet darauf, sich zu bedanken. Das macht er immer dann, wenn vorne jemand Geld in die Schüssel wirft. „Dankeschön“, im starken polnischen Akzent, über zehn Meter gerufen zu jedem, der gerade gibt.

Nachtlager am Schleusenkrug

Szczepan ist einer von mehreren Obdachlosen, die am Bahnhof Zoo in der Nähe des Schleusenkruges ihr Lager aufgeschlagen haben. Sie schlafen unter dem schmalen Vorsprung des S-Bahngleises, weil der bei leichtem Regen ein wenig Schutz bietet und weil er in der Nähe der Bahnhofsmission und der medizinischen Obdachlosenambulanz der Caritas liegt. Doch um die Obdachlosen gibt es Streit, schon wegen der kaum vorhandenen Toiletten für sie.

Neben Szczepan schläft Tascha, unter Pappkartons, über denen eine schmutzige Europafahne hängt. Etwas weiter, in einem Schlafsack auf dem Boden schläft Andreas. Obwohl sie aus verschiedenen Städten in Polen kommen, nennt Szczepan sie seine Familie. Zusammenhalten in schwierigen Umständen.

Doch genau diese Suche nach Gemeinschaft ist für die Bezirksverwaltung und das Grünflächenamt ein Problem. Bis zu 50 Menschen leben in Hochzeiten am Schleusenkrug, dann rücken Ordnungsamt und Polizei an. In regelmäßigen Abständen werden die Obdachlosenquartiere geräumt, die Bewohner mit ihren wenigen Habseligkeiten weitergeschickt.

Szczepan kümmert sich um seinen Schlafplatz. Zigarettenstummel bitte in den Aschenbecher, Müll in einen alten Eimer. Ein bisschen sieht die Erde vor der Bank aus, als wäre sie gerade frisch gefegt worden. Mehrmals in der Woche gehe er zum Duschen. „Kultur!“, sagt er. „Natürlich!“. Etwas abseits steckt ein kleines Kreuz aus Ästen in der Erde, daneben stehen drei Grablichter und ein paar Plastikblumen. „Für Thomas“, der sei im Januar eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Hier hat er gelebt, hier erinnert sich die „Familie“ an ihn. Warum sie immer wieder weg müssen, versteht Szczepan nicht.

"Manche fühlen sich schon vom Anblick gestört"

Immer wieder gebe es Beschwerden von Passanten, erzählt Stefan von Dassel, Sozialstadtrat des Bezirks Mitte (Bündnis 90/Grüne). „Manche fühlen sich durch den bloßen Anblick gestört, andere durch das Betteln oder die Hunde, die viele Obdachlose dabeihaben.“ Der eigentliche Grund für die Räumungen im Tiergarten sei jedoch ein anderer. „Wenn wir das über ein Jahr tolerieren, führt das irgendwann zu einer Slumbebauung. Dann bekommt man die Probleme noch weniger in den Griff“, befürchtet Von Dassel. Die Probleme, das sind laut Aussage der Polizei gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Obdachlosen, kleine Feuer und die Tatsache, dass viele die Grünanlagen als Toilette benutzen.

Dieter Puhl, der Leiter der Bahnhofsmission am Zoo findet die Räumungen sehr problematisch. „Wo sollen sie denn hin?“ fragt er. Er erzählt von einem älteren Mann, der irgendwann keine Lust mehr hatte, dauernd vertrieben zu werden. Der sei dann raus nach Staaken gefahren, wo es keinerlei Infrastruktur für Obdachlose gebe. Das Räumen verlagere die Situation lediglich, mache die Menschen unsichtbar. Um das Problem der Obdachlosigkeit zu lösen, bräuchte es andere Maßnahmen – und vor allem Geld. Ansonsten verschlimmere sich die Situation nur.

Auch der Sozialstadtrat ist mit der derzeitigen Situation alles andere als glücklich. „Wir wissen ja alle, dass das Räumen eigentlich keine Lösung ist“, sagt er. Die Alternative? Im neuen Haushaltsjahr werden für den Bezirk Mitte zwei Straßensozialarbeiter angestellt. Außerdem wolle man einen Austausch mit polnischen Sozialarbeitern organisieren, um europäische Wohnungslose besser zu erreichen.

Auch bezirksübergreifend arbeitet man laut von Dassel an der Situation. So wurde vor Kurzem der Obdachlosenrahmenplan des Landes Berlin neu formuliert, in dem Hilfsmaßnahmen festgeschrieben werden und der noch aus den 1990er Jahren stammt. Doch die Hilfe für Obdachlose braucht selbst oft Hilfe - es gibt zu wenige Plätze auch wegen des Zustroms vieler Flüchtlinge.

"Wir kommen wieder"

Eine neue Maßnahme darin sei zum Beispiel ein „Clearing-Haus“, in dem Menschen aus dem Ausland für einige Wochen leben können, um dort in Ruhe ihre Angelegenheiten zu regeln. Momentan seien die neuen Maßnahmen noch nicht im Haushaltsentwurf für 2016 enthalten. „Man bemüht sich aber“, sagt von Dassel. Bis dahin bleibt die Situation am Tiergarten ein Katz- und Mausspiel. Erst wird geräumt, dann kommen die Menschen zurück. „Das ist für alle Beteiligten anstrengend“, sagt Missionsleiter Puhl. Szczepan hat sich daran gewöhnt. „Das Ordnungsamt verjagt uns, wir kommen wieder“. Weil sie sonst auch nirgends hin könnten.

Der Artikel erschien im Tagesspiegel-Portal Ku'damm - dem Onlineportal für Berlins westliche Innenstadt.

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