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Blick von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Richtung Bahnhof Zoologischer Garten.

© Mike Wolff

Berlin-Charlottenburg: Unsere kleine Gedächtniskirche - im Schatten der Hochhäuser

Andreas Conrad hat Mitleid mit der kleinen Gedächtniskirche. Eine Glosse.

Gegen den Turmbau zu Babel ist das alles nix. Man könnte Zoofenster und Upper West gleich dreimal übereinanderstapeln und wäre doch mit Burj Khalifa in Dubai noch immer nicht auf gleicher Höhe. Es ist eben stets eine Frage der Relation, und da mögen die beiden Hochhäuser in der City West sich gegenüber anderswo üblichen Traufhöhen recht mickrig ausnehmen, gegenüber der Gedächtniskirche sind sie doch Riesen. Das Zoofenster ist dies schon seit geraumer Zeit, und auch Upper West ist dabei, gleichzuziehen – auf die 118 Meter des Nachbarturms. Der Stumpf der Gedächtniskirche dagegen: gerade mal 71 Meter.

Gottlob dauern solche Projekte stets Jahre, da hat das Auge Gelegenheit, sich neue Sehgewohnheiten anzutrainieren. Das ist fürs West-Berliner Auge dringend geboten, galt ihm doch die Gedächtniskirche als eines der Wahrzeichen seiner Stadthälfte, vor dem Mauerfall mindestens ebenso stark mit Berlin assoziiert wie das Brandenburger Tor, das ein Symbol der Teilung statt der Einheit war.

Kleinwüchsige Kümmerlinge

Hoch überragte die Kirche damals noch die Dächer der Umgebung, gen Osten freilich schon seit Mitte der sechziger Jahre flankiert vom gut 100 Meter hohen Europa-Center. Neuerdings ist nun aber auch der Blick nach Westen behindert durch die beiden Säulen aus Beton und Glas, die den alten wie den neuen Glockenturm der Kirche wie zwei kleinwüchsige Kümmerlinge erscheinen lassen.

Neue Perspektiven. Der zweite Turm ist bald in der Endhöhe angekommen. Die Fassadenteile hängen schon.
Neue Perspektiven. Der zweite Turm ist bald in der Endhöhe angekommen. Die Fassadenteile hängen schon.

© André Görke

Zur Optik kommt der Schatten, den besonders Upper West wirft und vor dem man sich schon vor Jahren in der Gemeinde gegruselt hatte. Man sorgte sich um die „tollen Lichteffekte auf dem Altar des Oktogons“, wie Pfarrer Martin Germer damals sagte, „die wird es mit dem Hochhaus nicht geben“ – eine Befürchtung, die sich leider erfüllte. In der Abendsonne, wenn der Lichteffekt am schönsten sei, habe man nun eben den Schatten, der sogar noch wachsen werde, das Gebäude sei ja noch nicht fertig, berichtet Germer.

Berlin ist nicht Köln

Ganz abschätzen lasse sich die Beeinträchtigung noch nicht, man müsse den Sommer, den höheren Sonnenstand abwarten. Wie auch immer: Gut, dass der Abschlusssong aus der Messias-Parodie „Das Leben des Brian“ nicht zum offiziellen Kirchenlied-Kanon gehört. „Always Look on the Bright Side of Life“ – das müsste man für die Gedächtniskirche wohl streichen.

Berlin ist eben weder Köln noch London und die Gedächtniskirche nicht der Kölner Dom oder gar St Paul’s Cathedral. In der Kölner Innenstadt dürfen Neubauten nicht höher als 22,50 Meter sein – es sei denn, der Bauherr weist nach, dass die Sicht auf den Dom und die Romanischen Kirchen nicht leidet. Und in London schießen die Glaspaläste der Gegenwart zwar nur so in die Höhe, zuletzt „The Sharp“, aber bestimmte Blickachsen auf die Kathedrale und den Westminster Palace müssen frei bleiben. Ein Hochhaus neben St Paul’s? Unvorstellbar.

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