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Wasserspiele am Walter-Benjamin-Platz. In diesem Ku'damm-nahen Kiez ist unsere Autorin aufgewachsen.

© Cay Dobberke

Berliner Kurfürstendamm: Der alte Westen rostet nicht

Mal wurde der Ku'damm grundlos totgesagt, nun wollen viele die westliche Berliner Innenstadt „trendy“ machen. Aber ist das der richtige Weg? Unsere dort aufgewachsene Autorin schildert ihre ganz persönlichen Eindrücke und Erinnerungen.

Die Autorin: Charlotte Marxen.
Die Autorin: Charlotte Marxen.

© privat

Charlotte aus Charlottenburg. So merken sich die meisten meinen Namen. Unschwer zu erraten, dass ich in Charlottenburg-Wilmersdorf geboren und aufgewachsen bin. Ich komme aus dem Herzen dieses wundervollen Bezirks: In einer dieser kleinen, gemütlichen Seitenstraßen des Ku‘damms habe ich den Großteil meiner Kindheit und Jugend verbracht.

Sicher gab es Zeiten, in denen ich als Teenie die aufstrebende Mitte Berlins als cooler empfand als den damals für mich eher altmodischen Kurfürstendamm, der einem glamourösen 20er Jahre Schwarzweißfilm entsprungen zu sein schien und scheint. Doch ich bin ihm treu geblieben.

Wenig Sätze gehen mir so leicht über die Lippen wie „Ich liebe dich, Ku‘damm!“. Ähnlich wie „Ich liebe den Sommer in Berlin“ oder „Ich liebe es, zum hundertsten Mal ,Dinner for One‘ an Silvesterabenden zu schauen.“ Nun könnten Ur-Ku‘dammer entrüstet aufschreien: „Von wegen ,damals wie heute! Der Kurfürstendamm ist auch nicht mehr das, was er mal war. Die Mieten sind nicht mehr zu bezahlen, und dann die vielen schrecklichen Neubauten rundum!“. Und ja, ich fühle mit und werde ebenso kitschig wie nostalgisch.

Kaffee im Einstein und Kritzeleien für Udo Walz

Vorfahrt für Ku'damm-Cafés. Der George-Grosz-Platz, früher eine Verkehrsinsel, wurde 2010 neu gestaltet.
Vorfahrt für Ku'damm-Cafés. Der George-Grosz-Platz, früher eine Verkehrsinsel, wurde 2010 neu gestaltet.

© Cay Dobberke

Denn ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, in der ich meiner Mutter für zwei Mark Zigaretten am Automaten am George-Grosz-Platz gezogen habe, während sie im Kaffee Einstein aus überdimensionalen Schalen ihren Sonntagskaffee trank.

Auch heute noch studiert man dort durch XXL-Designer-Sonnenbrillen die Zeitung und lässt in einer Lesepause das Geschehen rund um die ehemalige Verkehrsinsel auf sich wirken.

Danach ging es oft ins Lutter & Wegner, wo mir wortlos grinsend die Malstifte gereicht wurden, nachdem ich hier Udo Walz höchstpersönlich ein kleines Kunstwerk gekritzelt hatte. Ebenso oft sah ich das Interieur des Buon Giorno‘s, einem Italiener in der Schlüterstraße 47, der damals dem Vater meines Schulfreundes Ramin gehörte. Mittlerweile sitzt hier das Ovest. Speisekarte ähnlich italienisch, Preise rasant gestiegen.

Der Charme der Schlüterstraße

Das Café Set in der Schlüterstraße.
Das Café Set in der Schlüterstraße.

© Cay Dobberke

Nicht, dass mich das stören würde.

Der Blick auf die Schlüterstraße mit süßen Boutiquen und dem Café Set und der Charme, den sie versprüht wie ein Gentleman der alten Schule, ist schließlich unbezahlbar und sollte nicht an den vier Euro je Schale Oliven gemessen werden...

Wenn es mal passiert, dass ich mich satt gesehen habe an Oliven und Schlüterstraße, sitze ich im Sommer oft am Walter-Benjamin-Platz im Il Calice und freue mich über die immer noch tobenden Kinder und den immer noch sprudelnden Springbrunnen.

Als ich kein Kind mehr war, nahm ich Tanzstunden im Studio im Ku'damm-Karree und ging zum Bowlingspielen mit Freunden an den Adenauerplatz. Doch wie erwachsen wir auch sein wollten: Den Bus am Wittenbergplatz zur Schule verpassten wir in der Adventszeit immer, da wir alle Jahre wieder am KaDeWe mit großen Augen vor der prunkvollen Weihnachtsdekoration standen.

Im Wandel. Für das Ku'damm-Karree mit den Boulevardbühnen gibt es Neubaupläne. Seit 27 Jahren besteht auch eine Tanzschule im zweiten Stock.
Im Wandel. Für das Ku'damm-Karree mit den Boulevardbühnen gibt es Neubaupläne. Seit 27 Jahren besteht auch eine Tanzschule im zweiten Stock.

© Cay Dobberke

Kein Untergang, nirgends

In jener Zeit wurde mehr oder weniger der Untergang der City West proklamiert. Dieser so schillernde Stadtteil stehe im Schatten der aufstrebenden Ostbezirke und habe nach der deutschen Einheit unglaublich gelitten, hieß es. Aber wo eigentlich bitte? Klar: Die Altbauten waren nicht perfekt saniert, und Einkäufe mussten wir ohne Fahrstuhl in den sechsten Stock tragen.

Und statt des Szene-Bikinihauses tummelten sich im damals tristen 50er-Jahre-Klotz einige Hiphop-, Bling-Bling-Läden und Tiefstpreisdiscounter.

Aber niemanden hat das je gestört. Denn beim Blumenhändler im Kiez bekam man seine frischen Lieblingsblumen, den neuesten Klatsch und Tratsch und beim vornehmeren Italiener guten Pinot und Urlaubsgeschichten der Nachbarn aus der Mommsenstraße. Aber jetzt geht es dem Ku’damm ja wieder besser. Vor drei Jahren wurde er sogar von der Welthandelsorganisation in die Liste der 15 Top-Shopping-Adressen weltweit aufgenommen. Na Bravo! Da freut sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Vom edlen Herren zum Hipster?

Anders einkaufen. Diesen Anspruch erhebt seit April die Shoppingpassage Bikini Berlin mit hippen Designerläden im modernisierten alten Bikini-Haus.
Anders einkaufen. Diesen Anspruch erhebt seit April die Shoppingpassage Bikini Berlin mit hippen Designerläden im modernisierten alten Bikini-Haus.

© Cay Dobberke

Und jetzt? Was wird aus dem guten alten und wieder offiziell trendigen Ku‘damm? Der edle, etwas ergraute Herr, der gekleidet in Chinos mit vergoldetem Gehstock vom KaDeWe zum Adenauerplatz flaniert, einen Zwischenstopp für zwei Gläser Rotwein in der Paris Bar an der Kantstraße einlegt und über die Champs-Élysées nur die Nase rümpft, soll sich urplötzlich verändern?

Er soll wohl zum Hipster werden, der im „Bikini Berlin“ mit Blick aufs Affengehege zu gepfefferten Preisen Designer-Longdrinks schlürft und seine Basics 300 Meter weiter bei Uniqlo kauft, was eher nach japanischem Spezialbedarfsgeschäft für Sanitäranlagen klingt als nach Tempel des guten Modegeschmacks. Gute Güte!

Rote Vorhänge und Sekt in der Loge

Aber am Zoo blitzt Hoffnung auf zwischen dem Schandfleck in der Joachimsthaler Straße, der bald abgerissen wird und dem überhyptem Bikini Haus: Der Zoo-Palast hat  wiedereröffnet, dieses so geschichtsträchtige und den nahen Ku’damm widerspiegelnde Lichtspielhaus. Wenn nun noch das innenarchitektonisch etwas verkorkste Ku’damm-Karree mit seinen bedeutsamen Bühnen aufpoliert wird,  wird klar, dass der Ku‘damm nicht zu einem schlechten, aus dem Boden gestampften Abklatsch des Hackeschen Markts in Mitte zu verbiegen ist.

Bitte keine Beliebigkeit

Denn der Kurfürstendamm ist nicht Cinemaxx-3D-Entertainment-Kino. Der Ku’damm, das sind rote Vorhänge, mit Samt bezogene Kinosessel, frisches Popcorn und Piccolosekt in der Loge. Und doch muss man den Ku‘damm nicht wie einen alternden Nesthocker vor allen Einflüssen und Veränderungen bewahren, die unsere zur Metropole herangewachsene Hauptstadt nun einmal mit sich bringt.

Es ist nichts einzuwenden gegen das zusätzliche und vollkommen korrekte „H“ in der Joachimsthaler Straße, die Wünsche nach einer namentlichen Erweiterung des Ku‘damms bis in die Tauentzienstraße oder das geplante Shoppingcenter um Karstadt statt des Park- und Bettenhauses

Komfortables Kino. Der Hauptsaal im Zoo-Palast.
Komfortables Kino. Der Hauptsaal im Zoo-Palast.

© Jan Bitter/Zoo Palast

Es ist auch nichts zu sagen dagegen, dass der Kurfürstendamm mal ordentlich aufgemotzt und herausgeputzt werden sollte und wird.

Aber eben bitte mit handgefertigtem Rasierset und Smoking statt mit Designerjeans im Used-Look und Drei-Tage-Halt-Haarwachs.

- Charlotte Marxen, 21, ist freie Journalistin, schreibt für den neuen Ku'damm-Blog und arbeitet in der Nachrichtenredaktion der rbb-„Abendschau“.

Charlotte Marxen

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