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Plan mit Haken: Keiner der Politiker möchte darüber sprechen, was passiert, wenn die Flüchtlinge nicht freiwillig den Oranienplatz räumen.

© dpa

Flüchtlingscamp am Oranienplatz: Einigung mit Haken

"Großes" steht bevor, verkündet Klaus Wowereit. Die Lösung des Konflikts auf dem Oranienplatz. Endlich sei ein Kompromiss gefunden worden. Die Besetzer würden freiwillig die Hütten räumen. Am Nachmittag sieht es in Kreuzberg anders aus: Es wird wieder gehämmert.

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Vertrackt war die Situation schon vorher, aber am Dienstag geht es darum, eine Blamage abzuwenden. Und Dilek Kolat hätte nicht nur sich blamiert, sondern den Senat. Der will sich bei seiner Pressekonferenz zur Zukunft der Flüchtlinge in Kreuzberg äußern. Aber hinter den Kulissen wird in der Koalition um Formulierungen gerungen. Dann heißt es, warten auf Dilek Kolat.

Die Integrationssenatorin fährt gegen 11.30 Uhr mit einem „Einigungspapier Oranienplatz“ zu den Flüchtlingen nach Kreuzberg. Sie braucht die Unterschrift von Flüchtlingsvertretern auf dem Papier, das der Senat den in der Mitte der Stadt Gestrandeten als Angebot vorlegt. Es wäre das Ende des Flüchtlingsdramas, das nicht nur die Berliner Politik seit Wochen Gespött aussetzt, sondern auch den Menschen vor Ort zur Zumutung geworden ist.
Um 13.45 Uhr betritt ein Quartett aus Sozialdemokraten, Grünen und Christdemokraten gut gelaunt den Pressesaal im Roten Rathaus, das sich in den letzten Monaten in der Flüchtlingsfrage heftig entzweit hatte: Dilek Kolat im zartrosa Jackett, Innensenator Frank Henkel, die Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der verkündet, dass „Großes“ bevorstehe.

Dieses „Große“ soll die Lösung sein. Eine Einigung mit den Vertretern der 467 Flüchtlinge, die auf dem Oranienplatz und in der Gerhart-Hauptmann-Schule ausgeharrt haben. Die Übereinkunft bezieht sich auf fünf Punkte. Der wichtigste lautet: Erst müssen die Zelte und Hütten am Oranienplatz von den Flüchtlingen „selbstständig“ abgebaut werden. Stehen bleiben darf nur ein „Info-Point“. Und die seit 14 Monaten von Flüchtlingen besetzte Schule muss geräumt werden. Eine Frist gibt es für Räumung und Auszug nicht. Allein für 200 Flüchtlinge, die in der Schule leben, müssen Unterkünfte gefunden werden. Und die Gelder von der Kältehilfe, mit der die Unterbringung von Flüchtlingen in einem Caritas-Heim in Reinickendorf und in Marienfelde finanziert wird, werden über den 31. März hinaus weiter gezahlt, sagt Wowereit. Er stellt klar, dass erst „nach Räumung die Einzelfallverfahren“ laufen.

Zustände, die nicht hinnehmbar sind

Natürlich betont Wowereit, dass es um „humanitäre“ Fragen gehe, dass die Situation der Flüchtlinge, die seit mehr als einem Jahr „unter unzumutbaren Bedingungen campieren“, nicht akzeptabel sei. „Das sind Zustände in einer zivilisierten Stadt und Gesellschaft, die auf Dauer nicht hinnehmbar sind.“ Bei diesen Worten reckt sich auch der neben ihm sitzende Innensenator, der wie Wowereit ein blaues Jackett über weißem Hemd und einen blauen Schlips trägt. Aber Henkel schaut ernster in die Runde.

Die Erklärung des Senats ist kaum verbreitet, da steht Hakim schon auf dem Oranienplatz und gestikuliert. Am Tag zuvor habe er noch mit Dilek Kolat verhandelt. Sie schienen zuversichtlich. Nun sieht das anders aus. „Wir akzeptieren das Angebot nicht“, sagt Hakim. Nur einem Teil der Flüchtlinge zu helfen, das ist in seinen Augen wenig solidarisch. Alle oder keiner, so haben sie hier die vergangenen Monate argumentiert – und dabei wollen sie bleiben.

Die Sache mit den Einzelfallverfahren hat also einen Haken. Die Lampedusa-Flüchtlinge, die in Italien bereits einen Aufenthaltstitel erhalten haben, aber dort nicht geblieben sind, wollen in Berlin aufgenommen werden. Eine „komplexe, schwierige Lage“ sei das, sagt Kolat. „Für die Prüfung dieser Anträge werden diese eine Duldung erhalten.“ So einfach sei das aber mit denjenigen nicht, die bereits Anträge in anderen Bundesländern gestellt haben. Denn 27 haben bereits eine Ablehnung erhalten. Und das gilt. Dass die Ausländerbehörde die Einzelfälle „wohlwollend“ prüfen werde, wie man es in der SPD gehofft hatte, davon ist am Dienstag keine Rede. „Die Anträge werden umfassend geprüft“, sagt Henkel knapp. Das war’s dann auch.

Hakim ist aus Libyen und über Lampedusa nach Berlin gekommen, seit mehr als einem Jahr lebt er bereits im Camp. Nun steht er hier, und während er spricht, auf Englisch, drängen sich immer mehr Journalisten um ihn. Wie soll es denn jetzt weitergehen?

„Wir bleiben.“

Das böse Wort mit „R“

Dilek Kolat (2.v.r.) hat für den Senat mit den Flüchtlingen verhandelt.
Dilek Kolat (2.v.r.) hat für den Senat mit den Flüchtlingen verhandelt.

© DAVIDS

Hakim klingt aufgeregt, trotzdem spricht er ruhig und fest. Wie wichtig ihm das alles ist, nicht nur sein eigenes Schicksal, auch das der anderen, merkt man sofort. Man habe sich erst noch gefreut, gehofft, alles sei nun geregelt, die vielen Gespräche mit Dilek Kolat hätten ihren Zweck erfüllt. „Big history today“, heute wird Geschichte gemacht, rief auch einer von ihnen und grinste. Dann sprach Hakim.

Was passiert, wenn die Flüchtlinge nicht räumen, wenn weiter Hütten gezimmert werden? Aus der CDU-Fraktion weiß darauf Kurt Wansner eine Antwort. Die Einhaltung von Recht und Gesetz war und sei für die CDU nicht verhandelbar, sagt der Gegenspieler von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Sollte die Vereinbarung seitens der Flüchtlinge gebrochen werden, „bleibt die Räumung das letzte Mittel“.

Hakim lebt seit mehr als einem Jahr im Camp.
Hakim lebt seit mehr als einem Jahr im Camp.

© Alina Rapoport

Das böse Wort mit „R“. Wie sehr haben sie in Berlin darum gerungen, es hier nicht zu Hamburger Verhältnissen kommen zu lassen und mit einer Räumung der linken Szene den Vorwand für Straßenschlachten zu liefern, seit vor anderthalb Jahren mit einem Marsch gegen die deutsche Flüchtlingspolitik in München alles begann. Im September 2012 machten sich Asylbewerber von Bayern aus auf den Weg: Sie forderten, die Residenzpflicht aufzuheben, dass sie arbeiten dürfen und nicht mehr in Wohnheimen leben müssen. Angekommen in Berlin, errichteten sie ein Protestcamp. Die Sympathie des damaligen Grünen-Bezirksbürgermeisters Franz Schulz war ihnen sicher. Er duldete die Flüchtlinge, bis auf ganz wenige Ausnahmen nur Männer, die auf abenteuerlichen Wegen aus afrikanischen Ländern den Weg nach Deutschland gefunden hatten.

Lange war keine Lösung in Sicht

Nun schlugen sie auf einem zentralen Platz Kreuzbergs ihre Zelte auf. Zuerst ohne Wasseranschluss und funktionierende Toiletten. Schulz duldete auch, dass andere Flüchtlinge eine leer stehende Schule in der nahe gelegenen Reichenberger Straße besetzten, wo sie ebenfalls unter unvorstellbaren hygienischen Bedingungen lebten.

Mehr als ein Jahr lang verweigerte sich Berlins Politik einer Lösung. Der Senat erklärte sich schlichtweg für nicht zuständig und zeigte stets auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und dessen neue grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Erst als der Winter bevorstand, bot man den Männern Wohnheimplätze an. Aber der Zeitpunkt, die Zelte dann abzuräumen, wurde verpasst. Stunden später, nachdem die Flüchtlinge ein Heim der Caritas in Wedding bezogen hatten, waren neue Aktivisten da. Der Oranienplatz war längst zu einem bundesweiten Symbol für den Kampf gegen die europäische Flüchtlingspolitik geworden.

Innensenator Frank Henkel hätte gerne geräumt. Er kam mit der Grünflächenverordnung und der Regelung zur Nutzung öffentlichen Straßenlandes daher. Er setzte ein Ultimatum, er setzte ein zweites. Anfang des Jahres pfiff ihn der Regierende Bürgermeister zurück. Die Union als Koalitionspartner war düpiert. Die Integrationssenatorin wollte und sollte dann auch auf Wunsch Wowereits verhandeln.

Dann herrschte wochenlang eine eigentümliche Stille. Kein Zwischenstand der Gespräche drang nach draußen. Wurde überhaupt verhandelt? Kolat und ihr Sprecher erklärten stets, dass man nur Ergebnisse mitteilen wolle und die gebe es noch nicht. Als die Flüchtlinge dann auch noch anfingen, Hütten auf dem Platz zu errichten, wurde der Unmut in der CDU stärker. Hatte sich Kolat mit den Gesprächen womöglich übernommen?

Die Flüchtlinge wollen allein mit Dilek Kolat sprechen

Ein Flüchtling auf dem Oranienplatz verstärkt seine Bretterbude mit Hölzern.
Ein Flüchtling auf dem Oranienplatz verstärkt seine Bretterbude mit Hölzern.

© dpa

Es wurde dann auch in den letzten Stunden ein zähes Ringen. Am Montagabend war Kolat wieder bei den Flüchtlingen, um letzte Absprachen zu treffen. Sie legte Wert darauf, dass sie die Vereinbarungen alleine mit ihnen traf. Am Schluss hätten die Flüchtlinge Unterstützer und Anwälte gebeten, den Verhandlungsraum zu verlassen, um alleine mit Kolat zu sprechen. Am Vormittag ging es dann weiter. Die traditionelle 13-Uhr-Senatspressekonferenz wurde immer wieder verschoben. Kolat war immer noch in Gesprächen mit den Verhandlungsführern. Schief gehen durfte jetzt nichts.

Vor allem Herrmann, die für den weichen Kurs in die politische Ohnmacht gestanden hatte, bedankt sich artig bei den Senatoren und betont, dass der 18. März ein „guter Tag für die Flüchtlingspolitik“ sei. Und sie erklärt, dass man auch Roma-Familien, die noch in der Schule wohnen, nun „zeitnah“ unterbringen werde, dass die Schule zum „ersten deutschen Flüchtlingszentrum“ umgebaut werde, dass der „Info-Point“ aus „Protest gegen eine europaweite Flüchtlingspolitik“ aufgestellt werde. Dass man keine Neubesetzungen „akzeptieren“ werde.

Das Camp, im November 2013, von oben betrachtet.
Das Camp, im November 2013, von oben betrachtet.

© picture alliance / dpa

Über mögliche Konsequenzen spricht sie nicht. Überhaupt will niemand der Politiker darüber sprechen, was passiert, wenn die Flüchtlinge nicht freiwillig räumen. Henkel sagt: „Es gibt einen Verfahrensweg. Das gilt es jetzt abzuwarten.“ Wowereit sekundiert: „Wir haben alle ein Interesse daran, dass die Vereinbarung zügig umgesetzt wird. Es gibt einen guten Grund, warum wir keinen Stichtag nennen.“ Vielleicht hat der Senat jetzt auch nur die Begründung gefunden für eine härtere Linie.

Keine Verzweiflung - Entschlossenheit

Die Bänke, die die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz aufgestellt haben, damit die Zuhörer sich setzen können, bleiben frei. Niemandem ist hier nach sitzen, kaum einer kann überhaupt ruhig stehen bleiben. Viele telefonieren. Mit Freunden, Bekannten. Hey, zu früh gehofft.

Wie es dazu kommen konnte, dass nun offensichtlich die einen verhandelten und die anderen unterzeichneten, das weiß hier niemand. Oder es möchte lieber niemand sagen. Zu viele Interessen auf diesem kleinen Platz. Und doch: Verzweifelt wirkt hier niemand, höchstens sehr entschlossen.

Entschlossen zu bleiben, das vor allem, ist ihre Überlebensstrategie. Bis auch der Letzte von ihnen hier eine Zukunft haben darf, halten sie an dem fest, was sie schon erreicht haben. „Wir haben doch sowieso nichts zu verlieren“, sagt einer. „Wir sind auch bereit zu sterben.“ Es sind harte Worte und doch auch nicht, wenn man bedenkt, dass viele dem Tod auf ihrer Flucht nur knapp entkommen sind. Was ist der Berliner Senat, was ist Gefängnis gegen Häscher und Clans, gegen Sturm auf dem Mittelmeer?

Manche, weniger aufgebracht, glauben, es sei Strategie des Senats, die Flüchtlinge gegeneinander auszuspielen. So dass ein Polizeieinsatz am Ende gar nicht nötig wird. Aber nicht mit ihnen! Sie planen lieber schon weiter. Einige von ihnen wollen im Mai nach Brüssel reisen. Eine Demo, kurz vor der Europawahl. Allerdings wollen das auch wieder einige nicht. Wie überhaupt Solidarität auf dem Oranienplatz nicht bedeutet, dass alle dasselbe wollen. Am Nachmittag jedenfalls wird dort schon wieder gehämmert. Die Nacht über wollten sie auf jeden Fall bleiben, erklärt eine Gruppe Männer am Abend. Morgen Abend, sagen sie, wird das alles noch einmal in Ruhe diskutiert.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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