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Kreuzberg, Oranienplatz, im Februar 2014. Aus den Zelten auf dem Platz sind Holzhütten geworden.

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Update

Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz: Wenn Politik ein Fall für die Justiz wird

Es wird nicht regiert, nicht agiert, es wird nur noch taktiert: Bezirk gegen Senat, Schwarz gegen Rot, jeder gegen jeden. Wer von den vielen wird verantwortlich sein, falls die Holzhütten auf dem Oranienplatz in Flammen aufgehen?

Der Oranienplatz in Berlin, von Flüchtlingen besetzt seit fünfzehn Monaten, wirkt nicht nur wegen seiner Zelte und Bretterbuden bizarr. Er ist das Mahnmal einer politischen Verantwortungsverwahrlosung. Es regiert in Berlin nur noch die Angst, sich zu verbrennen, letzte Reste von Politik verlieren sich in haltloser Hoffnung, zuletzt in einen harten Winter, der einfach nicht kommen mochte.

So blieben die Flüchtlinge auf ihrem Platz, und die Berliner Politik zieht einen immer weiteren Kreis um sie herum. Zuständig wären sie alle, Verantwortung lehnen sie kollektiv ab: der Baustadtrat, die Bezirksbürgermeisterin, der Innensenator, der Senator für Gesundheit und Soziales, der Regierende Bürgermeister. Ein jeder verweist auf den anderen und alle auf die Integrationssenatorin, die Verhandlungen führt mit den Flüchtlingen über Forderungen, denen sie nicht nachkommen kann.

Je länger das alles dauert, desto erbärmlicher werden die Zustände auf dem Platz, und desto erbärmlicher wirkt die Politik. Was der Winter nicht geschafft hat, die finale Demoralisierung der Protestierenden, sollen jetzt kaputte Klos erledigen. Die Politik weigert sich, sie zu ersetzen. Wie tief geht es noch? Es fehlt aber auch der Mut, das Camp zu räumen, zur Abwehr von Gefahren, die jeder auf den ersten Blick erkennt; dazu braucht der Innensenator nicht einmal den Baustadtrat oder das Grünflächengesetz, hinter dem er sich verschanzt, sondern nur einen mutigen Mitarbeiter, der ihm das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz vorliest.

Die Politik taktiert nur

Es wird nicht regiert, nicht agiert, es wird nur noch taktiert: Bezirk gegen Senat, Schwarz gegen Rot, jeder gegen jeden. Wer von den vielen wird verantwortlich sein, falls der ganze Verhau in Flammen aufgeht? Zweimal hat es dort schon gebrannt. Es ist unfassbar, was hier nicht geschieht. Politik kann auch ein Fall werden für die Justiz.

Die Hauptforderung der Flüchtlinge, ein Bleiberecht für alle, also nicht nur für sie, sondern: für alle Flüchtlinge, die da sind und die kommen werden, die einer Verheißung folgen, die den Namen Oranienplatz trägt, ist nicht zu erfüllen, nicht vom Bezirk und auch nicht vom Land Berlin. Die Bundesregierung könnte ihnen entgegenkommen, wenn sie ins Werk setzen würde, was im Koalitionsvertrag steht: schnellere Verfahren, Arbeitserlaubnis, mehr Bewegungsfreiheit. Doch von einem Gesetz ist nichts zu sehen. Auch die EU wäre längst in der Pflicht, das Problem betrifft ganz Europa. Alles das enthebt die Berliner Politik nicht ihrer eigenen Verantwortung.

Fast 10 000 Flüchtlinge warten in Berlin auf ihr Verfahren, hoffen auf Anerkennung, in jeder Hinsicht. Ein paar Dutzend von ihnen haben sich zum Kampf entschlossen. Sie sind jung und unerschrocken, sie haben Dinge erlebt und überlebt, die nicht einmal in den Albträumen der Stadträte und Senatoren vorkommen; denen graust es ja schon vor dem 1. Mai. Die Flüchtlinge vom Oranienplatz werden sich nur dann auf ein Verfahren mit offenem Ausgang einlassen, wenn man sie über die Chancen belügt. Und doch würden andere folgen, zum Oranienplatz oder anderswohin in der Freien Bezirksrepublik Kreuzberg. Es ist nicht der falsche Ansatz, mit diesen Menschen zu reden. Es ist nur falsch, ihnen Hoffnungen zu machen, die sich nicht erfüllen werden. Ihnen die Wahrheit zu sagen und die Konsequenzen zu zeigen, das ist der redliche, der menschliche Weg zurück in die Verantwortung.

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