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Wenn Werbung immer einen direkten inhaltlichen Zusammenhang zum Produkt haben müsste, könnte Susanne Hellmuth die Werbung gleich komplett verbieten, findet Harald Martenstein.

© Imago/Wrongside Pictures

Kommentar zum Gastbeitrag von Susanne Hellmuth: Harald Martenstein zur Sexismus-Debatte: "Kreuzberg gehört allen"

Sexistische Werbung gehört abgeschafft, findet Susanne Hellmuth, Vorsitzende des Ausschusses für Frauen, Gleichstellung und Queer. Harald Martenstein fordert mehr Toleranz. Frauen und Männer werden in der Werbung oft reduziert, ähnliches passiere aber auch beim Fußball.

Liebe Susanne Hellmuth,

am meisten an Ihrem netten Brief hat mich die Formulierung „Talibankämpfer*innen“ berührt. Sie müssen wirklich keine Angst haben, Talibanfrauen zu diskriminieren, wissen Sie, bei denen dürfen sowieso nur Männer Krieger sein. Und wenn bei den Taliban einer queer ist und sich outet, machen die ihn kalt. Also, sagen Sie unbesorgt „Talibankämpfer“, das ist okay. 

Wenn Sie sagen, unsere Idee muss vernünftig sein, weil sie ja aus Österreich kommt, muss ich Ihnen widersprechen. Adolf Hitler ist auch mit seinen Ideen aus Österreich gekommen. Ich mag Österreich und will da nichts vergleichen, nur: Man muss alle Ideen aus Österreich sorgfältig prüfen, bevor man sie in Berlin übernimmt. Das Gleiche gilt für Wuppertal.

Werbung nervt auch mich oft. Sie ist manchmal geschmacklos. Aber wir müssen das aushalten, fürchte ich. Wir sollten nicht versuchen, alles zu verbieten, was uns nervt, nicht unserer politischen Meinung entspricht, was wir für dumm halten oder unserem Gefühl für Sitte und Anstand nicht entspricht. Wir sollten versuchen, tolerant zu sein, und zwar in alle Richtungen. Ich möchte in einem freien Land leben, verstehen Sie. Deshalb muss ich auch Leuten ihre Freiheit lassen, die ich ablehne. Welches Argument hätte ich sonst für meine eigene Freiheit? Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der man sehr engstirnig war, und nun habe ich das Gefühl, dieser Engstirnigkeit ein zweites Mal zu begegnen, nur jetzt aus der entgegen gesetzten Richtung. 

Natürlich gibt es Grenzen. Werbung, die Grundrechte verletzt, ist verboten. Schon heute. Wenn Sie solche Werbung sehen, können Sie klagen.

Wenn Werbung bei den Kunden nicht ankommt, verschwindet sie von ganz alleine

Werbeleute arbeiten mit Reizen, sie wollen unsere Aufmerksamkeit. Wenn Sie fordern, dass Werbung immer einen „direkten inhaltlichen Zusammenhang zum beworbenen Produkt“ haben muss, dann können Sie Werbung gleich komplett verbieten. Für die Kleiderfirma Trigema wirbt ein Affe. Affen brauchen keine Kleidung. Eine andere Firma hat einmal mit dem Bild eines sterbenden Aidskranken für sich geworben. Widerlich, könnte man mit einigem Recht sagen. Die Werbung wurde zurückgezogen, weil der Schuss nach hinten losging, die Kunden lehnten das ab. Wenn Werbung bei den Kunden nicht ankommt, verschwindet sie von ganz alleine.

Ja, Frauen und Männer werden in der Werbung oft „reduziert“ und als Deko eingesetzt. Ähnliches passiert zum Beispiel beim Fußball. Wenn Sie ein Spiel sehen, dann interessiert Sie die Spielerin nur in ihrer Eigenschaft als Fußballerin, nicht, was sie denkt, nicht, wie sie sonst so ist, als Mensch. So etwas passiert dauernd, man kann nicht immer den ganzen Menschen in seiner komplexen Totalität wahrnehmen. Ob die Werbemodelle das mit sich machen lassen oder nicht, sollten sie selbst entscheiden.   

Ich bitte Sie lediglich darum, anderen mit der gleichen Duldsamkeit und dem gleichen Respekt zu begegnen, die Sie zu Recht für sich selbst fordern. Halten Sie Unterschiede aus. Kreuzberg gehört allen. Es soll bunt sein, nicht einfarbig.  

Herzlich Ihr

Harald Martenstein

Dieser Artikel erschien für den Kreuzberg Blog, das hyperlokale Online-Magazin des Tagesspiegels, und bezieht sich auf den Gastkommentar zur Sexismus-Debatte von Susanne Hellmuth „Herr Martenstein, Bikini-Werbung wird nicht verboten!”

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