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Kreuzberger Restaurant "Orangerie": Rezepte gegen die Einsamkeit

Im Kreuzberger Restaurant „Orangerie“ kochen und kellnern psychisch kranke Menschen mit HIV.

Mit geübten Handgriffen wickelt Michael Stoffservietten um Messer und Gabeln und legt sie auf den Tresen der „Orangerie“. Hinter der Theke dampft und zischt das Heiligtum des Restaurants, die riesige Kaffeemaschine. In der Küche schmurgeln Königsberger Klopse auf dem Herd, eine junge Frau reibt Zitronenschalen. Und auch die ersten Mittagsgäste sitzen schon im angrenzenden Gastraum; die schicken Holztische sind mit roten Tulpen geschmückt.

Die „Orangerie“ in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg ist ein kleines Restaurant, wie es viele gibt in dem bunten, bei Einheimischen und Touristen beliebten Kiez. Und doch ist hier etwas anders. „Bei uns arbeiten Menschen mit HIV und Hepatitis C, die eine psychische Erkrankung haben oder suchtkrank sind“, sagt Projektleiterin Nicola Nieboj von der Trägergesellschaft Zuhause im Kiez (ZIK). Auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten sie schwerlich eine Chance. „Hier können sie ihre Leistungsfähigkeit in einem realistischen und zugleich geschützten Rahmen testen, haben eine sinnvolle Beschäftigung und eine Tagesstruktur“, sagt die Sozialpädagogin.

Rund 40 Männer und Frauen arbeiten in der „Orangerie“; es gibt drei kurze Tagesschichten von je zweieinhalb Stunden. So kann jeder nach seinen Fähigkeiten Dienst schieben, ein- oder mehrmals in der Woche, für Einzel- oder Doppelschichten. Betreut werden sie von fünf Sozialpädagogen und einem Koch, die den Laden am Laufen halten und ihre Klienten in der Küche und im Service unterstützen. Denn natürlich klappt nicht alles reibungslos. Konflikte untereinander und mit den Gästen werden geklärt. Wer alleine nicht den Mut fasst, zu einem mäkeligen Besucher an den Tisch zurückzukehren, wird begleitet.

Wer hier arbeitet, der merkt: Ich kann was!

„Außerdem packen wir natürlich im Restaurant mit an“, sagt Nicola Nieboj. Vor allem, wenn – was gar nicht selten vorkomme – von neun eingeplanten Klienten nur ein oder zwei erscheinen. Als öffentliches Restaurant müsse die „Orangerie“ verlässlich sein. „Nur so können wir unseren Klienten auch in Zukunft diese Beschäftigungsmöglichkeit bieten.“

Wie gut das tut, erleben sie und ihre Kollegen täglich. Wer hier arbeitet, der merkt: Ich kann was! Kochen, mit Gästen umgehen, im Team arbeiten, Konflikte regeln, pünktlich sein. Auch Michael hat der Job in einer schweren Zeit wieder auf die Beine geholfen. 2008 bekam er seine Diagnose: HIV und Hepatitis C. „Das hat mich umgehauen“, erzählt der 45-Jährige. „Ich habe immer viel Sport getrieben, gesund gegessen, auf mich geachtet.“ Nach der damals noch langwierigen und körperlich belastenden Hepatitis-Therapie fiel er in ein Loch, schottete sich ab, saß nur noch zu Hause. Freunde rieten ihm, sich an ZIK zu wenden. Die gemeinnützige GmbH betreut seit 1989 HIV-Infizierte sowie an Aids und chronischer Hepatitis C erkrankte Menschen in Berlin – unterstützt von der Deutschen Aids-Stiftung.

„Die haben dann erst mal Aufbauarbeit geleistet“, sagt Michael, der heute fröhlich und gelöst wirkt. Als seine Psyche es zuließ, fing er in der „Orangerie“ an und sagt: „Hätte es diese Chance nicht gegeben, säße ich heute nicht hier.“ Auch bei Problemen, etwa mit Drogen, habe man immer zu ihm gestanden. Inzwischen fühlt der gelernte Erzieher sich gut genug für den nächsten Schritt: Er wird wieder Teilzeit in einer Kita arbeiten. Und dann wohl nur noch als Gast in die „Orangerie“ kommen.

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