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Die Polizei hat unter der Platane auf dem Oranienplatz, auf der die Frau seit Dienstag ausharrt, zur Absicherung Turnmatten ausgelegt.

© Tanja Buntrock

Update

Nach der Räumung des Oranienplatzes: Protest auf der Platane dauert an

Auch an Tag zwei nach der Räumung des Oranienplatzes harrt eine Frau auf einer Platane aus. Die Polizei holt die Refugee-Frau vorerst nicht mit Gewalt von dem Baum. Unterstützung erhielt sie am Morgen von 70 bis 80 Demonstranten, die ihren Protest nun vor dem Abgeordnetenhaus fortsetzen.

Das Gartenbauamt Friedrichshain-Kreuzberg verfügte am Mittwoch über die bestbewachte Baustelle der Republik. Rund 100 Polizeibeamte schützten den Bauzaun um den Oranienplatz. Vor den Beamten: eine zweite Sperrlinie mit Flatterband. Höchste Sicherheitsstufe für das Aussäen von Gras und die Bepflanzung mit Sträuchern. Der Oranienplatz soll wieder werden, was er vor dem Flüchtlingscamp war: eine leicht vermüllte, durchschnittliche Berliner Grünfläche.

Doch auf dem Platz hält auch am Donnerstagmittag noch ein Flüchtling eine mächtige Platane besetzt. Nach Angaben der Unterstützer dauert die Besetzung durch die sudanesiche Frau, die als Napuli bekannt ist, schon mehr als 36 Stunden. Laut Feuerwehrangaben verweigert sie die Annahme von Getränken. Der Platz ist umzäunt und wird von der Polizei bewacht. Ein von der Polizei gerufener Rettungssanitäter hatte die mit einer Decke auf dem Baum sitzende Frau vom Boden aus begutachtet und ihren Gesundheitszustand als "unbedenklich" eingeschätzt. Die Polizei wird die Refugee-Frau daher vorerst nicht mit Gewalt von der Platane holen. Als Vorsichtsmaßnahme wurden unter dem Baum jedoch blaue Turnmatten ausgelegt, um sie bei einem eventuellen Sturz abzusichern. Bei "Napuli" soll es sich nach Polizeiangaben um die Frau handeln, die vor Monaten einen Fahrkartenkontrolleur der BVG gebissen hatte.

Aus Solidarität sollen weitere Flüchtlinge in einen Hungerstreik getreten sein. Auf dem Platz hatten sich Donnerstagfrüh bereits 70 bis 80 Demonstranten versammelt, die gegen den Umgang mit den Flüchtlingen protestierten. Anschließend zog die Gruppe weiter zur Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen in die Oranienstraße. Begleitet von der Polizei setzten die Demonstranten ihren Protest vor dem Amtssitz von Senatorin Kolat fort, bevor sie zum Abgeordnetenhaus weiterzogen. Dort bezieht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in einer Regierungserklärung Stellung in der Flüchtlingsdebatte. Vor dem Abgeordnetenhaus soll es eine Pressekonferenz der Aktivisten geben.

Die Demonstranten in der Oranienstraße.
Die Demonstranten in der Oranienstraße.

© Tanja Buntrock

In einer Pressemitteilung haben diese bekräftigt, dass es ihnen nicht um den Oranienplatz an sich, sondern um ihre politischen Forderungen gehe: "Wir haben unsere Länder nicht verlassen, um um den Oranienplatz zu kämpfen."

Am Mittwoch waren es noch drei Aktivisten gewesen, darunter zwei afrikanische Flüchtlinge, die bereits sichtlich geschwächt auf dem Baum ausharrten. Sie hatten keinen Proviant, auch nichts zu trinken, erzählte ein Mann vom Baum herab. Während der Räumung des Platzes hätten sie die Platane spontan besetzt.

Durch einen Bauzaun und einen Polizeicordon waren die Baumbesetzer von der Außenwelt abgeschnitten. Zwei Beamte passten auf, um notfalls einzugreifen, sollten die Besetzer herunterfallen. Helfer, die Lebensmittel und Wasser bringen wollten, wurden von der Polizei abgewiesen. Einige Unterstützer erstatteten am Abend Anzeige gegen Unbekannt wegen unterlassener Hilfeleistung.

Polizisten begleiten die Demonstranten in der Kreuzberger Oranienstraße.
Polizisten begleiten die Demonstranten in der Kreuzberger Oranienstraße.

© Tanja Buntrock

Die Aktivisten warten auf ein Gespräch mit Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). Sie fordern, dass nicht nur ein Infozelt, wie versprochen, auf dem Platz wiederaufgebaut werden darf, sondern auch ein Versammlungszelt und ein Wohnzelt für die Flüchtlinge, die in den Heimen bislang keinen Platz gefunden hätten.

Der politische Kampf soll weitergehen

Auf der nördlichen Seite des Platzes hatten sich Flüchtlinge in Decken gehüllt. Sie wollten auch die zweite Nacht nach der Räumung am Oranienplatz bleiben. Patrick aus Uganda, Mitte 20, kündigte an, notfalls in den Hungerstreik zu treten, sollte die Polizei die Versorgung der Baumbesetzer weiter verhindern.

Die vorige Nacht hätten sie zu acht in Schlafsäcken auf der Mittelinsel des Platzes verbracht, erzählte Patrick. Bis die Polizei sie vertrieb. Patrick hat am Protestmarsch von Bayern nach Berlin teilgenommen. Seit anderthalb Jahren campiere er am Platz. Dass der Kampf jetzt vorbei sein soll, kann er nicht akzeptieren. Er gehört zu den 27 Flüchtlingen, denen der Senat keine Lösung anbieten konnte, weil ihre Asylanträge bereits abgelehnt sind.

"Wir lassen uns nicht kaufen", sagt Patrick aus Uganda

Gegen elf Uhr am Mittwoch begann eine improvisierte Pressekonferenz der Flüchtlinge. Die Polizei hatte eine kleine Mauer vor den Versammelten formiert, um sie auf Abstand zu den Baumbesetzern zu halten. Dann ergriff Patrick das Wort. Der Senat habe mit den Flüchtlingen nur gespielt und sie auseinanderdividiert. 100 Euro hätten sie jedem geboten, der das Camp verlässt. „Aber wir lassen uns nicht kaufen. Wir bleiben hier, bis wir unsere Ziele erreicht haben.“ Später intonierte die Gruppe einen Kampfgesang gegen Abschiebung. An der Parole „Herrmann raus“, damit ist die grüne Bezirksbürgermeisterin gemeint, beteiligten sich nur die Unterstützer.

Die neue Heimat der Flüchtlinge: Friedrichshain

Mit den 100 Euro sollen sich die Flüchtlinge im neuen Heim an der Gürtelstraße in Friedrichshain mit dem Nötigsten eindecken. Vor dem ehemaligen Hostel steht ein Wachmann. Wer hinein will, muss seinen Hausausweis vorzeigen. Drinnen werde gerade „gefiltert“, erzählt der Mann. Einige hätten sich hineingeschummelt, die nicht hierher gehörten. Das werde nun geklärt. Vorerst sei das Haus voll. Das Hostel liegt in einer Straße mit einfachen Mietshäusern. Rechts und links des leicht verwitterten Gebäudes sind Baulücken.

Im „Pogotussy“ kostet das Astra einen Euro, Sternburg 80 Cent. In der Eckkneipe „Zum Igel“ trauert der Wirt dem Hostel nach. Viele Norweger, Russen und Finnen hätten wegen der billigen Bierpreise bei ihm Party gemacht. Auf die neue Kundschaft freut er sich weniger. Könnte Ärger geben, erst mit den Rechten, dann mit den Linken. Aber vielleicht bleibe auch alles ruhig. „Wir sind ja nicht Hellersdorf.“

Am Mittwochnachmittag verkündete die Polizei ihre 30-Stunden-Bilanz zum Einsatz am Oranienplatz. Rund tausend Beamte waren im Einsatz, acht erlitten leichte Blessuren. Sieben Demonstranten wurden festgenommen. Steinewerfer hatten im Laufe der Nacht zum Mittwoch das Coca-Cola-Gebäude in der Stralauer Allee, die SPD-Parteizentrale in der Wilhelmstraße und eine Bank in der Muskauer Straße attackiert. Viele Fensterscheiben gingen zu Bruch. Auch ein unbesetzter Polizeiwagen wurde angegriffen. Für Berliner Verhältnisse ein glimpflicher Ausgang der monatelang in geheimen Verhandlungen vorbereiteten Renaturierung des Oranienplatzes.

Schule in der Ohlauer Straße bleibt weiter besetzt

Und was kommt jetzt? Die Polizei sei vom Bezirk beauftragt, jeden weiteren Zeltbau am Platz zu verhindern, sagt Sprecher Stefan Redlich. Auf Parkbänken oder am Boden schlafende Flüchtlinge gäben keinen Anlass einzugreifen. Auf dem Platz steht noch ein Container, der mal Bestandteil des Info- und Protestzeltes war.

Die Gerhart-Hauptmann-Schule an der Ohlauer Straße bleibt weiter besetzt. Ein Wachmann des Bezirks begrüßt jeden Flüchtling mit Handschlag. Journalisten müssen draußen bleiben, Anordnung des Bezirks, erklärt der stämmige Schwarze. Wegen der aggressiven Stimmung im Haus aufgrund schlechter Schlagzeilen. Am Freitag soll es wieder Gespräche über die Zukunft der Schule geben. Für den Freitagabend ruft die linke Szene im Internet zu einer Demo auf. Ziel soll die Privatwohnung von Innensenator Frank Henkel (CDU) in Weißensee sein. Das Thema bleibt also aktuell – auch für die Polizei.

Lesen Sie hier auch das Interview mit Kreuzbergs Bürgermeisterin Monika Herrmann und gegen wen sich ihre Kritik richtet.

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