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Martin Böttcher, Berliner DJ und Musikjournalist.

© Frauke Fischer

Neue Electro-Tipps aus Berlin: Spreelectro – die Kreuzberg-Edition!

Der Blick auf die elektronische Musikszene der Hauptstadt konzentriert sich in dieser Ausgabe auf Kreuzberg. Denn von dort kommt gleich drei nennenswerte Neuerscheinungen - und Sound, der an laue Abende am Landwehrkanal erinnert.

Chopstick & Johnjon – Twelve (Suol)

Irgendjemand schrieb mal, die Schlesische Straße in Kreuzberg sei die Reeperbahn von Berlin. Das ist natürlich Quatsch: die Schlesische Straße ist die Schlesische Straße und ganz sicher einer der Orte, an denen „es“ gerade passiert. Teil dieses „es“ ist das Plattenlabel Suol, das seit bald vier Jahren die Grenzen zwischen Club und Pop, zwischen House und Soul, zwischen Ying und Yang verwischt. Und wo „wohnt“ Suol? In der Schlesischen Straße. Gegründet wurde Suol von Chi-Thien Nguyen und John Muder. Die beiden sind besser unter ihrem Künstlernamen Chopstick & Johnjon bekannt. Und haben jetzt, nach einer gefühlten Ewigkeit, ihr erstes Album veröffentlicht. Man muss ja immer etwas vorsichtig sein, wenn man die Verbindungen zwischen Musik und dem Ort, an dem sie entstanden ist, ziehen will. Aber für mich klingt „Twelve“ nach lauen Abenden am Landwehrkanal, nach durchfeierten Nächten in der Luzia, nach Entspannungsübungen im Görli und nach Club-Mate am Schlesischen Tor: Chopstick & Johnjon läuten schon mal den Sommer ein.

 Zuckermann – Serendiptiy (Lebensfreude)

Ralph Zuckermann sieht so aus, als habe er einige Partyexzesse hinter sich. Vermutlich auch schon in Kreuzberg, denn auch wenn er als Musiker in der ganzen Welt herumkommt, ist er hier zu Hause. Sein Debütalbum „Serendipity“ (ein schwieriges Wort, es bedeutet wohl so viel wie: mit wachem Geist unterwegs sein und dabei und dadurch zufällig etwas entdecken) ist gar nicht sonderlich exzessiv, aber spannend: Sessel-Techno, der in seiner Machart Verbindungslinien zu Klassik, Jazz und Konzeptmusik zieht. Zuckermanns Sounds sind nicht berechnend, sie haben eher eine Art geplante Ungeplantheit. So, als ob man in einem Kindergarten unterwegs sei, behauptet sein Plattenlabel mit dem bezeichnenden Namen „Lebensfreude“. Ich finde, das führt auf die falsche Spur: Verspielt sind die locker-flockigen Tracks kein Stückchen. Weil Zuckermann ein gestandener Musiker ist, spannt sein Album vielmehr den großen Bogen von der atmosphärischen Fläche hin zum hypnotischen Beat.

 Deadbeat & Paul St. Hilaire: The Infinity Dub Sessions (BLKRTZ)

Einer meiner Lieblingssätze: Techno in Berlin, das ist wie Reggae auf Jamaica. Nicht Mainstream, aber auch nicht Underground, vielleicht eher: Gebrauchsmusik. Was aber macht nun ein Reggae-Sänger, wenn er in Berlin landet? Der Dominicaner Paul St. Hilaire, früher auch mal als Tikiman unterwegs, zog in den musikalisch offensten Stadtteil, nach Kreuzberg. Und arbeitete einfach mit den besten Techno-Produzenten der Stadt zusammen, um aus Dub, elektronischer Musik und seinem Gesang eine Art „Reggae von morgen“ zu schmieden. Fast schon legendär: seine gemeinsam mit Moritz von Oswald und Mark Ernestus eingespielten Tracks. Die Fortsetzung des ganzen gibt es jetzt: der ebenfalls in Kreuzberg lebende Scott Monteith alias Deadbeat hat basslastige, düstere Soundgebilde erschaffen, in denen Paul St. Hilaires einzigartige Stimme immer mal wieder aufblitzen darf. Mit Reggae hat das nicht viel zu tun. Aber wir sind ja auch nicht in der Karibik, wir sind schließlich in Berlin.

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

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