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Einige Mieter der "Schlange" fürchten, dass es mit der Idylle im Innenhof vorbei ist, wenn erst die Müllfahrzeuge kommen.

© Maria Fiedler

Schlangenbader Straße in Wilmersdorf: Verdruss in der Wohnmaschine

Es gab Zeiten, da war die „Schlange“ ein Musterstück von einer Siedlung. Doch inzwischen sind einige Bewohner mit dem Vermieter Degewo tief zerstritten.

Der alte Glanz, in Inge Geffers’ Wohnung ist er noch zu erahnen. Ein leichter Wind weht durch die mit Rosen bedruckten Vorhänge, von der Decke hängt ein kleiner Kronleuchter. Geffers sitzt mit rosa Bluse und sorgsam frisiertem Haar auf ihrem hellen Sofa. „Früher“, sagt die 79-Jährige und lächelt, „da war die Schlange noch ein Begriff. Wer in der Schlange wohnte, war etwas Besonderes.“

In der Ende 1980 fertiggestellten Autobahnüberbauung in der Schlangenbader Straße in Wilmersdorf, kurz „Schlange“ genannt, leben knapp 3000 Menschen. Das Gebäude ist ein Koloss: Die verbundenen, bis zu 46 Metern hohen Wohnblocks haben eine Gesamtlänge von 1,5 Kilometern. Vor 33 Jahren ist Geffers eingezogen. Modern sei das Haus gewesen und im Innenhof ganz ruhig trotz der Autobahn. Was für ein Gefühl, als erste Mieterin die Tür aufzuschließen, schwärmt Geffers.

Sanierung würde 4,4 Millionen Euro kosten

Doch das Leben in der Siedlung hat sich über die Jahre verändert, der Glanz ist verblasst. Die Mieter ärgern sich über eine erodierende Fassade und undichte Fenster. Und es gibt Streit. Angefangen hatte der im Mai vergangenen Jahres, als die Wohnungsbaugesellschaft Degewo bekannt machte, dass die Müllabsauganlage bis Ende 2015 stillgelegt würde.

Die Anlage ist deutschlandweit einzigartig, eine Sanierung würde wohl eine Summe von 4,4 Millionen Euro verschlingen. Zudem kosten auch Anlagenbetrieb und Abfallentsorgung etwa 500 000 Euro im Jahr. Trotz eines Zuschusses der BSR sind die Entsorgungskosten für die Bewohner doppelt so hoch wie für den Durchschnitt der Degewo-Mieter. Das sei einfach nicht wirtschaftlich, heißt es bei der Degewo. Und auch ökologisch sei es nicht – die Nutzer der Absauganlage hätten kaum Müll getrennt.

Für viele Bewohner ist der Müllschlucker eine Besonderheit der „Schlange“, sie sind stolz auf das Konzept: Der Müll konnte auf jedem Stockwerk in eine Klappe geworfen werden – er wurde abgesaugt, gepresst, bis zum Breitenbachplatz transportiert und dann verbrannt. Die Wärme kam als Fernwärme zurück in der Schlangenbader Straße. Während die Anlage bereits Stück für Stück demontiert wird, wächst die Unzufriedenheit unter den Bewohnern – weil vieles nicht mehr so ist, wie es einmal war.

Mieter fühlen sich vergessen

Im Wohnzimmer von Inge Geffers, der Mieterin der ersten Stunde, kann man erfahren, wie es sich heute in dem Wohnkoloss lebt. Geffers hat es sich mit ihrer 80-jährigen Nachbarin Christa Jung auf dem Sofa bequem gemacht. Jung ist gehbehindert und kommt mit ihren Krücken nur mühsam voran. Für einen Moment erinnern sich die Damen an die Zeit, als es in den Häusern im Erdgeschoss noch Klempner, Tischler und Schlosser gab. Und der blaue Fußboden im Flur alle 14 Tage mit der Maschine blitzeblank gebohnert wurde. „Jetzt sind ständig fremde Leute im Haus“, sagt Jung. Sie beschwert sich über den Schimmel am Ende ihres Flurs. Und berichtet von eindringendem Regenwasser. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich wohne in einem Abrisshaus“, sagt Jung. Sie fühlt sich vergessen.

Die Nachbarinnen Inge Geffers (r) und Christa Jung ärgern sich über die Veränderungen in der "Schlange".
Die Nachbarinnen Inge Geffers (r) und Christa Jung ärgern sich über die Veränderungen in der "Schlange".

© Maria Fiedler

Die Degewo sieht das anders. Sie weist die Behauptung der Mieterinitiative zurück, wonach sich das äußere Erscheinungsbild der „Schlange“ verschlechtert hat. Zusätzlich zu den Mitteln für die laufende Instandhaltung setze man ein Instandsetzungskonzept im Umfang von zwei bis vier Millionen Euro um. „Derzeit werden Dächer repariert, Versorgungsleitungen erneuert, Terrassen und Aufzüge saniert“, erklärt Elke Benkenstein, die Leiterin des Degewo-Kundenzentrums City. Auch sind andere Mieter mit der Wohn- und Lebensqualität in der „Schlange“ durchaus zufrieden.

Nächte über Unterlagen und Briefwechseln

Trotzdem haben Inge Geffers und ihre Nachbarinnen das Gefühl, vernachlässigt zu werden. „Manchmal frage ich mich: Was haben die vor mit diesem Haus?“, sagt Marianne Preiß. Sie und ihr Mann Ludwig wohnen in einer Maisonette-Wohnung im 7. Stock. Von hier aus kann man bis zum Teufelsberg sehen, die Terrasse ist üppig begrünt. Die beiden schätzen die Infrastruktur, die Autobahnanbindung und die Nähe zum integrierten Supermarkt und dem Friseursalon. Aber wenn jetzt die Müllabsauganlage verschwindet, fürchten sie, dass Ungeziefer von den Müllcontainern angezogen wird und der Schmutz sich ausbreitet.

Christine Wußmann-Nergiz im Innenhof der "Schlange".
Christine Wußmann-Nergiz im Innenhof der "Schlange".

© Maria Fiedler

Auch Christine Wußmann-Nergiz hat solche Befürchtungen. Die 65-Jährige organisiert den Widerstand gegen die Abschaltung der Absauganlage. Mehr als 750 Unterschriften hat die Mieterinitiative schon gesammelt. Wußmann-Nergiz lässt das Thema keine Ruhe. Manche Nacht verbringt sie über Unterlagen und Briefwechseln.

Lange Wege für ältere und behinderte Mieter

Insgesamt 2,3 Tonnen Müll werden täglich in der „Schlange“ produziert. Ab dem nächsten Jahr sollen ihn Lkws abholen. Wußmann-Nergiz fürchtet den Lärm durch den zusätzlichen Verkehr. Schon jetzt sei der Hof, der einst autofrei geplant war, ab sechs Uhr morgens von den Fahrzeugen der Bauarbeiter bevölkert, die einstige Fahrradräume in Räume für die Müllcontainer umfunktionieren. Der Weg dorthin sei vielen älteren oder behinderten Mietern nicht zuzumuten, meint Wußmann-Nergiz. Dass die Degewo einen Abholservice für zwei Euro pro Mülltüte anbietet, beeindruckt sie nicht.

Wußmann-Nergiz und ihre Mitstreiter sind überzeugt davon, dass die Anlage länger hätte funktionieren können, hätte man sie ordentlich gewartet. Laut Degewo sei die Anlage regelmäßig gewartet worden. Und zum Ende der vorgesehenen Vertragslaufzeit am 31. Dezember habe die BSR den Vertrag für den Betrieb gekündigt. Mittlerweile sind auch Juristen mit der Schlangenbader Straße beschäftigt. Wußmann-Nergiz klagt gegen die Degewo auf Wiederherstellung der Müllabsauganlage. Trotz eines gerichtlichen Mediationsverfahrens sinkt die Stimmung. Kürzlich registrierte die Degewo sogar verbale Angriffe gegen die Bauarbeiter, die mit dem Ausbau der Müllräume beschäftigt waren.

Noch ein letztes Mal will Wußmann-Nergiz ihren stillgelegten Müllschacht zeigen. Doch der Schlüssel zu der blauen Tür, hinter der sich die Klappe verbirgt, passt nicht. „Da haben sie wohl das Schloss ausgetauscht“, sagt sie enttäuscht.

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