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Sören Benn (Linkspartei) an seinem Schreibtisch im Rathaus Pankow.

© Ulrike Scheffer

Interview mit Bürgermeister Benn aus Pankow: "Die repräsentative Demokratie stößt an Grenzen"

Seit gut einem Monat regiert in Pankow ein Bürgermeister von der Linkspartei. Er will seinen Bezirk zu einem Modell für mehr Bürgerdemokratie machen - und so auch Populisten zurückdrängen. Ein Interview.

Herr Benn, Ihr Bezirksamt ist nur bedingt arbeitsfähig. Noch gibt es keinen Stadtrat der AfD, und mit dem Wechsel von Jens-Holger Kirchner in den Senat ist Ihnen der erfahrenste Stadtrat schon wieder abhandengekommen. Wie sehr wird Kirchner fehlen?

Das Wissen und die Erfahrung von Herrn Kirchner gehen dem Bezirk natürlich erst einmal verloren. Es kann aber auch eine Chance sein, wenn da jemand nachfolgt, der für einen neuen Stil steht.

Was gefiel Ihnen nicht am Stil von Herrn Kirchner?

Es geht nicht um Stilkritik. Angesichts vieler Auseinandersetzungen der Vergangenheit kann ein Neuanfang aber nicht schaden. Außerdem hoffe ich, dass der neue Staatssekretär für Verkehr seinen alten Bezirk nicht vergisst und uns tatkräftig beim Ausbau des Radverkehrs unterstützt. Hier haben wir uns einiges vorgenommen. Gleiches gilt für die Stärkung des Öffentlichen Nahverkehrs. Es kann uns also durchaus nützen, wenn ein Pankower im Senat sitzt.

Auch Ihre Partei, die Linkspartei, regiert im Land wieder mit. Was bringt das für Pankow?

Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, die Konstellation der Landesebene im Bezirk zu spiegeln. Alle drei Partner haben Zugang zu Regierungsfraktionen und können versuchen, dort Einfluss zu nehmen. Ich mache mir aber keine Illusionen darüber, dass die Landeskoalition sehr schnell sehr stark unter Beschuss stehen wird. Ihre Vorhaben sind ambitioniert und markieren auf vielen Feldern einen deutlichen Politikwechsel.

Wo erwarten Sie konkret Rückenwind vom neuen Senat?

Beim Umgang mit Bauprojekten zum Beispiel. Ich erwarte, dass der Senat Bauprojekte nicht mehr einfach an sich zieht, wenn sie auf Bezirksebene anders laufen als auf Senatsebene gewünscht. Beim Flüchtlingsmanagement erhoffe ich mir mit Frau Breitenbach als Senatorin einen völlig anderen Umgangsmodus. Und auch beim Thema Bürgerbeteiligung, das mir persönlich besonders am Herzen liegt, rechne ich mit entscheidenden Fortschritten, denn auch die Landeskoalition hat sich die Weiterentwicklung der Bürgerdemokratie auf die Fahnen geschrieben. Deshalb bin ich optimistisch, dass wir Ressourcen bekommen, um unsere Pläne im Bezirk umzusetzen.

Wie sehen die aus?

Ich glaube, dass wir in eine Phase eingetreten sind, in der unsere repräsentative Demokratie bei der Verarbeitung gesellschaftlicher Prozesse an Grenzen stößt. Als Folge kann sich eine Gesellschaft in eine autoritäre Richtung entwickeln, so wie wir es in Polen und anderen Ländern beobachten können, oder man versucht, das System zu vertiefen, indem man die Bürger direkter an Entscheidungen beteiligt. Die Menschen sind heute engagierter, und sie sind auch besser informiert. Dem muss man Rechnung tragen.

Wollen Sie dann künftig über jede Entscheidung abstimmen lassen?

Auf bezirklicher Ebene sind unsere Möglichkeiten natürlich begrenzt. Wir können keine Gesetze verändern. Aber wir können Bürger früher und besser in die Vorbereitung von Projekten einbinden. Letztlich geht es darum, das Verhältnis zwischen Behörden und Bürgerinitiativen pro-aktiver zu gestalten. Bisher ist es doch so: Politik und Behörden planen, und wenn sich dann Widerstand gegen ein Projekt formiert, wird dies als Störfaktor gesehen. Ich glaube, wir müssen das stärker als willkommenen Input begreifen.

Wie soll das konkret aussehen?

In Potsdam gibt es zum Beispiel die Werkstatt für Beteiligung. Dort erhalten Bürgerinitiativen Unterstützung und Beratung von städtischen und unabhängigen Mitarbeitern, die als Bindeglied zwischen Verwaltung und Bürgern fungieren. So etwas könnte ich mir auch für Pankow vorstellen. Langfristig gesehen ist das sicher nicht teurer, als wenn intransparente Planungsprozesse durch Widerstand aus der Zivilgesellschaft aufgehalten werden.

Beteiligungswerkstätten gab es in Pankow auch schon in der Vergangenheit.

Das war aber nicht systematisch organisiert, und oft war auch nicht klar, inwieweit die Bürger wirklich mitreden dürfen. Viele haben dann viel Zeit investiert und mussten am Ende doch feststellen, dass alles bleibt, wie es ist. Böse Zungen würden das wohl eher als Akzeptanzmanagement bezeichnen.

{"Wir können nicht den Prognosen hinterherbauen"}

Fürchten Sie nicht, dass Populisten solche Prozesse für ihre Zwecke instrumentalisieren?

Mehr Beteiligung bedeutet mehr Beteiligung für alle, das ist klar. Wenn wir in einer Angststarre verharren, werden wir den Populisten aber sicher nicht beikommen. Ich gehöre zu denen, die Vertrauen in die Kraft des Arguments haben, und ich glaube, dass in unserer Gesellschaft hier in Pankow der konstruktive Teil der Bevölkerung noch immer überwiegt.

Hat nicht das Brexit-Referendum in Großbritannien gezeigt, dass sachliche Argumente oft gar nicht mehr durchdringen? Stichwort: postfaktisches Zeitalter.

Das war etwas ganz anderes. Ein Referendum als Gnadenakt von oben quasi. Hier wusste die Politik nicht mehr weiter und wollte sich Legitimation verschaffen. So wie Gerhard Schröder bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005. Mit einer Weiterentwicklung von Bürgerdemokratie hat das nichts zu tun.     

Mal ganz praktisch betrachtet: Den Bau neuer Stadtquartiere können Sie dann doch wohl vergessen. Die sind schwer vermittelbar.

Wie gesagt, ich glaube an die Kraft des Arguments. Nur mit innerstädtischer Verdichtung wird es nicht gehen. Da kommen wir an Grenzen. Auch, was die soziokulturelle Infrastruktur angeht, also den Bau von Schulen und Kitas, die man ja mitentwickeln muss. Ich halte es andererseits aber für einen Trugschluss, dass man den Zuzugsprognosen hinterherbauen und so die Mietpreise beeinflussen kann. Letztlich können doch nur so viele Leute nach Pankow kommen, wie Wohnraum zur Verfügung steht. Deshalb sage ich: Natürlich müssen wir bauen, aber nicht in dem Maße, dass wir die Stadtstruktur zerstören.

Und wo soll gebaut werden? Das Vorhaben auf der Elisabeth-Aue ist vom Senat ja auf Eis gelegt worden.

Ich sehe vor allem Potenzial in Blankenburg, entlang des Blankenburger Pflasterwegs. Dort ist auch die Akzeptanz in der Bevölkerung höher als anderswo. Voraussetzung für eine weitere Entwicklung in Blankenburg ist aber, dass zunächst eine vernünftige Infrastrukturplanung erfolgt. Es muss sichergestellt werden, dass die Menschen, die dort hinziehen, und die, die in den angrenzenden Wohngebieten leben, in die Stadt kommen und sich versorgen können. 

Was wird aus den anderen umstrittenen Projekten? Am Pankower Tor herrscht Stillstand, und gegen das Bauprojekt Michelangelostraße, wo vor allem Sozialwohnungen entstehen sollen, gibt es ebenfalls Widerstand. Wo werden Sie Schwerpunkte setzen?

In Pankow fehlt nicht irgendwelcher Wohnraum. Es fehlen barrierefreie Wohnungen sowie Einraumwohnungen und große Wohnungen für Familien. Da müssen wir etwas tun. Die rot-rot-grüne Zählgemeinschaft hat sich darauf verständigt, Bauprojekten mit mindestens 50 Prozent Wohnungen für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen Vorrang einzuräumen. Für die Michelangelostraße wollen wir im Frühjahr eine Informationsveranstaltung organisieren, bei der alles auf den Tisch kommt. Klar ist: Die Obergrenze liegt bei 1500 Wohnungen. Zusätzlich arbeiten wir daran, dass der Rahmenvertrag zum Pankower Tor endlich abgeschlossen werden kann. Dann bekommen wir auch zwei Schulen, die wir dringend brauchen. 

Die werden aber nicht reichen. In Pankow fehlen in den nächsten Jahren deutlich mehr Grundschulen.

Die wird in der kurzen Zeit niemand bauen können. Ich gehe aber davon aus, dass sich die Vorbereitungsphase mit der geplanten Zentralisierung des Schulneubaus auf Landesebene erheblich verkürzen wird. Denn nur das rechtfertigt eine Zentralisierung. Es ist auch angekommen, dass wir mehr Mittel für Schulsanierung und Bauunterhalt brauchen. Dann müssen wir über die Erweiterung von Schulstandorten reden. Ich bin optimistisch, dass wir die Schulversorgung über einen solchen Maßnahmen-Mix sichern können. Schon weil wir es müssen.

Sören Benn (Linkspartei) ist seit Ende Oktober Bezirksbürgermeister in Pankow. Der 48-Jährige war zuvor Referent für Wirtschaft und Verkehr der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus.

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