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Seit Herbst hängt die Vaterunser-Glocke wieder an ihrem ursprünglichen Platz in der Johanneskirche in Schlachtensee

© Anett Kirchner

Älteste Glocke von Berlin in Johanneskirche Schlachtensee: 750 Jahre alt und sie klingt noch

Sie ist 750 Jahre alt, aus Bronze und dient als so genannte Vaterunser-Glocke - die älteste noch betriebene Kirchenglocke in Berlin hängt seit Herbst in der Johanneskirche in Schlachtensee. Dass sie überhaupt noch klingt, gilt als ein Wunder.

Ein strenger, kalter Wind pfeift durch die Lamellenfenster des Kirchturmes; zur einen Seite hinein, zur anderen wieder hinaus. Die Dielenbretter unter den Füßen knarren leicht. So wirkt es ein wenig, als bewege sich der etwa 35 Meter hohe Turm der Johanneskirche in Schlachtensee. Mittendrin vier Glocken. Drei gehören zum normalen Geläut, eine ist etwas Besonderes, eine Rarität. Sie hängt höher als die anderen in zweiter Reihe, hat keinen Klöppel wie sonst üblich, sondern wird von außen mit einer Art Hammer angeschlagen. Es ist die älteste noch betriebene Kirchenglocke in Berlin. Sie hat 750 Jahre auf dem Buckel, ist aus Bronze und wird als so genannte Vaterunser-Glocke genutzt. Das bedeutet: immer dann, wenn die Gemeinde das Vaterunser betet, wird sie angeschlagen. Für jede der sieben Bitten erklingt ein Ton.

In den vergangenen 30 Jahren stand die Glocke auf einem Holzgerüst im Vorraum der Johanneskirche. Zuvor war sie für eine Jubiläumsausstellung zur 750-Jahr-Feier von Berlin aus dem Glockenstuhl entfernt worden. „Wir hatten bis dahin keine Ahnung, was für ein Wert da oben in unserem Turm hing“, erinnert sich Gemeindekirchenrats-Mitglied Till Hagen. Die Glocke sei verstaubt und voll mit Taubendreck gewesen. Der 67-Jährige ist ein „Alt-Schlachtenseer“, lebt seit seinem 14. Lebensjahr hier und engagiert sich in der Kirchengemeinde.

Als klar wurde, wie einmalig diese Glocke ist, habe die Gemeinde beschlossen, sie nicht zurück in den Turm zu hängen, sondern in der Kirche öffentlich auszustellen. Das sollte eigentlich vorübergehend sein.

„Doch später fehlten die finanziellen Mittel, die Glocke in geeigneter Form für alle sichtbar wieder aufzuhängen“, sagt Michael Juschka, Pfarrer in Schlachtensee. Zwar habe es viel versprechende Konzepte gegeben, etwa in der Kirche oder draußen in einem gläsernen Anbau. Doch die Ideen waren allesamt zu teuer. Andere wichtige Baumaßnahmen hatten Vorrang, wie der Umbau des Gemeindezentrums im Jahr 2000. So entschied die Gemeinde erst 2015, die Glocke wieder an ihren ursprünglichen Platz zurück zu hängen. Jetzt im Herbst war es soweit. Mit einem Schwerlastkran wurde der etwa 300 Kilogramm schwere Koloss in den Turm gehievt. Finanziert wurde die Aktion mit Spenden. „Die Glocke soll eben kein museales Ausstellungsstück sein, sie soll klingen, denn das ist ihre Bestimmung“, erklärt Juschka.  

Dass die Glocke überhaupt noch klingt, nennen Experten ein Wunder. Normalerweise würden so alte Instrumente im Laufe der Zeit taub, wie es heißt. „Das Material ermüdet und verschleißt“, sagt Till Hagen. Hier nicht. Im Gegenteil. Die Glocke habe einen klaren, hellen Klang. Und sie ist in weiterer Hinsicht ein Wunder. Denn sie hat beide Weltkriege unbeschadet überstanden; wurde nicht wie die meisten Glocken eingeschmolzen. Wie das kam? Till Hagen erzählt, es sei überliefert, dass man die Glocke in einer Kiste im Hamburger Hafen versteckt habe. Deshalb fehle heute der obere Haltering, der sie einst geziert haben muss.

„Sie passte wahrscheinlich nicht in die Kiste, deshalb hat man den Ring abgeschlagen“, vermutet er. Wie und warum die Glocke nach Hamburg kam, sei unbekannt. Und so ist die Evangelische Kirchengemeinde Schlachtensee stolz auf ihre einzigartige Glocke. Dabei stellt sich die Frage, wie es kommt, dass im Turm einer Kirche, die erst etwas mehr als 100 Jahre alt ist, so ein seltenes Stück Geschichte hängt?   

Verbürgt ist jedenfalls, dass die Glocke ein Geschenk der Kirchengemeinde Zehlendorf ist (heute Paulusgemeinde). Denn Schlachtensee gehörte früher zur Muttergemeinde Zehlendorf. Wann die Glocke geschenkt wurde, ist nicht sicher. Es gibt zwei Theorien: entweder zur Einweihung der Johanneskirche 1912 oder erst 1949, als Schlachtensee eine selbstständige Kirchengemeinde wurde.

Bislang ein Rätsel: Für wen die Glocke bestimmt und wie lange sie insgesamt in Zehlendorf war

Was auffällt: die im unteren Durchmesser 83 Zentimeter große Glocke hat eine schlanke Zuckerhutform. Darauf sind Reliefs mit Wappen, Menschen- und Tiergestalten sowie ein neun Zentimeter hoher, romanischer Bogenfries mit Säulen zu erkennen. Jahreszahl oder Inschrift fehlen. Form und Verzierungen deuten aber darauf hin, dass die Glocke aus dem 13. Jahrhundert stammen könnte. Vermutlich wurde sie im Kloster Lehnin gegossen. Denn Zehlendorf gehörte bis zur Reformation 1517 zu dem Zisterzienserkloster Lehnin, weiß Eckard Siedke vom Zehlendorfer Förderverein Alte Dorfkirche.

Bevor die Vaterunser-Glocke letztlich nach Schlachtensee kam, hing sie in einem freistehenden Glockenstuhl aus Holz neben der Alten Dorfkirche in Zehlendorf. Dieser achteckige Kirchenbau stammt aus dem Jahr 1768. Auch vor dieser Zeit muss an derselben Stelle bereits eine Kirche gestanden haben. Das geht aus Unterlagen im kirchlichen Landesarchiv hervor. „Bestimmt war es eine Feldsteinkirche, wie damals in dieser Region üblich“, sagt Siedke und vermutet, dass die Glocke in dieser Kirche auch schon im Einsatz war.

Wie lange sie insgesamt in Zehlendorf, wo zuvor und für wen sie bestimmt war, ist bislang ein Rätsel. „Wir haben keine Unterlagen, die die Herkunft der Glocke eindeutig dokumentieren“, berichtet Michael Juschka. Und so behält die älteste Kirchenglocke der Stadt vorerst das Geheimnis ihrer wahren Herkunft für sich. Im Turm der Johanneskirche hat sie nun wieder ihr altes, neues Zuhause gefunden und es sieht beinahe so aus, als ob sie über die anderen drei Glocken wacht - mit all ihrer Erfahrung und Weisheit.   

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