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Beruf: Workaholic. Der neue Sportdirektor Matthew Hetherington (Mitte) hat beim Berliner HC auch gleich noch die Trainerämter für die Bundesliga-Teams der Frauen und Männer übernommen. In seinen ersten drei Monaten beim BHC hatte der Engländer daher nicht einen einzigen freien Tag.

© Imago

Aufbruch beim Zehlendorfer Traditionsklub BHC: Entrümpeln, streichen, umgestalten

Matthew Hetherington, der neue Sportdirektor beim Berliner Hockey-Club, will dem Verein aus Berlin-Zehlendorf zu neuem Glanz verhelfen. Er sagt: "Es war eine Art Liebe auf den ersten Blick." Hetherington hat einen Vertrag über zwei Jahre, aber Ideen für fünf Jahre.

Auf dem Gelände des Berliner Hockey-Clubs, gleich neben dem Kabinentrakt, liegen jetzt acht Stahlträger, fest im Beton verankert. Es handelt sich um das Fundament für das neue Fitnessstudio des BHC. In Wirklichkeit ist die Stahlkonstruktion viel mehr als das. Sie ist der Beweis, dass der neue Sportdirektor Matthew Hetherington die Dinge, die er anpackt, auch zu Ende bringt. Als Hetherington den BHC-Spielern erzählt hat, dass an dieser Stelle das Fitnessstudio gebaut wird, haben sie nur gelacht: „Fitnessstudio? Ha, ha, ha! Das hören wir schon seit fünf Jahren.“

Im Juli ist Hetherington aus San Sebastian nach Berlin gewechselt. „Es war eine Art Liebe auf den ersten Blick“, sagt BHC- Präsident Michael Stiebitz. Und bisher ist diese Liebe nicht enttäuscht worden. Absolut positiv seien die Erfahrungen, mit Hetherington habe der Klub einen echten Glücksgriff getätigt. „Es geht bei ihm ein bisschen in Richtung Verrücktheit“, sagt Stiebitz. „Er bringt die Leidenschaft und Qualität mit, um den Verein auf dem bisherigen Niveau zu halten.“

Strukturen schaffen, die vorhandenen Kompetenzen im Klub besser verzahnen, eine Linie vorgeben: Hetherington sagt, er wolle neue Dinge einbringen, „aber nicht zu schnell“. Das Fundament muss stabil sein und den Verein selbst dann noch tragen, wenn er Berlin längst wieder verlassen hat. Einen Zweijahresvertrag hat er beim BHC erhalten, „aber um das umzusetzen, was ich umsetzen will, brauche ich mindestens fünf Jahre“.

Hetherington sitzt im Klubheim in Zehlendorf vor der riesigen Wand mit den Meisterwimpeln der Frauen-, Männer- und Jugendteams. 74 sind es. Ein schöner Anblick sei das, sagt der Sportdirektor, aber auch eine große Herausforderung.

Dass der Berliner HC Titel holt, ist längst nicht mehr selbstverständlich. Bei der Champions Trophy Ende des Jahres stand erstmals seit Menschengedenken niemand vom BHC im Kader der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. „Das ist kein Zufall“, sagt Bundestrainer Jamilon Mülders. „Der BHC hat lange sehr tief geschlafen.“ Der Verein habe sich auf seiner Vergangenheit ausgeruht und keine gute Jugendarbeit mehr gemacht. „Es gibt große Löcher und wenig Talente.“ Dazu habe der Klub „eine ganz skurrile Trainerpolitik betrieben“, sagt Mülders.

Die Auswirkungen hat auch Hetherington schon zu spüren bekommen, als er einen neuen Chefcoach für die Frauen gesucht hat. Sieben, acht Kandidaten hat er angesprochen, zugesagt hat keiner. Wer lässt sich schon auf das Wagnis BHC ein, wenn er bei einem anderen Berliner Verein einen sicheren Job hat? Am Ende hat es Hetherington einfach selbst gemacht.

Mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland üben neben ihrem Hauptberuf noch einen Zweitjob aus. Hetherington hat im Moment drei Jobs. Er ist Sportdirektor, er trainiert beim BHC die Männer und die Frauen. „Ich bin ein Workaholic“, sagt der 34-Jährige. Am 1. Juli hat er beim BHC die Arbeit aufgenommen, seinen ersten freien Tag hatte er im Oktober. Sogar die Kabinen der beiden Bundesligateams hat Hetherington – gemeinsam mit dem Platzwart – eigenhändig entrümpelt, gestrichen und umgestaltet.

Ohne gute Organisation wäre das nicht möglich. „Planen ist mein Hobby“, sagt Hetherington. „Alles muss strukturiert sein.“ Trotzdem hat ihm anfangs gelegentlich der Kopf geschwirrt. An zwei Tagen in der Woche steht der Doppelcheftrainer fünf Stunden am Stück auf dem Trainingsplatz, und an den Wochenenden coacht er zwei Spiele hintereinander. Wenn die Frauen zuerst dran sind, hält er direkt nach der Pause mit den Männern die Teambesprechung ab, ehe er zu den Frauen auf die Trainerbank zurückkehrt. Zwischen dem Abpfiff des ersten Spiels und dem Anpfiff des zweiten verschwindet er kurz, um alle Systeme einmal herunterzufahren. „Reset my brain", nennt er das.

Hetherington war englischer Nationalspieler, er hat in Holland, Deutschland und Spanien gespielt, seine Karriere verletzungsbedingt aber schon mit 26 beendet. Wenn er könnte, würde er sich das Beste aller Welten zusammenstellen: aus England die Mentalität, aus Holland die Technik, aus Deutschland die Ordnung, dazu ein bisschen Anarchie aus Spanien.

„Matthew ist in vielen Komponenten sehr deutsch“, sagt Frauen-Bundestrainer Mülders, der den Engländer als einen seiner Kotrainer für die Hallen-WM im Februar in Leipzig engagiert hat. „Er hat eine total professionelle Sicht und analysiert sehr gut.“ Beobachten, analysieren, die richtigen Schlüsse ziehen. Als Hetherington sich im Frühjahr die BHC-Frauen angeschaut hat, war er „schockiert von der athletischen Qualität“ des Teams. In der Saisonvorbereitung standen die Frauen nach einer Stunde schnaufend vor ihm und fragten nach einer Pause. „Ich glaube, die Spieler haben mich anfangs gehasst“, sagt Hetherington. Inzwischen seien beide BHC-Teams die fittesten der Bundesliga.

Statt drei Mal in der Woche trainieren die Berliner jetzt vier Mal. Aber es geht nicht um den Umfang des Trainings, es geht um die Inhalte. „Alle sind in Bewegung, alle werden besser, alle haben Spaß.“ So sieht Hetheringtons Idee aus.

Hockey ist ein in jeder Hinsicht dynamischer Sport. Dem muss auch der BHC Rechnung tragen. „Es gibt nicht genug professionelle Strukturen“, hat Hetherington festgestellt. So hätten einige Spielerinnen in den vergangenen drei Jahren keine einzige neue Technik gelernt. „Ihre Entwicklung war kein aktiver Prozess“, klagt er. Diesen Prozess will er in Gang setzen – und verstetigen.

Die spannende Frage ist: Wie viel Professionalität verträgt ein Amateur- und Breitensportverein wie der BHC? Die Antwort lautet: Ohne Professionalität kann es gerade in einem Amateur- und Breitensportverein auf Dauer keinen Leistungssport geben. „Professionell ist bei uns die Haltung, nicht die Bezahlung“, sagt Hetherington. „Wenn wir einen neuen Spieler für den A-Kader brauchen, können wir ihn nicht kaufen. Wir müssen ihn machen.“

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