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Trotz Brailleschrift an den Aufzügen würde sich unsere sehbehinderte Autorin eher für die Treppe entscheiden: Aufzüge seien oft zu weit weg, bis sie kommen, dauert es oft lange oder sie sind defekt

© Imago

Aus dem Alltag einer Sehbehinderten: "Du brauchst den ruhigen Ausgang"

Unsere sehbehinderte Autorin aus Steglitz-Zehlendorf beschreibt, wie sie sich auf Bahnhöfen an Düften oder Blumenkübeln orientiert - und warum Sehende einem blinden Menschen mit Hund folgen sollten.

Als blinde Frau bin ich mit Langstock oder Führhund unterwegs. Und oft genug kommt die Frage nach dem Weg. Zum Beispiel auf Bahnhöfen für mich sehr wichtig: Wo muss ich lang gehen, damit ich da und da heraus komme? Vor allem dann, wenn man den Abholern den Weg ersparen will, einen Parkplatz suchen zu müssen.

Eher auch ein nicht so großes Problem vielleicht, wenn man mit einem Führhund unterwegs ist. Aber auch dieser muss ja erst mal den Bahnhof kennen. Also muss ich ihm erst mal Hilfestellung geben. Nun gibt es ja einige Internetseiten, auf denen Bahnhöfe beschrieben werden. Oft werden aber auch dort nur Himmelsrichtungen genannt - und die kennt ja vor Ort auch nicht jeder. Wie mache ich es denn nun am einfachsten?

Oft genug weiß man zum Beispiel nicht, wo man im Zug sitzt: vorne, hinten oder mittig. Die Schwerbehindertenplätze sind oft an den gleichen Stellen. Aber genauso oft hört man kurz vor der Einfahrt des Zuges, dass sich die Wagenreihenfolge geändert hat. Beim Schweinsgalopp über den Bahnsteig in Richtung des richtigen Wagons kommt man dann schon ins Schwitzen, aber das ist bei allen Fahrgästen so.

Man ahnt nicht, wie lang so ein ICE sein kann!

Dann kommt man am Zielbahnhof an. Was sagte sie, 'in Fahrtrichtung bis zur Treppe gehen' - und plötzlich landet man am Bahnhofsende und wundert sich, warum der Hund so komisch langsam läuft? Man ahnt nicht, wie lang so ein ICE sein kann! Wenn man so läuft und läuft und das Gefühl hat, die anderen laufen einem alle nur entgegen, ist die Verunsicherung vorprogrammiert.

Also: fragen, Leute anhalten und fragen. Doch so oft sind es Menschen, die sich selber nicht auskennen und die Auskunft ist dann derart unsicher und schwammig, dass einem das auch oft nicht weiter hilft.

Wenn der Hund einige Male vor Ort war, dann hat er den besten Plan. Unsere Autorin möchte oft am liebsten zurufen: Wenn Sie einen Blinden sehen mit Hund, folgen Sie dem Gespann! Der Hund weiß den Weg besser, als Ihre Augen
Wenn der Hund einige Male vor Ort war, dann hat er den besten Plan. Unsere Autorin möchte oft am liebsten zurufen: Wenn Sie einen Blinden sehen mit Hund, folgen Sie dem Gespann! Der Hund weiß den Weg besser, als Ihre Augen

© dpa

Dem Hund kann man ein Kommando geben, ja klar, aber man will ja so hinaus, wie es beschrieben wurde. Und die vorgefundenen Treppen stellen einen vor enorme Herausforderungen, erst Recht, wenn sie zu beiden Seiten hinunter oder herauf gehen.

Das einfachste wäre da nun der Fahrstuhl. Er ist immer an der gleichen Stelle, und egal, von wo man kommt: Der Ausstieg ist immer der gleiche und eine Beschreibung ab diesen Punkt kann nur gut gehen.

Viele Fahrstühle sind aber auch weit weg vom Geschehen. Sie sind dreckig und stinken und man kann lange stehen, bis man mal rein kommt. Ich persönlich lehne sie ab, da ich mehr Zeit brauche für den Weg dorthin - und dann noch das Warten. Da bin ich schon längst die Treppen runter oder rauf. Ganz zu schweigen, dass ich ein eventuell hängendes Schild über eine Betriebsstörung nicht sehen würde. Dann stünde ich noch eine Weile dumm herum in einer abgelegenen Ecke des Bahnhofes und würde vielleicht erst viel später von einem anderen Fahrgast die Info erhalten.

Also: Gar nicht so einfach, einem Blinden den Weg raus aus dem Bahnhof zu erklären, und hier ist es egal, ob du selber blind bist oder nicht.

Was hilft denn nun?

Als Stockläufer habe ich ja die Leitlinien, die sich auf den Bahnhöfen befinden. Das sind diese meist hellen Rillenplatten. Schauen Sie mal genauer hin, dann merken Sie, dass diese Linien immer an Treppen oder Fahrstühlen einen Abzweig haben. Sie sind über den Stock gut spürbar und man könnte schon in einem guten Tempo dieser Linie folgen. Wenn sie frei ist von Menschen und Gepäck.

Der Hund orientiert sich aber nicht an diesen Linien. Er wird gelernt haben, soweit wie möglich weg vom Abgrund zu laufen. So nützen mir diese Linien nichts - und wenn er durch viele Menschen hindurch führen muss, schlängelt sich so ein Weg ganz schön.

Hilfreich sind für mich in jedem Falle, egal ob mit Stock oder Hund, Düfte. 'Gehe die Treppe runter; wenn du den Bäcker, Blumenladen, Wurststand auf deiner Seite bemerkst, dann halte dich links'. Oder Geräusche sind auch hilfreich. So erhielt ich gerade für Braunschweig den Hinweis: 'Wenn du die Treppe, egal wo, herunter kommst, dann gehe entgegen gesetzt dem Lärm von der Geschäftsmeile. Du brauchst den ruhigen Ausgang'.

Gehe den Gang entlang, bis du die Blumenkübel mit dem Stock erwischt

Dem Stockläufer helfen auch noch Gegenstände, die er mit dem Stock oder Körper erwischt. 'Gehe den Gang entlang, bis du die Blumenkübel mit dem Stock erwischt', oder 'da stehen Ständer mit Zeitungen oder Handtaschen herum, dann musst du gleich rechts um die Ecke biegen'. All sowas ist hilfreich.

Jedoch für den Hundeläufer bringen diese Beschreibungen nichts, denn der Hund läuft ja an diesen Sachen mit großen Bogen vorbei. Es sind Hindernisse, die er umrunden sollte.

Das Schöne ist: Wenn der Hund einige Male da war, dann hat er den besten Plan. Und gerade wenn wir am Hauptbahnhof hier in Berlin ankommen, muss ich dann immer wieder schmunzeln: In einem Affentempo läuft der Hund auf den langen Bahnhöfen gezielt zur Treppe und im Mittelgeschoß zur nächsten - und schwups sind wir draußen, und es ist immer wieder der richtige Platz, wo unser Bus fährt. Und allen Menschen, die wir überholen, die nach dem Ausgang suchen und stehen bleiben, möchte ich am liebsten zurufen: Wenn Sie einen Blinden sehen mit Hund, folgen Sie dem Gespann! Der Hund weiß den Weg besser, als Ihre Augen, die die Schilder suchen!

Der Text erscheint auf dem Onlineauftritt von Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf. Folgen Sie der Redaktion Steglitz-Zehlendorf gerne auch auf Twitter und Facebook.

Kathrin Backhaus

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