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Paul Gäbler ist in Zehlendorf aufgewachsen. Jetzt kommt er nur noch zu Besuch und wohnt in Wedding.

© privat

Aus Wedding zu Besuch in Zehlendorf: Reich, schön, unhöflich

Klischees sind nervig. Zehlendorfer werden dafür belächelt, dass sie aus einem "Spießerbezirk" kommen. Unser Autor kennt alle abfälligen Bemerkungen über seine Heimat. Jetzt wohnt er in Wedding, hat aber bei seinen Besuchen zu Hause selbst nichts Gutes entdeckt.

Über ein Jahr ist es nun her, dass ich meine alte Heimat verließ, um in der Fremde mein Glück zu suchen. Wie andere Zehlendorfer Jugendliche bestand ich im Sommer 2013 mein Abitur und war in diesem allgemeinen Überschwang spontan ausgezogen - genau einen Tag nach meiner ersten Abiturprüfung. Als ich vom Freiheitsgefühl benebelt in meiner ersten eigenen Wohnung in Prenzlauer Berg wieder zu mir kam, stellte ich zu meiner Verwunderung fest, dass ich offensichtlich der einzige war, der Zehlendorf verlassen hatte. So ziemlich alle meine Freunde und Bekannte waren noch dort, wo ich gerade herkam. Ich war also alleine in der großen weiten Stadt und fühlte mich plötzlich fürchterlich einsam. Es folgten lange Wochen und Monate, in denen ich quer durch die ganze Stadt nach Zehlendorf fahren musste, denn meinen Freunden konnte ich diesen langen und gefährlichen Weg schließlich nicht zumuten. Die langen Fahrten hatten aber auch etwas Gutes: In angenehmer Regelmäßigkeit konnte ich so den in meiner rebellierenden Teenagerseele verpönten Bezirk neu entdecken.

Viele in Zehlendorf Großgewordene zieht es, so erzählte man mir, später dorthin zurück. Im Alter schätze man die Ruhe und Ordnung, die Zehlendorf seinen fragwürdigen Ruf gegeben haben. „Spießig und langweilig“ gehören noch zum freundlichen Vokabular des Zehlendorfer Images.

Vorwurfsvolle Blicke und Geknurre

Jeder kennt die Situation, wenn ihn ein Berliner fragt, wo genau man denn herkommt. Und auch jeder kennt die allgemeine Belustigung, die folgt, nachdem man sich als Zehlendorfer geoutet hat. Ein allgemeines Belächeln ist eigentlich immer drin. Oft fallen dazu abfällige Bemerkungen über Reiche und Schöne, immer abhängig davon, aus welchem Bezirk der andere kommt - kommt er aus Spandau, hat man selten dumme Sprüche zu befürchten.

Wie also fühlt es sich an, wieder in der alten Heimat zu sein?

Das ewige Idyll Zehlendorf. Einerseits wahr und doch auch ein Klischee.
Das ewige Idyll Zehlendorf. Einerseits wahr und doch auch ein Klischee.

© Imago

Zunächst bemerkt man mit erschreckender Genauigkeit jede Änderung im Straßenbild: Neue Läden, die aufmachen. Alte Läden, die schließen und mit ihnen Erinnerungen an längst vergangene geschwänzte Mathestunden. Mein Lieblingsitaliener in Zehlendorf hat mittlerweile geschlossen und wurde durch eine schwäbische Küche ersetzt. Mein verhasster Italiener, von dem ich mich als 15-jähriger Ferienjobber völlig über den Tisch ziehen ließ, ist unterdessen zu einem Subway mutiert. Das ist das eine.

Wedding: Ruppig, aber mit Augenzwinkern

Erstaunt war ich auch über eine andere Tatsache: Zehlendorf ist ein verdammt unhöflicher Bezirk. Anrempeln ohne Entschuldigung, vorwurfsvolle Blicke, aggressives Geknurre und vor allem jede Menge finsterer Mienen sind in Zehlendorf keine Seltenheit. Vielleicht hatte ich mich damals, als ich selbst noch in Zehlendorf wohnte, einfach daran gewöhnt, meinen Kopf abgeschaltet oder war selbst unhöflich.

Zehlendorf erschien beziehungsweise erscheint mir immer noch als der unhöflichste Bezirk der Stadt. Und das, obwohl in diesem Bezirk doch die „Reichen und Schönen“ wohnen, wie man uns ja immer wieder unter die Nase reibt. Sollten die „Reichen und Schönen“ nicht auch die „Freundlichen und Zurückhaltenden“ sein? Das Image des Spießer-Bezirks werden wir ohnehin nicht mehr los. Aber wollen wir jetzt auch noch als unfreundlich gelten?

Ich wohne inzwischen in der Türkenstraße in Wedding, die im übrigens wirklich so heißt und nicht meinem zugegeben sehr schwarzen Humor entsprungen ist. Hier geht es auch gerne mal ruppig zu, aber immer noch mit dem berlinerischen Augenzwinkern.

Die Fahrtwege nach Zehlendorf sind kürzer und die Kinderzimmer meiner Freunde leerer geworden. Außer zu standesgemäßen Besuchen bei den Eltern komme ich nur noch selten in meine Heimat. Vielleicht zieht es mich ja irgendwann mal wieder zurück. Ich geh dann gerne lächelnd mit gutem Beispiel voran.

Der Autor, 20 Jahre, ist in Zehlendorf aufgewachsen und wohnt jetzt in Wedding. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

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