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Ein Künstler in Berlin. Zu den Stadtlandschaften Heckendorfs gehört dieses Gemälde mit dem Ausflugslokal „Schloss Wannsee“ von 1924

© Galerie Mutter Fourage

Ausstellung in der Galerie Mutter Fourage in Wannsee: Leichtfüßig dem Tod entkommen

Franz Heckendorf war Lebemann, Kunstdieb, Fluchthelfer – und vor allem ein erfolgreicher Maler der Berliner Secession. Eine Ausstellung in Wannsee erinnert an sein Wirken.

Es kommt nicht häufig vor, dass Kunstdiebe, bevor sie sich ans Werk machen, erst mal den Tatort in Öl malen. Im Falle des Berliner Malers Franz Heckendorf aber war genau das die Reihenfolge, wenngleich er 1924, als sein Gemälde „Villa Jeidels in Wannsee“ entstand, noch nicht wissen konnte, dass er sieben Jahre später aus dem Garten des kunstsinnigen, ihm selbst mäzenatisch verbundenen Bankiers Otto Jeidels eine Bronzeplastik Georg Kolbes mopsen würde. Aber was sollte er machen? Die Einkünfte und sein aufwendiger Lebensstil klafften weit auseinander, zudem hatte er einem Sammler zugesagt, er könne ihm gegen entsprechendes Honorar eine KolbeSkulptur besorgen. Konnte er ja auch.

Man kann den Ort des bald aufgeklärten, auch juristisch gesühnten Diebstahls noch heute besichtigen, auf einer kleinen Anhöhe an der Ecke Straße zum Löwen und Am Löwentor in Wannsee: eine gediegene, bereits beim Bau 1922 alles andere als avantgardistische Villa, durch eine von zwei Löwen gekrönte Toreinfahrt mit flankierendem Pförtner- und Gärtnerhaus zu erreichen – der Bauherr, Mitinhaber der Berliner Handelsgesellschaft und später, als Jude Ende der dreißiger Jahre emigriert, Vizepräsident der Bank of America, war anders als Heckendorf äußerst liquide.

Auch das Gemälde des Tatorts ist derzeit in Wannsee zu sehen, in einer Heckendorf gewidmeten Ausstellung in Wolfgang Immenhausens Galerie Mutter Fourage: ein Werk, das die Villa aus leichter Untersicht zeigt, in der Mitte ein von Blumenbeeten flankierter Weg, der auf das Haus zuführt – eine für Heckendorf eher ungewöhnliche Perspektive. Er stellte seine Staffelei lieber oberhalb des Motivs auf, vielleicht eine seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg geschuldete Eigenart: Da war er in Mazedonien, der Türkei und Mesopotamien als Flieger eingesetzt.

So hatte er sich auch – man kann das mit Hilfe historischer Fotos leicht nachvollziehen – für sein Gemälde „Seepavillon“ von 1914 auf der oberen Terrasse des „Kaiser-Pavillons“ postiert, der sich auf der Fläche des heutigen Gartenlokals von „Loretta am Wannsee“ befand. Anders als das ehemalige, auf einem Gemälde von 1924 gezeigte Ausflugslokal „Schloss Wannsee“ im Kronprinzessinnenweg ist es schon lange verschwunden. Auch dieses Bild wird gezeigt, Ausflugslokale waren ein Lieblingssujet Heckendorfs.

Überhaupt zeigt die Verkaufsausstellung mit ihren mehr als 40 Arbeiten Heckendorfs viele Motive aus Berlin und Brandenburg, die dem allerdings auch sehr reiselustigen und dabei arbeitsfreudigen Maler stets Lebensmittelpunkt blieben. Die Schlossfreiheit mit Schlossbrücke und Nationaldenkmal, den Berliner Dom, den Stößensee, den Blick von Sacrow auf die Pfaueninsel, einen Sonnenuntergang an der Havel, eine Szenerie mit Zugbrücke im Ruppiner Land und märkische Seenlandschaften hat er in Öl gemalt oder auch dem Tiergarten 1922 eine Mappe mit Radierungen gewidmet – meist in einem dem Impressionismus noch nahestehenden, doch besonders in der Farbgebung mit dem Expressionismus bereits liebäugelnden Stil.

Ein weiteres Bild der Serie Stadtlandschaften ist dieses Gemälde, das die Villa des Bankiers Jeidels in Wannsee (1924) zeigt
Ein weiteres Bild der Serie Stadtlandschaften ist dieses Gemälde, das die Villa des Bankiers Jeidels in Wannsee (1924) zeigt

© Galerie Mutter Fourage

Die Ausstellung ist Teil eines Projekts „Berliner Secession“, zu dem sich sechs Museen aus Berlin und dem Umland zusammengefunden haben, und schon deswegen sehenswert, da Franz Heckendorf, einst ein Star der Berliner Kunstszene, heute in hiesigen Kunsthäusern zwar noch präsent, doch weitgehend vergessen ist. Und dabei war sein Leben so farbenfroh wie seine Kunst. Heckendorfs Freund Erich Maria Remarque hätte daraus fast einen Roman gemacht, und selbst eine Verfilmung wäre denkbar, mit Kunstraub, Sex, Bohème, Krieg und Rettung bedrohter Juden als spannende Zutaten zur klassischen Künstlerbiografie, die der TU-Wissenschaftler Winfried Meyer in einem ausführlichen Katalogbeitrag dargestellt hat.

Heckendorf stammte aus einer Architektenfamilie, 1888 in Schöneberg geboren, aufgewachsen in Steglitz und Lichterfelde. Ein miserabler Schüler, der erst bei einem Dekorationsmaler lernte, dann die Königliche Kunstschule, die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums, die Königliche Akademische Hochschule für die Bildenden Künste und schließlich die ihn prägende Kunstschule Lovis Corinths besuchte. 1909 wurden erstmals zwei seiner Bilder in der Berliner Secession gezeigt, die sogar die Aufmerksamkeit Max Liebermanns erregten, der – so schilderte es Heckendorf – nur drei fehlende Dinge monierte: „Erstens Fleiß, zweitens Fleiß und drittens Fleiß.“

Die Mahnung hat wohl geholfen, denn bald sollte sich der junge Maler, seit 1915 ordentliches Mitglied der Secession, zu einem ungemein erfolgreichen Maler entwickeln. Der aber zeitlebens auch ein Bruder Leichtfuß blieb, mit einer Vorliebe für ferne Reisen, schnelle Autos und reichlich Alkohol – Dinge, die er sich nicht immer leisten konnte – und schöne Frauen.

Diese "Stadtlandschaft" zeigt - unverkennbar - den Berliner Dom (ohne Jahr)
Diese "Stadtlandschaft" zeigt - unverkennbar - den Berliner Dom (ohne Jahr)

© Galerie Mutter Fourage

Den Mann seiner Geliebten – er selbst war schon geschieden – soll er dadurch losgeworden sein, dass er ihm in einer Berliner Bar eine Tänzerin zuführte, mit dem erhofften Ergebnis: Erst Ehebruch, dann Scheidung. Und der Diebstahl der Kolbe-Skulptur, begangen mit seinem jüngeren Bruder und angeblich nur zur Herstellung eines Abgusses, war keineswegs das einzige krumme Ding, das Heckendorf drehte. Mit fünf Monaten Gefängnis, durch Untersuchungshaft teilweise verbüßt und zur Bewährung ausgesetzt, kam er 1931 noch glimpflich davon. Malerkollegen hatten ihm vor Gericht einen an sich doch guten Charakter attestiert: ein bisschen naiv, etwas zu abenteuerlustig, vielleicht zu unbesonnen, aber immer freundlich, hilfsbereit; kurz: ein liebenswerter Hallodri – ein Urteil, das 13 Jahre später dazu beitrug, ihm das Leben zu retten, sodass er nicht, wie vom Staatsanwalt gefordert, hingerichtet, sondern zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.

Künstlerisch von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemt und als politisch verdächtig eingestuft, hatte er es doch gewagt, Juden zur Flucht in die Schweiz zu verhelfen und war aufgeflogen. Das Gericht sah hier auch sein „nicht zu verkennendes Künstlertum“ am Werke. Er sei kein planvoll handelnder Verbrecher, sondern „eine impulsive, sprunghafte Natur, dem es gefällt, sein Leben nach Launen zu gestalten, ohne viel zu fragen, was daraus wird“. Diese flatterhafte Natur hatte Heckendorf bei seinen Fluchthilfe-Aktionen sehr anschaulich unter Beweis gestellt. Mittellosen und mit ihm bekannten Juden half er gratis, andere mussten zahlen. Mit dem Honorar kaufte sich Heckendorf ein stark motorisiertes Buick-Kabrio, ohne Reifen, mit defektem Getriebe, und an Benzin war im Krieg sowieso nicht zu kommen. Egal: Ein Buick ist ein Buick.

Galerie Mutter Fourage, Chausseestraße 15a, Wannsee, bis 21. Februar, Fr 14-18 Uhr, Sa/So 12-17 Uhr und nach Vereinbarung unter Tel. 80583281.

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