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Unsere Autorin, 19 Jahre, hat sich bei Freunden in der Uni Göttingen umgesehen, die Freunde sagen, dass die Uni ihnen ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Eigenverantwortung abverlange.

© David Schlegel

Bald-Studentin aus Zehlendorf besucht Uni Göttingen: Ist ja wie Schule hier!

Unsere Autorin hat sich bisher darum gedrückt, sich an einer Uni einzuschreiben. Dafür hat sie alte Schulfreunde aus Berlin-Zehlendorf in Göttingen besucht, um zu schauen, wie das Studentenleben dort verläuft. Irgendwie anders, als sie sich das vorgestellt hat.

Aufstehen um sieben, wässrige Kantinen-Nudeln zum Mittagessen und Wohnen zur Zwischenmiete – irgendwie hatte ich mir das Studentenleben cooler vorgestellt. Nicht so anstrengend, nicht so arbeitsintensiv, nicht so unpersönlich.

Ich bin zu Besuch bei ein paar Freunden in Göttingen, Erstsemester, die im Gegensatz zu mir, der ewig Unentschlossenen, bereits angefangen haben, zu studieren. Alle von ihnen wohnen in WGs oder alleine, aber niemand hat vor, in dem mit Müh und Not gefundenen Zimmer bis zum Bachelor-Abschluss in drei Jahren zu bleiben. Können sie auch gar nicht, denn im April kommen die früheren Zimmerbewohner von ihrem Auslandssemester aus China oder Kolumbien wieder.

Niemand will Erstsemester als Mitbewohner

„Für Erstsemester ist die WG-Suche besonders schwer; die will kaum jemand als Mitbewohner“, erzählt mir David, ein Freund, der jetzt in Göttingen studiert und bei über 20 WG-Castings war. Mit jeder WG-Besichtigung und jeder Ablehnung sanken seine Hoffnungen und damit auch Ansprüche. Jetzt wohnt er in einer Wohnung im Keller – mit Dusche in der Küche und Klo im Stockwerk drüber.

Fakultät für Physik in Göttingen.
Fakultät für Physik in Göttingen.

© David Schlegel

Ich beneide ihn trotzdem. Denn obwohl der Zustand seiner Wohnung zu wünschen übrig lässt, ist er frei. Freier, als ich es zu Hause bei meinen Eltern bin. Er kann kommen und gehen, wann er will und tun und lassen, was er will. Das kann ich mit meinen 19 Jahren zwar theoretisch auch, aber es ist doch etwas anderes, ob die Eltern im Nebenzimmer oder meilenweit entfernt in einem anderen Bundesland wohnen.

Gleich zu Beginn meines Besuchs oute mich als WG-unerfahren, als ich den Mitbewohnern meiner Freunde, bei denen ich schlafe, jedes Mal vor dem Verlassen des Hauses Bescheid sage. 'Geh doch einfach', scheinen sie mir über ihre Lernbücher oder Cornflakes-Schüsseln gebeugt zu sagen, und ich komme mir irgendwie kindisch vor.

Der Stundenplan eines Physikers.
Der Stundenplan eines Physikers.

© David Schlegel

Auch sonst merkt man mir an, dass ich noch keine Studentin bin, denn ich habe weder einen Studentenausweis, der beim Vorzeigen das Mensa-Essen oder Club-Eintritte vergünstigt, noch bin ich mit dem Fahrrad unterwegs. Letzteres ist in einer Studentenstadt wie Göttingen nahezu undenkbar. Ob zum Einkaufen, Kaffeetrinken oder Feierngehen – überall fährt man mit dem Fahrrad hin. Natürlich liegt das auch an der Größe der niedersächsischen Stadt, denn Göttingen ist verglichen mit Berlin ziemlich... - man könnte es süß nennen. „Ungefähr so groß wie Steglitz“, bringt es eine Zehlendorfer Schulfreundin, die auch in Göttingen studiert, auf den Punkt. Es macht ihr aber nichts aus, dass die Stadt so klein ist, denn die Anzahl der Studenten macht die Größe wieder wett.

Haste mal ein Fahrrad? Das wichtigste Fortbewegungsmittel der Studenten in Göttingen.
Haste mal ein Fahrrad? Das wichtigste Fortbewegungsmittel der Studenten in Göttingen.

© David Schlegel

Ungefähr jeder Dritte, der hier wohnt, ist Student an der Georg-August-Universität, Niedersachsens größter Uni in Göttingen. Das merkt man auch nachts, wenn auf den Straßen nur noch Studenten unterwegs sind, auf dem Weg zu einer der zahlreichen Studentenpartys. Es liegt das Gefühl von Einigkeit und Freiheit in der Luft. Meine Freunde, die Erstsemester, schwärmen davon, sich nachts nicht mehr leise in die Wohnung schleichen zu müssen. Ich stehe neidisch daneben und bedauere mich als Älteste von drei jüngeren Schwestern.

Das Neidgefühl verblasst allerdings am nächsten Morgen, als meine Freunde um acht Uhr früh zur Uni radeln müssen. 'Wie in der Schule!', denke ich mir. Mittags bin ich mit David in der total überfüllten Uni-Mensa verabredet. Er hat zu diesem Zeitpunkt schon eine Vorlesung über Analytische Geometrie und Lineare Algebra hinter sich und auch nur eine Stunde Zeit, dann muss er weiter zum Seminar über Differential- und Integralrechnung.

Vorlesungen folgen auf Seminare, Übungen auf Praktika. Freie Tage? Fehlanzeige.

Tja, das hat man davon, wenn man Physik studiert, denke ich, aber bei meiner Freundin Melanie, die VWL und Chinesisch gewählt hat, sieht der Zeitplan ähnlich stramm aus. Vorlesungen folgen auf Seminare, Übungen auf Praktika, dazwischen wird gelernt. Ausschlafen oder freie Tage gibt es für die beiden zu meiner Verwunderung gar nicht, und sie erzählen mir, dass die Uni ihnen ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Eigenverantwortung abverlangt.

Die Autorin Nora Tschepe-Wiesinger ist freie Mitarbeiterin des Tagesspiegel und des Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin aus dem Südwesten. Sie studiert zurzeit in Hannover.
Die Autorin Nora Tschepe-Wiesinger ist freie Mitarbeiterin des Tagesspiegel und des Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin aus dem Südwesten. Sie studiert zurzeit in Hannover.

© privat

Klar könnten sie morgens einfach liegen bleiben oder abends um die Häuser ziehen, statt zu lernen, aber auf Dauer ginge das nicht gut. Denn in ein paar Wochen steht bereits die erste Klausur an.

Klausuren, lernen, früh aufstehen? Irgendwie habe ich bisher angenommen, diesen Tagesablauf mit Abschluss der Schule hinter mir gelassen zu haben. Die Zeit in Göttingen hat mich eines Besseren belehrt.

Trotzdem wird mich das nicht aufhalten. Die Vorfreude auf das erste eigene WG-Zimmer, die Studentenpartys, die vollen Hörsäle und das emsige Treiben an der Uni überwiegt. Nur die Dusche muss nicht unbedingt in der Küche sein.

Die Autorin Nora Tschepe-Wiesinger absolviert ein Praktikum in der Berlin-Redaktion und ist Bloggerin auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Nora Tschepe-Wiesinger

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