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Blick auf den historischen Winkel, im Vordergrund die Friedenseiche, links von den Ästen verdeckt die alte Dorfkirche samt Friedhof und rechts das Zehlendorfer Heimatmuseum.

© Thilo Rückeis

Besuch im Historischen Winkel von Zehlendorf: Zwischen Maulbeerbäumen und Hauptverkehrsstraße

Zusammen mit dem Schulhaus von 1828 und der Friedenseiche bilden die Dorfkirche und der Kirchhof den uralten Dorfkern von "Cehlendorp". Wer dort verweilt, kann auf viele spannende Geschichten stoßen und sogar noch etwas lernen. Findet unsere Autorin.

Wer an der Bushaltestelle Zehlendorf  Eiche auf den 112er nach Nikolassee wartet, muss Geduld haben, denn der  Bus kommt nur alle 20 Minuten, und meistens ist er gerade weg. Doch die Zeit lässt sich wunderbar nutzen, den  Historischen Winkel, wie die Haltestelle auch heißen könnte, in Augenschein zu nehmen. Viele ahnen gar nicht, dass sie hier, an der vom Großstadtverkehr umbrandeten Kreuzung Clayalle/Teltower Damm und Berliner Straße/Potsdamer Straße, im uralten Dorfkern von Zehlendorf stehen.

Zehlendorf Eiche steht eher für Zehlendorf Mitte. Gepflanzt wurde der Baum, nach dem die Bushaltestelle benannt ist, am 2. September 1871 gleich neben dem einstigen Schulhaus, das heute das Heimatmuseum beherbergt, jedoch zum Ruhme der Schlacht bei Sedan im deutsch-französischen Krieg auf den Tag ein Jahr zuvor. Stolz erinnerte man in Preußen vielerorts an den Sieg über Frankreich und die Reichsgründung. Das Eiserne Kreuz mit der Inschrift „2. 9. / Friedenseiche / 1871“ ziert den prächtig gewachsenen Baum. Eiche. Na ja, die Goldschrift ist angemessen verblasst.

Der Friedhof an der großen Kreuzung

Zusammen mit dem Schulhaus von 1828 und der Friedenseiche bilden die Dorfkirche und der Kirchhof den Historischen Winkel. Doch nur der Kirchhof stammt aus dem Mittelalter, schon um 1200 wurden dort Menschen bestattet. In diese Zeit fällt die Gründung des Dörfchens, erstmals amtlich erwähnt in einer Urkunde von 1242, wonach die askanischen Markgrafen Cehelendorp und Slatdorp, den Slatsee  (Schlachtensee) und den „Tusen“ (den Nikolassee) an das Kloster Lehnin verkauften. Die Zisterzienser erhielten damit einen Stützpunkt auf dem Weg zu ihren Besitzungen auf dem Barnim. Erst Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Ost-West-Chaussee zwischen Berlin und Potsdam gebaut, die erste in der brandenburgischen Kurmark. Seither liegt der Kirchhof direkt an der Hauptverkehrsstraße, die heute Teil der Bundesstraße 1 ist.

Sieht idyllisch aus: die historische Eiche (links) vor der alten Dorfkirche und dem Friedhof, rechts das Zehlendorfer Heimatmuseum. Was man nicht sieht: Davor kreuzen zwischen zwei große Hauptverkehrsstraßen.
Sieht idyllisch aus: die historische Eiche (links) vor der alten Dorfkirche und dem Friedhof, rechts das Zehlendorfer Heimatmuseum. Was man nicht sieht: Davor kreuzen zwischen zwei große Hauptverkehrsstraßen.

© ale

Später fand Zehlendorf das Wohlgefallen der preußischen Könige, die auf dem Weg zwischen den Residenzstädten Berlin und Potsdam hier oft  vorbeikamen. So stammte Friedrichs des Großen Amme Maria Haupt aus Zehlendorf, eigenhändig ausgesucht von dessen Vater, dem Soldatenkönig, auf der Durchreise. Eine andere Amme Friedrichs des II. namens „Dorothea“ soll sogar auf dem Zehlendorfer Dorfkirchhof begraben worden sein.

Die achteckige Dorfkirche von 1768 ist Friedrich dem Großen zu verdanken. Er verfügte den Abriss der maroden mittelalterlichen Kirche und den Neubau. Der König „wollte zur besonderen Zierde Zehlendorfs eine schöne Kirche und Thurm erbauen lassen“, so der Dorfschulmeister und Küster Ernst Ferdinand Schäde in seiner Dorfchronik von 1832. Der Monarch stiftete dafür 6000 Taler und das Bauholz, „die Fuhren musste die Gemeinde unentgeltlich aufbringen.“ Pech, dass sie am Ende auch einen erheblichen Teil der Baukosten tragen musste, denn der Baumeister erwies sich als Betrüger; er  verschwand mit dem Vorschuss von 3000 Talern.

Geschichtseckchen. Auf der ausgestellten öffentlichen Tafel können die Passanten nachlesen, auf welchem historischen Flecken sie gerade stehen.
Geschichtseckchen. Auf der ausgestellten öffentlichen Tafel können die Passanten nachlesen, auf welchem historischen Flecken sie gerade stehen.

© ale

Schäde war es auch, der 1828 nach zähem Ringen mit den Behörden den Bau eines neuen Schulhauses erreichte, natürlich einklassig – für anfangs 40, dann 120 Kinder. Erst 1876 erhielt Zehlendorf eine mehrklassige Volksschule. Seinen Dienst als Lehrer und Küster trat er schon 1793 an und blieb es 62 Jahre lang. 1855 durfte er mit 83 Jahren (!) in Pension gehen.  

Jahrelang wunderte ich mich, wenn ich an der Bushaltestelle wartete, über die knorrigen Bäume auf dem Kirchhof, die über die Feldsteinmauer ragen, bis ich im Heimatmuseum erfuhr, dass  es die letzten drei von einst 28 Maulbeerbäumen sind, mit denen es seine historische Bewandtnis hat.

Blick von drüben, von der anderen Seite der Clayallee, die nach der Kreuzung links in den Teltower Damm übergeht.
Blick von drüben, von der anderen Seite der Clayallee, die nach der Kreuzung links in den Teltower Damm übergeht.

© ale

Friedrich der Große verfügte 1752 die Seidenraupenzucht und verordnete sie auch den Schulmeistern und Pfarrern, die sich damit allerdings gern ein Zubrot verdienten. Überall wurden Maulbeerbäume gepflanzt, deren Blätter an die Raupen verfüttert werden. Seide war gefragt, und Preußen wollte autark sein. Doch die Winterkälte bekam den Seidenraupen nicht, so dass die Herstellung der Kokons nicht von langer Dauer war.

Die Maulbeerbäume auf dem Zehlendorfer Kirchhof mit ihren  etwa 3,50 Meter dicken Stämmen gehen wohl ebenfalls auf Schäde zurück, der die Raupen in seiner Wohnung im Schulhaus versorgte und mit dem Verkauf der Konkons sein Einkommen aufbesserte.

Eine Bronzetafel an der Kirchhofsmauer zeugt von der Einwanderungspolitik Preußens. Der Inschrift zufolge empfing Friedrich Wilhelm I, der Soldatenkönig, hier im Mai 1732 aus Salzburg vertriebene Protestanten mit den Worten: „Mir neue Söhne, Euch ein mildes Vaterland.“ Die meisten der Salzburger Hugenotten“ (die Lutheraner waren), wurden in Ostpreußen angesiedelt. Die Fürsorge, die sprichwörtliche Toleranz gegenüber Glaubensflüchtlingen und anderen Migranten hatten natürlich auch mit Nützlichkeitserwägungen zu tun. Menschen waren nach den Verheerungen durch den Dreißigjährigen Krieg und später die Pest das wichtigste Kapital.

Es war schon ein langer Weg vom Dörfchen zum vornehmsten Vorort Berlins „bei Potsdam“, wo sich reiche Berliner in Schlachtensee, Nikolassee und Wannsee ihre Prunkvillen bauten, und schließlich zum feinsten Bezirk Berlins. Ein bisschen zehrt Zehlendorf noch von dieser Aura.

Brigitte Grunert war langjährige landespolitische Chef-Korrespondentin des Tagesspiegels. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

 

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