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Maha Alusi (Mitte, in schwarzer Jacke) und Nicole Yazolino (im braunen Pulli) sind die Macherinnen von EverybodySong - und mit ihnen insgesamt etwa 60 Männer und Frauen aus Syrien, Irak, Afghanistan, Pakistan, Ägypten, Deutschland, USA, Australien, England

© EveryoneSong

Das Projekt "EveryoneSong" aus Steglitz-Zehlendorf schafft Integration: Lieder für's Leben

Bei „EveryoneSong“ treffen sich einmal pro Woche Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, um ihre Lieblingsmusik zu hören und sich ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Initiatorin ist die Zehlendorferin Maha Alusi.

„Don't worry, be happy!“ von Bobby McFerrin erklingt aus der Musikanlage, auf einem Laptop ist das Musikvideo dazu zu sehen. Mit den ersten Klängen haben alle sofort ein Lächeln im Gesicht und wiegen sich im Takt der Musik. Die Stimmung im Raum ist fröhlich und beschwingt. „Dieses Lied bedeutet mir viel“, erzählt der Mann aus dem Irak, der sich den Song gewünscht hat, in recht gutem Deutsch. „Weil das Motto lautet: Egal, welche Probleme du hast, löse sie!“

Ein Mittwochabend bei „EveryoneSong“. Bei diesem Projekt treffen sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, um ihre Lieblingsmusik zu hören und sich ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Initiatorin ist die Zehlendorferin Maha Alusi. Den ersten EveryoneSong-Abend veranstaltete die gebürtige Irakerin im Dezember 2015.

„EveryoneSong“, zu Deutsch "jedermanns Lied" nutzt die universelle Sprache und die wunderbare Kraft der Musik für die Integration von geflüchteten Menschen
„EveryoneSong“, zu Deutsch "jedermanns Lied" nutzt die universelle Sprache und die wunderbare Kraft der Musik für die Integration von geflüchteten Menschen

© EveryoneSong

Die Treffen beginnen jedes Mal mit einer Vorstellungsrunde. Die Musikerin Nicole Yazolino moderiert die Abende und ermuntert dazu, kurz etwas Schönes zu erzählen, was einem passiert ist. Ein Mann sagt: „Ich heiße Hassan und komme aus Syrien“, und legt die rechte Hand auf sein Herz. „Vorgestern ist meine Tochter zur Welt gekommen.“ Alle freuen sich mit Hassan und beglückwünschen ihn. Alle, das sind 60 Männer und Frauen, zwischen 15 und 50 Jahren. Sie kommen aus Syrien, Irak, Afghanistan, Pakistan, Ägypten, Deutschland, USA, Australien, England. Auch Nachbarn aus dem Kiez sind dabei und einige Touristen, die von „EveryoneSong“ erfahren haben. Maha Alusi, selbst 1986 mit 18 Jahren aus dem Irak geflüchtet, und zwei Helfer übersetzen die Worte etappenweise ins Deutsche, Englische oder Arabische. Eine Irakerin erzählt, sie habe endlich ihren Deutschkurs begonnen. Ein Afghane freut sich über die kleine Wohnung, die er nun beziehen kann. Eine Kiez-Nachbarin über ihren neuen Job. Ein Syrer über ein paar Winterschuhe.

Als alle zu Wort gekommen sind hören wir „They don't care about us“ von Michael Jackson, gewünscht von einer Berlinerin. Sie sagt, dass diese Musik ihr geholfen habe, ihre schwierige Jugend durchzustehen. Ein Mann aus Syrien erzählt, dass er früher mit seinem Onkel zu Jacksons Liedern getanzt habe und dass er einen Tag lang nur weinte, als der Sänger starb. Ein anderer Mann fügt hinzu, dass er diese Musik heimlich gehört habe, weil sie verboten war. Das Gespräch ist in vollem Gange. Die Übersetzer haben gut zu tun. Uns Menschen verbindet so viel mehr miteinander, als uns trennt. Die Musik macht es deutlich. Und zu erleben, wie in diesem geschützten Raum über Erinnerungen und Gefühle gesprochen wird, ist berührend. Es fördert Mitgefühl und Zuversicht.

Viele persönliche Geschichten machen an jedem EveryoneSong-Abend die Runde. Dann wird getanzt, geredet, gelacht und Tee getrunken
Viele persönliche Geschichten machen an jedem EveryoneSong-Abend die Runde. Dann wird getanzt, geredet, gelacht und Tee getrunken

© EveryoneSong

Alles begann mit zehn Konzertkarten. Die hatte Maha Alusi dabei, als sie Anfang Dezember 2015 in die Turnhalle in der Zehlendorfer Onkel-Tom-Straße kam, in der damals noch Flüchtlinge untergebracht waren. Zehn von ihnen wollte sie zu einem A-capella-Abend einladen. Doch die resolute Leiterin der Notunterkunft Veronica Grossmann bestimmte: „Entweder nehmen Sie alle mit, die mit wollen, oder gar keinen. Sonst ist das ungerecht.“ Maha Alusi ließ sich nicht beirren. Die Architektin und Künstlerin, die seit 1999 in Zehlendorf lebt, setzt sich unermüdlich für geflüchtete Menschen ein. Maha spricht drei Sprachen fließend: Deutsch, Arabisch und Englisch. Sie fragte die Menschen in der Halle, wer Lust auf ein Konzert habe. 30 meldeten sich. Maha organisierte 20 weitere Karten und es wurde ein großartiger Abend. „Ich sah wie glücklich die Menschen der Musik lauschten“, erzählt sie. „Und ich beschloss, deutsche Weihnachtslieder mit ihnen zu singen. Ich übersetzte 'Oh Tannenbaum' und 'Stille Nacht' ins Arabische, damit sie den Inhalt verstehen und wir fingen an zu üben. Nicole Yazolino, die aus dem kalifornischen Berkeley stammt und seit 2009 in Berlin lebt, gesellte sich dazu und begleitete den Chor auf der Gitarre. „Es machte so viel Spaß“, so Maha. „Und als unsere Sänger die Weihnachtsmärkte besuchten und dort die Lieder wiedererkannten, sagten sie freudig zu uns: 'Zum ersten Mal fühlen wir uns heimisch.' “

Musik macht glücklich. Musik überwindet Sprachbarrieren.

Das war der Moment, in dem Maha Alusi und Nicole Yazolino die Idee für „EveryoneSong“ kam, zu Deutsch: Jedermanns Lied. Warum nicht die universelle Sprache und die wunderbare Kraft der Musik für die Integration von geflüchteten Menschen nutzen!? Musik macht glücklich. Musik weckt Erinnerungen. Musik bringt Menschen augenblicklich ins Gefühl. Musik überwindet Sprachbarrieren.

An diesem Abend hören wir noch „The show must go on“ von Queen, „Ya Mersal al Marasil“ von "Fairuz“, „Strange fruit“ von Nina Simone und viele persönliche Geschichten. Dann wird getanzt, geredet, gelacht und Tee getrunken.

Inzwischen hat „EveryoneSong“ erfolgreich eine Crowdfunding-Kampagne abgeschlossen. „Unsere Gemeinschaft besteht aus etwa 80 Flüchtlingen und 30 Einheimischen“, sagt Maha Alusi. „Zum erweiterten Kreis gehören 250 Gäste aus 37 Ländern und 40 Helferinnen und Helfer. Bisher fanden die Treffen aus Platz- und Kostengründen in meinem Atelier Kreuzberg statt. Doch jetzt wollen wir unser Projekt auf ganz Berlin und bundesweit ausdehnen. Der nächste Schritt: Wir suchen ab sofort einen Raum in Zehlendorf.“

 "Wir können die Welt verändern! Mit Musik!“

Zu Maha Alusis besonderen Gaben gehört es, aus vermeintlich Negativem Gutes zu zaubern. In ihrem Buch "Moments of Happiness" erzählt sie, wie es gelingen kann, aus traurigen Erlebnissen Freude zu erschaffen, indem man solchen mit Gelassenheit, Humor und Liebe begegnet. Beharrlich arbeitet die Künstlerin an ihrer Vision von einer friedlichen Welt. „Wir müssen raus aus unserer Komfortzone“ sagt sie. „Es reicht nicht aus, mal einen Flüchtling kennenzulernen oder mal etwas zu spenden. Die Menschen, die in Deutschland gestrandet sind, wünschen sich echte Kontakte mit uns. Auf Augenhöhe. Mit einem Geben und Nehmen. Nur dann können wertvolle menschliche Beziehungen entstehen.“

So wie bei Nicole Yazolino, die sich am ersten „EveryoneSong“-Abend in Mustafa aus Mossul verliebte. Seither sind sie ein Paar. „Mein Leben wurde durch 'EveryoneSong' völlig umgekrempelt“, so Nicole. „Obwohl ich ein liberaler Mensch bin, musste auch ich erst unbewusste Vorurteile überwinden. Dadurch bin ich offener geworden und konnte mich weiterentwickeln.“

Maha Alusi bekräftigt: „Wir warten nicht mehr länger darauf, dass die Politiker oder die Institutionen etwas tun. Wir sind selbst Macherinnen! Die Botschaft von 'EveryoneSong' ist: Habt keine Angst! Wir können die Welt verändern! Mit Musik!“

Wer „EveryoneSong“ unterstützen, sich engagieren oder einfach mehr über das Projekt erfahren möchte, findet hier nähere Informationen.

Nicki Pawlow ist Autorin und Vortragsrednerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin-Zehlendorf und setzt sich für das Sammeln und Verbreiten von guten Nachrichten ein.

Dieser Beitrag erscheint auf dem Debattenportal Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf. Folgen Sie der Redaktion Steglitz-Zehlendorf gerne auch auf Facebook und Twitter.

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